Fast eine Dekade mußte vergehen, bis Fredric Dannens „Hit Men“ (Originalausgabe 1990) in Deutschland erschien. Warum eigentlich? Nicht nur, dass die Beschreibungen der weltgrößten Tonträgerbranche auch in der drittgrößten interessieren dürften – selbst die Hauptdarsteller, also die marktführenden US-Labels, sind naturgemäß Global Players, und zwar schon lange, bevor der Begriff in Mode kam. Namen wie CBS, Warner, Atlantic und Geffen sind hüben wie drüben vertraut. Ebenso Interpreten wie Pink Floyd, Michael Jackson, Whitney Houston… Allerdings, das sei vorausgeschickt: sie tauchen nur gelegentlich auf, spielen höchstens an der Peripherie eine Rolle. Nicht musikalische Innovationen und kreatives Potential, sondern Zufälle, technische Neuerungen und Börseneinbrüche bestimmen, wo´s langgeht in der „Musik“. Der Leser, unter Schock stehend, betrachtet seinen Plattenschrank erstmal mißtrauisch, verwirrt, verunsichert. All die Alben – nicht kultureller Ausdruck ihrer Zeit, sondern willkürlich auf den Markt geworfene Spielzeuge von Männern, die keine Tonhöhen unterscheiden können?
Dannen hat sich für eine radikal personifizierte Erzählform entschieden und damit sein Urteil gefällt: nicht Marktmechanismen oder Wirtschaftsprozesse entscheiden letztlich, sondern Menschen. Das Namenskarussell dreht sich schneller als bei Dostojewskij, und die geschilderten Szenen unterbieten oft sogar Pulp-Niveau. Auch, weil Dannen eine Vorliebe für „Typen“ hat: an vulgären Exzentrikern wie CBS-Chef Walter Yetnikoff lässt sich das Metier offenbar trefflich illustrieren. Höhenflüge enden meist im freien Fall und schaffen die nötige Dramatik.
Am spannendsten lesen sich allerdings weder Mafia-Scharmützel, Konkurrenzkämpfe oder Intrigen, sondern wenn die hohen Label-Herren auf die eigentlichen „Hit Men“ treffen: auf die unabhängigen Promoter, die sogenannten „Indies“(!). Sie, die Mittler zwischen Labels und Radio-Stationen, bestimmen, wer die Charts stürmt. In ihnen finden die Label-Bosse stets ihren Meister – aller Finanzkraft zum Trotz. Dennoch: hier verliert höchstens ein Goliath gegen den anderen. Auf der Strecke bleiben jene, die den Musikfans als „Indies“ gelten: unabhängige, kleine und weniger finanzkräftige Labels. Ein einziges Mal war es einem David vergönnt, einem Goliath tiefe, fast tödliche Wunden zuzufügen. Das Disco-Label Casablanca (Donna Summer, Kiss, Village People…) unter der Ägide des durchgeknallten Neil Bogart blies einen flüchtigen Trend zum potemkinschen Dorf auf: mit riesigem Promo-Aufwand blendete er Händler und Vertriebe. Die Verkaufszahlen waren in der Tat beachtlich, allerdings noch gar nichts gegen die Verluste. Es wurde geordert, was das Zeug hielt, und entsprechend viel gepresst – „die Platten gingen mit Gold-Status raus und kriegten Platin, als sie wieder zurückkamen“, so ein Insider-Scherz: Remittenden mußten zum Einkaufspreis zurückgenommen werden. Pech für Casablanca, und Pech für dem 50%igen Anteilseigner PolyGram. Das entsprechende Kapitel ist das lustigste des ganzen Buchs.
Neben der Passage, in dem der krankhafte Perfektionismus des drögen Tom Scholz´ die gesamte CBS-Führung in den Wahnsinn treibt und das dritte Boston-Album um rund sieben Jahre verzögert…
Von den 50er Jahren bis 1990 reicht Dannens Dokumentation, opulente 530 Seiten lang. Manager und Gauner beherrschen die Szene, die Politik kommt – abgesehen vom Payola-Skandal – erst spät ins Bild, dann aber meist in Form von Al Gore. In weiteren Nebenrollen: die Compact Disc, das Digital Audio Tape und Sony. „Hit Men“ informiert umfassend über Persönliches und Geschäftliches, ist aber nie Faktenhuberei, sondern liest sich unterhaltsam und mitreißend, mitunter auch sehr emotional. Das mag am spektakulären Gestus der Zitate liegen – der Ton in amerikanischen Chefetagen, zumal in solchen der Unterhaltungsbranche, ist ein ungewohnter. Eine Skandal-Chronik ist „Hit Men“ nicht, die hätte sich in wenigen Wochen aus drittklassigen Schlagzeilen und viertklassigen Gerüchten zusammenkleistern lassen, Dannen aber hat jahrelang recherchiert und kann jedes Zitat minutiös belegen. Herausgekommen ist ein fesselnder Report: Was Sie immer schon geahnt haben, aber nie über´s Musikbusiness wissen wollten… Weil die Wahrheit schmerzlich ist.
Fredric Dannen: Hit Men. Makler der Macht und das schnelle Geld im Musikgeschäft Aus dem Amerikanischen übersetzt von Peter Robert. (Zweitausendeins)