Ich habe mich dagegen gesträubt. Jeden Werktag um 17 Uhr 40, als eine Hand zur Fernbedienung greifen wollte, die ihr dann die andere, vernünftigere im letzten Moment entwand. Typischer Fall von gespaltener Persönlichkeit. Wem zu verdanken? ARTE.
ARTE nämlich wiederholt seit geraumer Zeit „The Avengers“, jene Serie, die hierzulande als „Mit Schirm, Charme und Melone“ längst legendär geworden ist. John Steed und Emma Peel, very british, Ironie und Sex, Verschrobenheit und die Serienmuster der Sechziger, verrückte Wissenschaftler züchten denkende Pflanzen, sinistre Geheimdienstler werden per Tanzkurs nach England eingeschleust, Mörder gehen senkrecht die Wände hoch. Aber vor allem: Emma Peel. Lederhaut und Minirock, Kampfsport und unterkühlter Humor. Irgendwie Modesty Blaise (die weichgespülte Version), keinesfalls mit dem aktuellen schwedischen Verschnitt aus Herrn Larssons Büchern zu verwechseln, das hat Emma nicht verdient.
Emma. Einen ungünstigeren Zeitpunkt, ihr über den Weg zu laufen, hätte es gar nicht geben können. Man stakste durchs Niemandsland zwischen Noch-Kindlichkeit und Fast-Pubertät, ergötzte sich an der Kampfmaschine Emma und spürte doch schon bauchkribbelnd die glorreiche Zukunft des Sexsymbols Emma. Kurzum: Ich war schwer verliebt in sie respektive ihre Darstellerin Diana Rigg, ohne zu wissen, warum.
Das hatte Auswirkungen auf den Blick, mit dem man die Episoden der Serie betrachtete. Es war irgendwie witzig, irgendwie skurril, es gab Action und, heute weiß mans, die immergleiche Seriendramaturgie. Ja, heute weiß mans. Und das ist der Punkt. Was würde passieren, sähe man die Serie nun mit den Augen eines Erwachsenen? Meine Bedenken habe ich vor kurzem bei →Thomas Klingenmaier kundgetan: Sich retrospektiv mit den Comic- und Fernsehhelden seiner Jugend zu beschäftigen, ist im günstigsten Falle milde nostalgisch, im ungünstigsten brutal ernüchternd. Also sollte man es lassen. Also sollte man es lassen? Leicht gesagt. Die eine, die unvernünftige Hand, siehe oben, war am Ende doch stärker; und so schaue ich, wenn es meine Zeit erlaubt, eben die alten Avengers-Folgen noch einmal und versuche zu begreifen, warum – ja, was eigentlich? Warum sie mir immer noch gefallen?
Denn das ist die Überraschung: Ich kann mich auch vier Jahrzehnte später noch immer an diesen Filmchen erfreuen, trotzdem nicht zu übersehen ist, wie sehr sie dem gesunden Menschenverstand eine lange Nase drehen. Nun ist das natürlich kein Kriterium. Die Serie hatte nie etwas mit gesundem Menschenverstand und seiner Logik zu tun, genau das war ja ihre Stärke. Aber manchmal jault man dennoch auf, wenn es allzu knüppeldick auf einen niederprasselt. Nehmen wir als Beispiel die Folge „Das 13. Loch“.
Emma Peel und John Steed werden mit dem Tod eines Agenten konfrontiert. Sie finden sehr schnell (eine Folge dauert ja nur 50 Minuten!) heraus, dass sich der Ermordete bevorzugt auf einem Golfplatz herumtrieb. Eigentlich hätte er „Wissenschaftler“ überwachen sollen (warum eigentlich, wird nicht näher erläutert). Die beiden Helden schleichen sich als neue Mitglieder in den Golfclub ein und stellen (wieder verdammt schnell) fest, dass einer der Wissenschaftler zweimal täglich zu festgelegten Zeiten mit einem Techniker auf dem Platz golft, morgens um 11 und mittags um 15 Uhr. Und immer verschwinden sie am 13. Loch…
Wie es sich für einen guten Krimi gehört, lernen wir in der Folge eine Reihe höchst verdächtiger Personen kennen, von denen einer – natürlich der unverdächtigste – der ominöse „Chef“ von etwas sein muss, über das wir bis kurz vor Schluss fleißig zu rätseln haben: den sinister-debilen Platzwart (und ausführenden Killer), einen alerten Golflehrer, einen Anfänger auf dem Grün und ein reichlich geschwätziges Mitglied des Clubs. Nachdem Steed und Peel bei ihren Recherchen allerlei Mordanschlägen entgangen sind (führerlose Golfwagen, heimtückisch aus dem Hinterhalt abgefeuerte Golfballkanonen, die wie Panzerfäuste aussehen, Sprengstoff im Zielloch), wird das Geheimnis rechtzeitig vor dem Showdown gelüftet. Unter dem 13. Loch gibt es einen Raum, in den der Wissenschaftler und der Techniker zweimal täglich verschwinden, um mit einer „fremden Macht“ (guess who) Kontakt aufzunehmen. Und zwar immer zu festgelegten Zeiten, denn das ist der Clou: In den prädigitalen Zeiten ist ein solcher Livekontakt nur möglich, indem man einen Weltraumsatelliten (mit eindeutig russischem Namen) anzapft. Um dies zu können, muss sich der Satellit direkt über dem Golfgelände befinden, damit der Wissenschaftler auf direktem Wege seine Forschungsergebnisse dem Feind verklickern kann.
Ja, und da hörts eigentlich auf. So ein Blödsinn! Warum bauen die ihre Funk- und Fernsehzentrale ausgerechnet unter dem 13. Loch? Und müssen sich einen abkämpfen, stets zu genau festgelegten Uhrzeiten ihre Partie zu spielen? Ginge das auch nicht anderswo, in einem diskreten Keller vielleicht? Nein, natürlich nicht. Die Episode braucht das Ambiente des Golfclubs, so wie es manchmal das eines Heiratsinstitutes braucht oder einer Tanzschule, obwohl auch das höchst unlogisch, weil viel zu auffällig ist. Sei’s drum.
Der vernünftige Teil in mir hadert also mit der Logik von „The Avengers“. Der unvernünftige aber flüstert: Eh, macht doch nichts. Erzähl mir bloß nicht, du würdest dich für die Fälle, für die Action, für die Dramaturgie interessieren. Das ist tempi passati. Inzwischen hast du die Pubertät – hoffentlich – halbwegs überwunden, und wenn du dir die Filmchen anguckst, dann nur, um noch einmal zu überprüfen, ob Emma Peel auch heute noch als Sexsymbol taugt. Und siehe: Sie tut es. Man ist immer noch ein wenig in sie verknallt, mag Diana Rigg inzwischen auch über 70 sein und Emma Peel schon seit Jahrzehnten nicht mehr im Dienst. Denn sie war von Anfang an verheiratet, was man damals verdrängt hat. Bis in der letzten Folge ihr verschollen geglaubter Mann wieder auftauchte und MRS. Peel heim an den häuslichen Herd eilte. Womit die Serie, munter fortgesetzt, eigentlich erledigt war.
Fühle ich mich jetzt eines Zaubers meiner Jugend beraubt? Nein. Also kann ich mir auch die restlichen Folgen getrost ansehen.
Ich habe die Serie als halbwegs Erwachsener (also eher letzt) immer genossen, weil ich die Selbstironie so schön fand. Aber Krimi? Das ist doch Spionagegenre, oder?
Also ich habe Schwierigkeiten damit. Ich bin trotz nostalgischer Gefühle wieder ausgestiegen, auch wenn Emma Peel gut ist (ihr männlicher Gegenpart gibt nichts her). Was aber interessant ist, sind diese leeren Räume und diese gespenstische Ruhe.
Aber insgesamt doch lieber Magnum.
Ja, das ist aber klar, denn die Serie war nur was, als Emma Peel dabei war. Und dann wohl mehr was für pubertierende Männer. Wie dpr und mich.
Mitschuldig, in allen Punkten der Anklage.
übrigens hat 1961 auch die Karriere von John Le Carré begonnen, und 1962 kam mit „Dr. No“ der erste 007-Film in die Kinos. Irgendjemand hat da schon bedeutungsschwere Zusammenhänge gebastelt (sonst wüßte ich das nicht), aber ich kann nicht finden, wer es war …
Beste Grüße!
Ich hab eh den Verdacht, dass die Serie bei Frauen weniger beliebt war- eben wegen Emma Peel. Das war doch mal was anderes als die biederen Mädels! Und diese Klamotten! Sind mir damals gar nicht aufgefallen. Aber jetzt.
bye
dpr
Ich habe mir damals immer gewünscht, unsere Pausenhofaufsicht, in die ich ebenfalls sehr verliebt war, würde mal Emma Peels Lederpellen tragen. Ich konnte auch keine Klassenzimmertür von innen ansehen, ohne mir vorzustellen, wie sie gleich unterm Karateschlag eines MSCuM-Roboters nachgeben würde, der uns befreien käme. So habe ich dann schon den Grundschulunterricht kaum mitbekommen und musste später Journalist werden. Emma, you done me wrong….(/bluesgeklampfe)
Ja, ich hab mich auch schon gewundert, warum sich so viele früh gescheiterte Existenzen auf den Journalismus gestürzt haben. Da kriegt die Wahrheit einen mit der Handkante resp. prallt an einem ab wie an einer Lederhaut, statt zu recherchieren wird kombiniert und jede Praktikantin in effigie flachgelegt (Em..ah..könntest du heute Überstunden machen?). Am konsequentesten die Krimikritiker, die sich um das Genre, dem das frühe Scheitern zu verdanken ist, fortan von berufswegen kümmern.(/raggaegeschrammel: No woman no cry)
bye
dpr