Patrick Pécherot: Nebel am Montmartre

Hat die krimiliterarische Welt wirklich auf einen Roman gewartet, der nicht von Léo Malet stammt, aber uns dennoch mit den Abenteuern seines Helden Nestor Burma kommt? Wahrscheinlich nicht. Aber auf das meiste hat diese Welt nicht gewartet und dann dankbar angenommen…
Dabei ist es so naheliegend. Schließlich hat Malet seinen Plan, uns durch sämtliche Arrondissements von Paris zu geleiten und dabei seinen Protagonisten in allerhand Kriminelles zu verwickeln, nicht zur Gänze realisiert. Montmartre allerdings, wo Pécherots Geschichte hauptsächlich spielt, hat der Meister durchaus abgehandelt. Aber eben nicht 1926, als Burma wie sein Schöpfer noch anderen Obsessionen frönten, dem Schreiben surrealistischer Gedichte beispielsweise. Genau hier setzt Pécherot an.

Sein Nestor, genannt „Pipette“ (Pfeifchen), ist ein Jungspund, der neben der brotlosen Kunst des „automatischen Dichtens“ nach dem Diktum André Bretons, auch die nur wenig einträglichere des Einbrechens betreibt. Zusammen mit drei Kumpanen begibt er sich nächtens in die Gemächer eines abwesenden Grafen und stiehlt dessen Tresor. Doch welch ein Schock, als man daheim das Drum endlich geknackt hat! Er enthält die Leiche eines dubiosen Journalisten, dessen Haupteinnahmequelle Erpressung war.

Was nun folgt, ist eine turbulente Jagd durch das bevorzugt nächtliche Paris, die Künstlerkneipen am Montmartre, die Elendsquartiere der Armen und die Villen der Reichen, wobei uns allerlei Personal aus den Romanen Malets wiederbegegnet, von den Motiven ganz zu schweigen. Selbst André Breton höchstpersönlich wird in den Fall verwickelt und erteilt uns beiläufig ein paar Lektionen zu seiner Auffassung von Literatur. Clou des Ganzen ist dabei jedoch etwas anderes: Pécherot vermengt geschickt die Biografie Malets mit der seines Protagonisten, etwas das Malet selbst bei der Entwicklung Nestor Burmas wohl auch getan hat. Das macht er geschickt und nahtlos in einer sprachlich angemessenen Übersetzung.

Ein reines literarisches Spielchen also, eine Hommage an den Meister? Auch das, natürlich. Die Story liest sich gut, inklusive der bekannten Schwächen der Originale, des zu oft bemühten Kommissar Zufalls beispielsweise oder des ein wenig zu sorglos zusammengeknoteten Schlusses. Dinge, die man Malet schon immer verziehen hat und auch seinem Bewunderer gerne verzeiht. Pécherot jedoch schafft es, neben der Zeichnung von „Pariser Atmosphäre der 20er Jahre“ noch ein weiteres Element ins Spiel zu bringen: die Politik und ihre ebenso verschlungenen wie fragwürdigen Wege. Die Geschichte löst sich zum Ende hin vom eher Pittoresken und nähert sich der grauen Wirklichkeit, das allzeit bereite Dienstmädchen, der bärenstarke und herzensgute Kumpan, der egozentrische Dichter – am Ende steht die Ernüchterung der unauffälligen Strippenzieher in Grau, steht der Zynismus der Macht, die über Millionen Leichen geht.

Wer wie der Rezensent mit ein wenig Skepsis ob solcher „Hommagen“ an das Buch herangegangen ist, klappt es jedenfalls befriedigt zu. Ein Spiel mit dem nötigen Respekt, dem nötigen Augenzwinkern – und der nötigen Tiefe. Sehr schön.

Patrick Pécherot: Nebel am Montmartre. 
Edition Nautilus 2010. 190 Seiten. 14,90 €
(Les Brouillards de la Buttes. 2001. Deutsch von Katja Meintel)

4 Gedanken zu „Patrick Pécherot: Nebel am Montmartre“

  1. Ist die Sprache denn auch nachempfunden? Als ich den ersten Malet in Händen hielt, hat mich an vielen Stellen diese Barhockersprache verwirrt… Dann fing es an, für mich zu stimmen, Personen, Sprache – dramatische Dichtung. Vorgestern in Aldi-Filiale wurden Krimis in Neuausgaben verramscht, Pendragon-Verlag, Göhre, Parker… Da überall ähnliche Sprache, kommt aber anders rüber. Malet war womöglich Alleingenie.

  2. Nun, der bei Malet ja auch typische leicht ironische Tonfall fehlt bei Pecherot. Was aber kein Nachteil ist. „Burma“ ist hier eben noch ein Jungspund und muss dem gemäss reden / denken.

    bye
    dpr

  3. Danke, die Ironie schien mir damals zuerst raubeinig. „Ich traf den Fettsack am zweiten Kinn von unten“. Dann interessant, wie sich aus einem „Groschenroman“ diese Dialoge herausbildeten, die mehr als schlagfertig waren, und, nach meiner Erinnerung, der Held ein ausgeprägtes Moralgefühl bekam. Das hat mich irritiert: Ein Intellektueller unter einer hard-boiled-Verkleidung? Macht Lust ihn wieder mal zu lesen, und auch durch die Augen Pecherots.

  4. PS: „Leicht ironisch“ finde ich leicht untertrieben. Ironisch kann man die Sprache letztlich auch nicht nennen, dafür wirkts zu ernst.

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