„XYZ ist ein deutscher Thriller, der sich vor den amerikanischen nicht zu verstecken braucht.“
Reden wir nicht von Vergangenheit und Tradition der deutschen Kriminalliteratur, reden wir von ihrer Gegenwart. Immerhin: Es gibt sie. Nicht mehr die entfernte Verwandte der Literatur, für deren Anwesenheit am Katzentisch der Familie man sich schämt, noch nicht – und vielleicht nie – dort platziert, wo die Sippe ihre großen Diskussionen führt, ihre Entscheidungen trifft. Aber überhaupt: DEUTSCHE Kriminalliteratur?
Gewiss, deutschsprachige Autorinnen und Autoren schreiben deutschsprachige Kriminalromane für ein deutschsprachiges Publikum, über die Grenzen ihres Sprachraums gelangen sie selten hinaus, beim Kampf um die Exportweltmeisterschaft ist man gar nicht erst dabei. Hingegen ist man Weltmeister im Importieren. Angloamerikanische Plottheorien, skandinavische Serienmordrezepte, ein modischer Hang zum globalism, gestern Argentinien, heute Südafrika – das ist alles schön und gut richtig und war schon immer so, nicht nur in der Kriminalliteratur, auch in der großen allgemeinen, in der Kunst überhaupt.
So wie unsere Gesellschaft ein Schmelztiegel ist, den mehr oder weniger bedeutende Einwanderungswellen aufpeppten, so hat auch Literatur immer schon vereinnahmt, was jenseits ihrer Sprachgrenzen entstanden ist. Aber auch hier gibt es einen Unterschied zwischen Aktiv und Passiv, zwischen dem Vereinnahmen und dem Vereinnahmtwerden, dem Blick auf das eigene Milieu und den notwendigen Mitteln, es literarisch zu erkunden, und dem Schielen nach dem globalen Erfolgsrezept, der angesagten Strategie in einer hollywoodisierten Welt.
In der deutschsprachigen Krimiszene hat sich, noch bevor man das Wort Internet überhaupt kannte, einiges getan. Nach den eher biederen und manchmal brachial realisierten Versuchen, die Gesellschaft kriminalliterarisch zu analysieren, sind in den letzten beiden Jahrzehnten diverse Ansätze einer, nun nennen wir sie halt so: deutschen Nationalkrimiliteratur erkennbar geworden. Gemeint sind damit nicht die „Regionalkrimis“, so sehr sie uns auch besondere Bodenständigkeit vorgaukeln. Auch nicht die üblichen „Psychotriller“, deren Autorinnen auf den Waschzetteln der Verlage zuverlässig „Weltniveau“ erreichen und deren Baukastenattitüde doch von schreiender Provinzialität ist.
Doch wir wurden auch um Werke bereichert, die ihr „Deutschsein“ auf sehr originelle und angenehm unprätentiöse Art kundtun, seien es nun die historischen Krimis eines Robert Hültner, die zwischen Vergangenheit und Gegenwart irrlichternden und doch nicht desorientierten Romane einer Uta-Maria Heim, einer Elisabeth Herrmann, die lakonisch hitzköpfigen Österreichbilder Manfred Wieningers, das durchaus Experimentelle und dennoch nicht Unausgegorene Norbert Horsts, die politisch engagierten Krimis von Horst Eckert oder…
Nur einige Namen, die stellvertretend stehen für eine Richtung von „deutschem Krimi“, der zwar – wie könnte es anders sein – sich von Außen anregen lässt, dabei jedoch nie vergisst, wo er herkommt und wo er schließlich landen wird. Hier. In dieser Gesellschaft, in dieser sowohl mental als auch historisch sehr eigenen Stimmungslage.
Natürlich wäre es leichter, die erfolgreichen und eben verkaufsträchtigen Muster aus den USA oder Schweden zu übernehmen, die auf solche Produkte fixierte Leserschaft ist nach wie vor in der Überzahl. Oder sich, ganz Weltmann und Weltfrau, dorthin zu begeben, wo man rein medientechnisch ja längst ist: ins Globale, vornehmlich an solche Orte, die man früher „die Dritte Welt“ nannte. Dagegen ist nichts, aber auch gar nichts einzuwenden, auch nichts gegen das Lesen solcher „Krimiweltliteratur“, die aber genau das gleiche Problem hat wie die deutschsprachige. Sie zehrt von den fremden Mustern, sie kämpft stets um ihre Eigenständigkeit, sie wird von Protagonisten okkupiert, die beileibe nicht repräsentativ sind für die Kultur, deren Sprecher sie sein wollen, sondern eher für die herrschenden Verhältnisse, sie bestimmen nach draußen schließlich das Bild einer Kriminalliteratur, die dann vielleicht hierzulande „südafrikanischer Krimi“ heisst und merkwürdigerweise von weissen Autorinnen und Autoren dominiert wird.
Nun ist das, die Wahrnehmung außerhalb des eigenen Sprachraums, noch das geringste Problem unserer Kriminalliteratur, denn man kennt sie dort ja kaum und ist auch nicht sonderlich auf sie erpicht. Also ein guter Grund, nicht auch an den „internationalen Märkten“ interessiert zu sein.
Aber was dann? Eine Kriminalliteratur, die die eigene Mentalität und Geschichte in über die Jahrzehnte vorzüglich andernorts geschneiderten formalen Korsetts verstaut, durchaus auch mit Blick auf die eigene Erzähltradition, wobei es natürlich schade, wenngleich nicht zu ändern ist, dass wir weder einen Wilkie Collins noch Charles Dickens, weder einen Edgar Poe noch einen Georges Simenon hatten. Tragisch ist das dennoch nicht.
Wenn wir bisher von einer deutschsprachigen Kriminalliteratur gesprochen haben, muss spätestens jetzt der Einwand kommen, die österreichischen Kolleginnen und Kollegen machten ihren Sprachgenossen vor, wie sich nationale Eigenarten und Ererbtes in guten Texten unterbringen lässt. Und tatsächlich knüpft man in Österreich an allgemeine literarische Traditionen an, irgendwo zwischen abgründigem Witz, grantelndem Zynismus und zelebrierter Morbidität. Inwieweit solche literarischen Artefakte einen „Volkscharakter“ wiederspiegeln, vermag ich nicht zu beurteilen, aber sie scheinen mir erheblich näher an ihrem Publikum zu sein als ihre nördlichen Nachbarn.
Was also not täte, wäre ein zugleich konzentrierterer und unverkrampfterer Umgang mit den importierten Mustern, ein Sichbesinnen auf den Saft, in dem man brät, mag dies auch von den Befürwortern einer internationalisierten Kriminalliteratur als zutiefst selbstreferentiell und bieder gescholten werden. Aber gute Literatur war schon immer ohne den Bezug auf sich selbst und die eigene Tradition mit ihren Segen und Sünden undenkbar. Sie schottet sich nicht ab, ganz im Gegenteil. Sie handelt mit den Importen und wird nicht zu ihrer Sklavin, sie strebt nicht nach weltweiter Anerkennung, was eh nur den Produkten des kriminalliterarischen Hollywood gelingt, sie weiss, dass sie, um nicht als winziger Posten in einer Exportstatistik zu enden, dort bleiben muss, wo sie herkommt. Nur dann hat sie eine Chance, jenseits ihrer Grenzen wahrgenommen zu werden.
dpr