Wie in vielen US-amerikanischen Städten leben auch in Baltimore eine große Zahl armer Afroamerikaner und gibt es dort große Probleme mit Drogen- und Beschaffungskriminalität. In der Vergangenheit haben sich Laura Lippmans Bücher mit derartigen Themen wenig beschäftigt. Mit „No Good Deeds“ hat sie sich nun dieser Thematik angenommen.
Lloyd Jupiter ist ein 16jähriger dunkelhäutiger Straßenjunge; er lebt nicht bei seinen Eltern, hat keinen Schulabschluss und tingelt durch die Übernachtungsherbergen der Stadt. Zufälligerweise gerät er an Tess Monaghans Freund Crow, der ihn für eine Nacht mit nach Hause nimmt und genauso zufälligerweise entdeckt Tess, dass Lloyd etwas über die Ermordung eines jungen Staatsanwaltes zu wissen scheint. Da Tess als Beraterin der regionalen Zeitung tätig ist, kommt eins zum anderen und die Zeitung druckt einen Artikel, in dem einige von Lloyds Beobachtungen zu lesen sind. Bald danach taucht Lloyd bei Crow auf. Er fürchtet um sein Leben und bittet Crow um Hilfe. Dieser beschließt mit Lloyd unterzutauchen.
Es ist ein recht munteres Spielchen, das Lippman im Weiteren aufzieht. Tess weiß nicht, wo Lloyd und Crow sich aufhalten. Um Tess erpressen zu können, werden sie und ihre Familie von Ermittlern ausführlich durchleuchtet und in der Folge gerät sie zunehmend unter Druck, ihnen Namen und Aufenthaltsort des Zeugen mitzuteilen; die Ermittler selber handeln ohne Kenntnis ihrer Vorgesetzten und scheinen ihrer eigenen Agenda zu folgen.
Laura Lippman führt ihre Serie um Tess Monaghan in Dimensionen, die man ihr vor wenigen Jahren nicht zugetraut hätte. Die Grenzen zwischen Gut und Böse sind ähnlich aufgebrochen wie die Eisschollen auf dem Gemälde Eismeer von Caspar David Friedrich. Nicht nur dass die Ermittler sich untereinander nicht ganz einig sind, sie arbeiten auch ohne Auftrag ihrer Vorgesetzten und versuchen alles, um einen Keil zwischen Tess und ihre Freunde und Familienangehörigen zu treiben.
Dabei hat Lippman es schon lange aufgegeben, dass der Schwerpunkt der Darstellung bei Tess liegt. Sie wechselt mittlerweile recht großzügig die Perspektive, ohne dabei den Rhythmus der Erzählung zu stören. Zu den weiteren Personen, aus deren Perspektive sie schildert hält sie allerdings einen größeren Abstand und gibt Informationen nur insoweit preis, als diese spannungsdienlich sind.
Der Figurenzoo, den Lippman um Tess gruppiert hat, wirkte immer schon recht pittoresk, aber er schien mir nicht unbedingt zwingend zu sein. Dadurch dass Lippman sich von Tess ein wenig löst, machten diese Menschen mit ihren Eigenarten mehr Sinn und sie bekommen ihre Funktionen im Gefüge der Geschichte. Im letzte Kapitel des Buches wechselt Lippman dann (zum erstenmal ?) in die Ich-Perspektive und zwar in die von Crow, der in „No Good Deeds“ im Vergleich zu früher eine bedeutendere Rolle einnimmt. Möglicherweise spielt er ja zukünftig eine noch zentralere Rolle, womöglich sogar die zentrale Rolle – hat man ja alles schon geschehen.
Lippman schwimmt sich frei von Vorbildern klassischer Detektivgeschichten (mit Heldin). Nachdem sie mehrere hervorragende Einzelbücher vorgelegt hat, präsentiert sie mit „No Good Deeds“ eine wunderbar komponierte und vielschichtige Geschichte und das bisher beste Buch ihre Serie um Tess Monaghan.
Laura Lippman: No Good Deeds.
HarperCollins 2007. 383 Seiten. 6,98 €
(noch keine deutsche Übersetzung)