Der deutsche Ex-Offizier und Geschäftsmann Kanter kehrt zurück in die geteilte Stadt Beirut, in der sich Christen und Moslems auch in Zeiten des Stillstands erbitterte Gefechte liefern. Er ist auf der Suche nach Erlösung, die er zu finden glaubt, wenn er den Verantwortlichen tötet, der ihn verhört und gefoltert hat, der ihn in zermürbenden, von körperlichen und geistigen Qualen durchsetzten Wochen auf ein menschliches Nichts reduziert hat, ohne Hoffnung, ohne Würde.
Am Ende einer Odyssee durch eine Stadt, eine Region, die dem Untergang geweiht ist, stellt Kanter seinen Folterer George Chehada – und wer jetzt denkt, aha: Showdown! hat so ganz unrecht nicht. Aber Voss beendet seinen Roman nicht mit einem schnöden Akt der Selbstjustiz; sein Schluss ist profaner und doch diffiziler als der gewalttätige Abschluss einer konsequent ausgelebten Racheodyssee es sein würde.
Chehada, der willfährige Lakai eines aus den Fugen geratenen Systems, ist ein Getriebener, ein Gefangener seiner vielfältigen Ängste und Lebenslügen, mit denen er sich verzweifelt und letztlich vergeblich einzureden versucht, dass alle Gräueltaten, die er begeht, gottgewollt sind, und selbst ein Mord aus Lust eine göttliche Prüfung darstellt. Opfer müssen gebracht werden, wenn es DER Sache dient; die diesmal jene ist, die sich „christlich“ nennt. Was natürlich austauschbar ist, aber auch hier verweigert sich Voss dem einfachen Weg, in dem er den Moslems nicht einfach den Schwarzen Peter zuschiebt.
Chehada, dem dunklen Gegenstück Kanters, fehlen vor allem zwei Zutaten in der Suppe des Lebens: Freundschaft und Liebe. Beides darf Kanter erfahren, und so, während die äußere Situation immer weiter zum offenen Krieg eskaliert, ein mildes Happy End erleben.
Willi Voss hat mit „Gegner“ nicht nur einen spannenden Thriller geschrieben, sondern einen Roman, der die Situation im Nahen Osten schnörkellos und treffend skizziert, und dadurch die Perversion dieses politischen und weltanschaulichen Schlachtfelds, dessen ideelle Gemetzel bis in den Familienverbund reichen, entlarvt. Ich weiß nicht, ob er DEN Beirut Roman geschrieben hat, aber eine kluge und spannende Reise ins dunkle Herz dieser Stadt ist ihm allemal gelungen.
Traurig nur, dass der ursprünglich 1983 erschienene (und dezent zur Jahrtausendwende überarbeitete) Roman, kaum etwas von seiner Aktualität verloren hat. Die Namen der Städte, der Regionen mögen sich ändern, die (selbst)zerstörerischen Ideologien und Aktionen bleiben.
Jochen König
Willi Voss: Gegner.
Schmidt Verlag; Mediaprovo 2001 & 2003,
Reprint des vom Autor überarbeiteten Romans „Gegner“ von E.W. Pless (Voss-Pseudonym)
Gustav Lübbe Verlag + Schweizer Verlagshaus 1983