Tori Amos: Strange Little Girls


„Strange Little Girls“ist kein Märchenalbum, das Sagen über seltsame, kleine Mädchen verbreitet. Ebenso wenig ist es ein gewöhnliches Studioalbum einer Frau, die über Jahre hinweg mit ihrer Musik nicht nur Männerherzen verzaubert hat. Die rothaarige Sängerin Tori Amos hat sich ein neues Konzept zurechtgelegt, um den Tour-Studioalbum-Tour-Zirkel aufzulockern: Man nehme Songs männlicher Künstler und packt diese auf eine Platte.

Zuvor arrangiert man sie um, damit sie halbwegs zum eigenen musikalischen Werdegang passen. Amos „interpretiert sie aus der Sichtweise verschiedener weiblicher Charaktere“. Eine Frau betrachtet die Gleichgeschlechtlichen aus der Sicht des Mannes sozusagen. „Ich fand es immer faszinierend, wie Männer Dinge sagen und wie das Gesagte dann von Frauen empfangen und verstanden wird“, erläutert Amos. Dies in Form von Neuinterpretationen auf einem Album umzusetzen erfordert artistische Spagatübungen. Denn wer hätte von der manchmal zartbesaiteten Sängerin erwarten können, einen Trash Metal-Kracher wie „Raining Blood“ von den gnadenlos brutalen Slayer nachzuspielen. Von Härte und Aggression ist in der Amos-Version nichts mehr zu spüren. Stakkato-Riffs und Brüllgesang wichen düsteren Waber- und Pianosounds und einer zerbrechlichen, bedrückten Stimme.

Amos schlüpft für jeden Track in eine andere, für sie meist neue Rolle und reißt die Songs aus ihrem bisherigen Kontext und gibt den Texten eine andere Sichtweise. Sie verdreht die Perspektiven. Daher auch zu jedem Song ein passendes Portraitfoto, umgesetzt von Fotograf Thomas Schenk. Die Spanne reicht von College-Girl, Britney Spears-Verschnitt und Gestapo-Gespielin über französisches Model bis hin zum Vamp.

„Strange Little Girls“ ist eine durchweg ruhige Angelegenheit. Viele Gründe zum Lachen gibt Amos dem Hörer nicht. Eine bedrückte, fast gruselige Stimmung liegt über den Songs, die aus den Federn von Eminem („’97 Bonnie & Clyde“), 10 CC („I’m Not In Love“), Joe Jackson („Real Men“), The Beatles („Happiness Is A Warm Gun“), Depeche Mode („Enjoy The Silence“), Lou Reed („New Age“), Neil Young („Heart Of Gold“), The Stranglers („Strange Little Girls“), Tom Waits („Time“), Lloyd Cole („Rattlesnakes“) und den Boomtown Rats („I Don’t Like Mondays“) stammen. Aber wie gesagt: Das sind alles andere als gewöhnliche Nachspielereien. Amos hat sich Mühe gegeben, die Vorlagen zu entfremden und so geschickt ihrem bisherigen Schaffen anzupassen. Eine Platte für trübe Tage. Für einsame Stunden im Dunkeln. Für Traurigkeit. Für den Herbst.

Im Rahmen der derzeit laufenden Tour wird Tori Amos zum ersten Mal seit 1994 wieder ohne Band auftreten und ihre Songs nur mit Piano untermalen.

Tori Amos: Strange Little Girls
(AtlanticEastWest)

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