Was ist das Internet. Das Internet ist das Leben, also ein krimineller Ort. An ihm haust der Idealist einträchtig neben dem Intriganten, hier trifft sich intellektueller Tiefsinn mit der Facebookhymne „Bin gerade aufgestanden“, hier blättert man von einem Foto der syrischen Gräuel unvermittelt zu dem einer geschändeten Vierjährigen. Im Internet werden Geschäfte gemacht und zwar im doppelten Wortsinn, wobei der Teufel wie immer auf den größten Haufen scheißt. Es wird beschenkt und bestohlen, ge- und missbraucht, ein Philosophensatz besitzt die gleiche digitale Wertigkeit wie der Satz eines geistigen Brandstifters. Also, noch einmal: Das Internet ist das Leben ist ein krimineller Ort, eine Inszenierung, ein Konvolut von Texten, Literatur im Rohzustand, die darauf wartet, dramaturgisch hergerichtet zu werden, ein Krimi.
Und was braucht ein Krimi? Recht und Ordnung und Polizei. Oh ja! Dieser moralische Misthaufen! Gut und Böse schieben Arm in Arm wie ein Tanzpärchen über das Parkett, hier bedarf es dringend einer Trennung, wie sie der gute alte Ermittler aus dem guten alten Krimi zuverlässig vollziehen kann. Das ist schließlich Endzweck allen Krimis: Trenne das Gute von dem Bösen und bestrafe letzteres, damit auch der größte Depp mitbekommt, wie wenig es sich lohnt, böse zu sein.
Nur: Wie fange ich das an? Als erstes muss ich natürlich definieren, was Verbrechen eigentlich ist. Verbrechen im Internet! Oh, hier könnte ich Geschichten erzählen! Aber nein, ich habe sogar einen Roman darüber geschrieben, auf den ich hier nicht speziell hinweisen möchte, obwohl das Internet auch ein Ort der Eigenwerbung sein muss. Aber es gibt noch viele andere Verbrechen im Digitalen! Ich rede jetzt nicht von der manifesten Dummheit, dem also, was früher isoliert durch Gehirne schwurbelte, allenfalls am Frühstückstisch, im Büro oder am legendären Stammtisch öffentlich wurde, heute aber „Forumsbeitrag“ heißt oder „Statusmeldung“. Gegen Dummheit ist selbst der beste Autor machtlos. Die Dummheit der digitalen Brandstifter und Einfachstgestrickten, die hier ihre Brandbeschleuniger ins Virtuelle werfen. Ihnen begegnet man am besten mediengerecht mit dem digitalen Arschtritt.
Nein, reden wir von Diebstahl. Dem an „geistigem Eigentum“. Und müssen uns sofort wieder fragen: Ja, was ist das? Früher war es doch so: Geistiges Eigentum war in den meisten Fällen an physisches gekoppelt. Du hast eine tolle Idee? Okay, biete sie einer Zeitung, einer Zeitschrift an oder schreib doch gleich ein Buch. Das Dumme dabei: Man musste erst einmal eine Zeitung, eine Zeitschrift, einen Verlag finden, die/der die tolle geistige Idee veröffentlichte. Hatte man das geschafft, war man fein raus und konnte sein geistiges Eigentum schwarz auf weiß als Gegenstand mit sich herumtragen. Die Zeitung, die Zeitschrift, das Buch waren so etwas wie die Besitzurkunde für mein geistiges Eigentum, wobei wir aber zwischen Besitz und Eigentum unterscheiden müssen, tut mir also leid, wenn es jetzt juristisch wird. Ganz kurz: Eigentum ist die rechtliche Verfügungsgewalt über eine Sache, Besitz die tatsächliche. Heißt konkret: Was mit dieser „Sache“, also meiner tollen Idee, meinem tollen Buch, geschieht, wie ich sie verwerte, wie ich sie verändere, verkaufe, verleihe etc., entscheide ICH, der Eigentümer. Der Besitzer, derjenige also, der im Normalfall sich die Zeitung, die Zeitschrift, das Buch mit meiner tollen Idee gekauft hat, kann darüber soweit verfügen, wie die Rechte des Eigentümers, meine in diesem Fall, davon nicht tangiert werden. Noch kürzer: Der Besitzer kann lesen, er kann sich inspirieren oder abschrecken lassen, er kann – darauf lege ich als Autor sogar größten Wert – meine tolle Idee als Grundlage dafür nehmen, selbst auf tolle Ideen zu kommen.
Jetzt muss ich eine klitzekleine autobiografische Schnurre loswerden. Vor etlichen Jahrzehnten – ich fürchte, es sind schon vier – schrieb ich auch einmal neckische Gedichte. In einigen davon neigte ich zum Wortspiel und eine meiner Schöpfungen hieß: BRDigung. Ich war ziemlich stolz darauf, aber leider konnte ich das entsprechende kleine Werklein nirgendwo platzieren, weder in einer Zeitung, einer Zeitschrift, gar einem Buch. Jahre später las ich „mein“ geistiges Eigentum „BRDigung“ unvermittelt in einer Zeitung, einer Zeitschrift, einem Buch, ich weiß es nicht mehr so genau. Natürlich war ich entrüstet! Man hatte mich bestohlen! Herr Kommissar, tun Sie Ihre Pflicht! Gut, es war kein vorsätzlicher Diebstahl, denn dieser BRDigungs-Zweitverwerter konnte von mir, dem Schöpfer nichts ahnen, mein Gedicht war ja niemals veröffentlicht worden. Hm… aber warum eigentlich nicht. Ich schwöre, dass mein Gedicht besser war als das meines Nachfolgers, die wahren Schuldigen saßen also in irgendwelchen Redaktionen von Zeitungen und Zeitschriften oder in den Lektoraten. Hätte es damals schon Internet gegeben, gewiss wäre mein Gedicht dort „erschienen“, ich hätte das ja bequem selber machen können. Und dann einfach abwarten, bis sich jemand erdreisten würde, mich zu bestehlen…
Gut, die Sache hat gleich mehrere Haken. Vielleicht bin ich nämlich gar nicht im Besitz der geistigen Eigentumsrechte an „BRDigung“, vielleicht hat mein Nachfolger diese Wortschöpfung vor mir erdacht, im Hinterkopf behalten, bis sich die Gelegenheit bot, sie in einem Gedicht unterzubringen, vielleicht hat er sein Gedicht wie sauer Bier angeboten, jahrelang, bis er endlich Erfolg hatte. Das aber hatte ich nicht getan und deshalb brauchte ich mich auch nicht zu wundern. Ein weiterer Haken: Nicht auszuschließen, dass WIR BEIDE Diebe waren. Dass ein dritter… vielleicht sogar in gedruckter Form… man kann ja nicht alle papiernen Produkte durchforsten, bevor man selbst… und dann auch noch GEDICHTE, ich bitte Sie! Das hält doch kein Mensch aus!
Dritter Haken: BRDigung. Na und? Das ist ein Wort! Nichts weiter! Die viel größere geistige Leistung besteht doch darin, es in einen literarisch wertvollen Kontext zu bringen! „Hiermit beantrage ich die geistigen Eigentumsrechte an der Wortschöpfung BRDigung und werde jedwede illegale Nutzung meines Eigentums gnadenlos und unter Ausschöpfung der gesetzlichen Bestimmungen…“ – nein, zu blöd.
Aber in Ordnung. Das war zu einer Zeit, da geistiges Eigentum an materielles gebunden war. Heute ist das anders geworden, heute stelle ich mein geistiges Eigentum frohgemut und inflationär in den kriminellen Raum Internet. Ich bin Teil einer egalitären Tauschgesellschaft von Gedanken, von sinnigen wie unsinnigen, guten wie schlechten. Ich fühle mich unwohl, denn ich weiß: Man wird mich bestehlen, so oder so. Man wird mich zitieren, ohne meinen Namen zu nennen, man wird meine Wörter zu seinen machen, mein Gutes wird zum Bösen der anderen. Ich fühle mich also unwohl, ich fühle mich bedroht, ich muss beschützt werden. Ich verlange, dass das Internet endlich ein richtiger Krimi wird! Dass es einen Ermittler gibt, eine Mischung aus Sherlock Holmes und Father Brown, Miss Marple und Martin Beck, nein, Philip Marlowe bitte nicht, der unterscheidet mir zu nonchalant zwischen Gut und Böse, so einen kann ich nicht gebrauchen. Ich brauche einen richtig naiven Gesetzeshüter von echtem Schrot und Korn, der noch an das Gute glaubt, der mir am kriminellen Ort Internet all den Schmutz aus dem Weg räumt, damit ich mich dort bewegen kann wie nur je ein Kindergartenkind im Räuberwald. Ich verspreche auch, keine Gedichte mehr zu schreiben.
Au jaaah! Sowas will ich auch. Bei garantierter Freistellung von Kosten für die Aus-dem-Weg-Räumer und lebenslänglich auskömmlichem Einkommen!
Mehr, mehr!(Häwelmann)
Es muss im Leben mehr als alles geben! (Sendak)