Der Krimi lässt vieles mit sich machen, mehr oder weniger klaglos, wenn man das Ächzen im Gebälk der Story, der Sprache, der Intention gnädig überhört. Eine Prise Krimi als geschmackliche Verfeinerung, der Spannungskick als Einschlafverhinderungshilfe und, versteht sich, schlagendes Verkaufsargument. Die entscheidende Frage lautet dann zuverlässig: Würde der Text auch ohne das Krimikorsett eine gute Figur machen und, falls ja, warum braucht er dann überhaupt diese Stütze? Bei Michael Molsners „Dich sah ich“ fällt die Antwort leicht: Ja, macht eine gute Figur, doch, Krimi kann nichts schaden.
Michael Molsner? Wir erinnern uns. Als Krimiland noch nicht Boomland hieß, in den schaurigen 70ern und 80er also, gehörte Molsner zum deutschen Genreadel. Mit Preisen überhäuft, ein – jetzt wirklich im weitesten Sinne – Vertreter des „Soziokrimis“, des Versuchs also, dem Genre etwas politisch-soziale Wirklichkeit einzuschreiben. Auch als Drehbuchautor ein Mann mit Meriten, kann sich Molsner rühmen, für die einzige „Tatort“-Folge („Tote brauchen keine Wohnung, 1974) verantwortlich zu sein, die nicht in den dritten Programmen auf Endlosschleifen-Wiederholungstournee ging. Zu offen, zu politisch, zu anstößig, „linkslastig“ nennt’s der Volksmund.
Aber: Schnee von gestern. Molsners neuer Roman, „Dich sah ich“, ist kein Krimi – keinesfalls, obwohl er wie einer beginnt und wie einer endet. Bei einem Bombenattentat wird Charmaine Kluth verletzt. Sie fällt ins Koma, Zustand kritisch. Der Erzähler, Charmaines beinahe lebenslanger Geliebter, erinnert sich nun an seine Zeit mit dieser Frau, die einst seine Englischlehrerin war und ihn, den damals 18jährigen, „verführte“. Dieser Erzähler, Michael Ratys, arbeitet als Journalist, Krimiautor und Drehbuchschreiber, ist also erkennbar so etwas wie ein alter ego des Verfassers, autobiografischer Kitt für eine fiktive Geschichte. Die handelt von einer seltsamen Liebe. Ein Fest der Körperlichkeit, man gibt den Geschlechtsorganen neckische Namen, trifft sich heimlich, verliert sich dann für Jahre aus den Augen, trifft sich wieder, landet zwangsläufig im Bett. Charmaine ist inzwischen mit dem Juristen Monty verheiratet und hat drei Kinder von ihm – na ja, bei der ältesten Tochter hatte wohl eher Ratys seinen Genpool beigesteuert. Es sind die famosen achtundsechziger Jahre mit ihrer Politisierung auch des Privaten, man veranstaltet „Marx-Kränzchen“ im mehr als gutbürgerlichen Ambiente eines befreundeten Industriellen, man macht Karriere – und liebt sich weiter. Charmaines Mann toleriert das Verhältnis offensichtlich, auch Ratys hat eine offizielle Lebensgefährtin. Das alles wird von Molsner in leichtem, nicht seichtem Stil erzählt, selbst die politischen Passagen sind angenehm unaufdringlich, ein vom Schleier der vergangenen Zeiten abgemilderter Bericht ohne missionarische oder denunziatorische Absichten. Die Geschichte einer großen und dennoch fast flüchtigen Liebe, eine körperliche Synthese, der die ausufernden Gesten fehlen.
Man entwickelt sich und die gemeinsamen Schäferstündchen bleiben die verlässliche Konstante, während die Zeit einen fortreißt. Bis ins höhere Alter, bis zu jenem Moment des Bombenattentats, bis zum „Krimi“ also. Der nun erinnert mich an Wilhelm Raabes „Stopfkuchen“, einen Roman, der das Spannungselement, dieses notorische „Wer war’s denn nun?“ virtuos einsetzt, um nicht nur die Protagonisten, sondern auch die Leser bei der Stange zu halten. Spannung als Mehrwert, ich sagte es bereits. Auch Molsner operiert mit diesem roten Krimifaden, ohne den seine Geschichte dennoch funktionieren würde. Das kriminelle Element (eine Erpressung, ein Mord kommen hinzu) treibt die Handlung voran, strukturiert sie und das lässt sie denn doch über das rein Dekorative, Ornamentale wachsen. Man bräuchte dieses „Krimi“ also nicht, doch schön, dass es vorhanden ist. Ein unaufgeregter Roman also. Und ganz am Ende ist es wie am Anfang: Unser Liebespaar landet im Bett.
Michael Molsner: Dich sah ich.
Oktober Verlag 2011. 300 Seiten. 14 Euro
Rezension gelungen. Abschluss etwas ungenau!
Danke! Mach ich beim nächstenmal besser!