Ich mag sie nicht, diese großen und letzten Fragen. Was ist der Sinn der Lebens? Entweder du schreibst ein zehnbändiges philosophisches Traktat darüber oder kommst zu dem Schluss, es sei der Sinn des Lebens, endlich einmal deine Plattensammlung alphabetisch zu ordnen. Warum also die Frage, was ein Krimi sei? Ganz einfach: Weil ich gerade ein Buch lese, das kein Krimi ist – und doch der spannendste Krimi, den ich seit langem gelesen habe.
Hallgrimur Helgasons 600-Seiten-Roman „Vom zweifelhaften Vergnügen, tot zu sein“. Ein alter Schriftsteller erwacht auf einer Wiese in einem einsamen Tal im Innern Islands. Eigentlich Altenheimbewohner, wittert er zunächst eine Entführung. Oder will man ihn nur loswerden? Er findet Unterschlupf bei einer Schafbauernfamilie und stellt irgendwann fest, sich nicht mehr im aktuellen Jahr 2000 zu befinden, sondern im Jahr 1952. Noch länger dauert es, bis ihm das ganze Ausmaß der mysteriösen Situation klar wird: Es hat ihn in einen eigenen Roman verschlagen!
Aber ich möchte jetzt nicht zu einer länglichen Rezension ansetzen, sondern an einem Detail aufzeigen, warum mich dieses Buch an einen Krimi erinnert und mich ähnlich wie ein solcher in seinen Bann zieht und in mir Mechanismen auslöst, die ich so nur von Krimis kenne.
Nachdem es dem Schriftsteller klargeworden ist, wo er sich befindet, beginnt ein verwirrendes Spiel um Wirklichkeit. Ist alles so, wie es sein sollte? So, wie es geschrieben wurde? Was ist Erfindung (Fiktion), was ist aus der Wirklichkeit übernommen und in Fiktion verwandelt worden? Gibt es eine Eigenentwicklung der Geschichte, auf die der Autor keinen Einfluss mehr hat? Biegt er sich die Wirklichkeit nur zurecht? Lügt er gar?
Diese Fragen beschäftigen nicht nur den in sein Werk ausgesetzten Autor, sondern auch mich, den Leser. Und sie tun das wie ein Kriminalroman. Bei dem ich ja auch nicht weiß, ob das, was dort geschildert wird, Wirklichkeit ist oder Trug. A gibt vor, er habe die Nacht allein verbracht. B bestreitet das. Wie war es tatsächlich?
Mir ist klar, dass ich dem Autor (und damit auch dem Ich-Protagonisten) nicht trauen darf, dass hinter den alltäglichen Abläufen Abgründe lauern. Nichts von dem was ich lese (und ich lese automatisch langsamer, lauernder) muss das sein, was es zu sein vorgibt.
Ein Krimi schildert eine Wirklichkeit, die nicht „stimmt“. Eine Welt, in die wir misstrauisch eintreten, die uns düpiert, enttäuscht, in Spannung versetzt, einlullt, in der wir uns wohlfühlen, vor der wir Angst haben. Eine Krimi ist Abbild der Wirklichkeit. Wenn wir nicht gerade die langweiligste aller vorstellbaren Existenzen leben, in der alles so ist, wie es den Anschein hat. Oder man uns das weißmachen will.
(Das war die erste Lieferung einer Reihe mit dem Namen „Denkstapel“, auf den alles geknallt wird, was meiner nervösen Schreibhand gerade so einfällt. Könnte sein, dass dieser Stapel später einmal fein säuberlich abgearbeitet wird… Wer dieses Stapelgekritzel kommentieren möchte, sollte es tun.)