Und ein neuer Packen Zettel. Diesmal mit einem weißen Wal, der zu einem roten Faden gehört, ein wenig Idiotenbashing (business as usual) und ein paar kühnen Behauptungen. Und nun weiter im Text.
Zettel 101: Es gibt keine schlechten Krimis. Es gibt schlecht geschriebene, schlecht recherchierte, schlecht erzählte, schlecht verkäufliche Krimis.
Zettel 102: Es gibt keine guten Krimis. Es gibt gut geschriebene, gut recherchierte, gut erzählte, gut verkäufliche Krimis.
Zettel 103: Der Krimi rotiert im magischen Viereck von Autor / Verlag / Kritik / Leser und nimmt dort seine Form an.
Zettel 104: Mit der Kriminalliteratur ist passiert, was mit Literatur schon immer passiert ist. Sie ist in die Hände der Pedanten und Pensionsberechtigten geraten, des mit der Signalfarbe der Bildung angemalten Durchschnitts, der Besserwisser und Besserkönner. Das alles muss uns, weil der Regelfall, nicht irritieren. Sie schaden damit nicht der Literatur, sondern nur dem Zerrbild, das sie sich davon machen.
Zettel 105: Einer der ewigen Automatismen der Menschheitsgeschichte, im Großen wie im Kleinen, ist die wundersame Verwandlung von Tätern in Opfer. Aus Brandstiftern werden Biedermänner, wer das Gas andrehte, hatte doch selbst eine Pistole im Genick. Und in der Kriminalliteratur? Täter zu Opfern, Opfern zu Tätern, gibt’s natürlich, aber vielleicht mal genauer unter die Lupe nehmen.
Zettel 106: Gestern Abend zufällig in die letzte Verfilmung von „Moby Dick“ reingeraten, RTL. Ich liebe Werbeunterbrechungen, diese fünf Minuten, in denen sich eine Bande Gedanken zum Liebesakt mit überraschendem Ausgang trifft. Natürlich! Moby Dick! Das Tier! 1851! Nantucket, der tumbe Jüngling, der aus reiner Abenteuerlust zur See fahren will! Das ist Poes Arthur Gordon Pym, das ist kein Geheimnis, das wusste z.B. schon Umberto Eco. Aber der Zusammenhang von Moby Dick, dem Hobbes’schen Leviathan und dem Orang Utan in Poes „Die Morde in der Rue Morgue“? Danke, RTL.
Zettel 107: Früher musste, wer über die Abgründe der menschlichen Psyche schrieb, in Gerichtssälen und Psychiatrien oder den Morgenzügen des Personennahverkehrs herumsitzen. Heutzutage geht man ins Internet. Wie wird das die Kriminalliteratur verändern? Diese ständige Konfrontation mit Dumpf- und Dummheit, Wahn und Wollen in den Foren, den Chats und sozialen Netzwerken? Die Zukunft wird es zeigen.
Realitätenzettel: Gerade am Bäckerauto, Dialog Kundin / Verkäuferin: „Männer wollen immer unbestäubtes Brot. – „Ja, die verstehen das nicht.“ – „Genau. Das Auge isst doch mit.“ – „Nicht bei Männern.“ – „Nee. Für die ist das überflüssig.“ – „Die können sowieso nix mit Deko anfangen.“ – „Aber auch gar nichts. Immer nur nützlich, nützlich, nützlich. Deshalb gucken die auch nicht Rosamunde Pilcher.“ – „Meiner schon. Aber immer nur Meckern.“ – „Hm. Für das Schöne haben die keine Geduld. Die lesen auch nix außer Bauanleitungen.“ – „Ja. Oder so Krimis.“ – „Noch schlimmer. Darfs noch was sein?“
Zettel 108: Gerade in einer Verlagsvorschau wiederholt gelesen, der Autor führe seine Leser „erfolgreich in die Irre“. Aber, fügen wir automatisch hinzu, nur bis kurz vor Schluss, dann gibt es ein Happyend. Der Krimi als fortwährender und furchtbar harmloser Betrugsversuch, ins Leben springen, ohne dass einem dabei wirklich die Knochen brechen können. Der Ermittler-Protagonist entlarvt die Irreführer, er ist unser ausgelagertes Superhirn, der Komplettüberblicker, der Bestrafer. Frage: Was kompensieren wir da eigentlich krimilesend? Die alltägliche Irreführung OHNE Happyend?
Zettel 109: Es gibt Kriminalliteratur, die keine Fälle löst, sondern Fälle schafft.
Zettel 110: Jahresrückblick 2011 begonnen. Prospektiver Titel, frei nach REM: „Das ist das Ende der Krimiwelt, wie wir sie kannten.“ Nein, zu früh. Aber ein hoffnungsvolles Atom in einem Universum der hoffnungslos klischeeverbackenen Teilchen.