Michael Marshall: Der zweite Schöpfer

Gern genommen: Ein einschneidendes Ereignis hebt von heute auf morgen die ganze Welt aus den Angeln. Genauso geht es Ward Hopkins, der seine verunglückten Eltern zu Grabe tragen muss und nach der Beerdigung durch eine versteckte Botschaft erfährt: „Ward, wir sind nicht tot“.

Ähnlich abrupt verändert sich das Leben der Familie Becker, deren halbwüchsige Tochter Sarah unbemerkt in der belebten Innenstadt von Santa Monica entführt wird und in die Gewalt eines Serienkillers gerät. Zwischen diesen beiden Haupterzählsträngen entwickelt sich der Roman von Michael Marshall zu einem perfiden Katz-und-Maus-Spiel, das sich zwar mit großen Löffeln bei Genregrößen wie Thomas Harris, dem frühen Ken Follett oder Val McDermid bedient, aber eine ganz eigene Erzählkultur entwickelt.

Marshall reißt vieles nur an – sowohl Charaktere als auch Handlungen erklärt er nie bis ins letzte Detail und überlässt das Grauen der eigenen Definition. Es scheint fast, als ob er davon ausgeht, dass seine Leser schon so viel Spannungsliteratur verschlungen haben, dass sie sich ausmalen können, was Serienkiller mit jungen Mädchen vorhaben und dunkle Geheimbünde im Schilde führen. Seine vagen Vorgaben machen „Der zweite Schöpfer“ zu einem besonderen Thriller, der lange Zeit nur so spannend ist, wie man das Grauen subjektiv zulässt.

Hilfreich in die Geschichte reinzufinden, ist mit Sicherheit Ward Hopkins, der so raubeinig durch die Handlung stolpert, als hätte Sam Peckinpah Regie geführt und die Hauptrolle mit Steve McQueen besetzt. Das ist zwar ein bisschen antiquiert, wird aber durch die Ich-Form aus Hopkins‘ Perspektive selbstironisch abgefangen. Wer damit leben kann, dass ein Schriftsteller den ‚Erklärbär‘ verweigert, wird sich mit „Der zweite Schöpfer“ in eine angenehme Spannung steigern können. Wer den Roman langweilig findet, hat wahrscheinlich so ein reines Gemüt, dass er lieber die Finger von solchen Büchern lässt.

Michael Marshall: Der zweite Schöpfer. 
Droemer/Knaur 2006. 432 Seiten, 16,90 €

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