Musikbücher I

Liebe Freunde des guten Buches, erlaubt einem gefrusteten Rezensenten ein offenes Wort: Der deutsche Literaturmarkt ist degeneriert. Seine Autoren sind’s schon lange, seine Verleger noch länger, und von den Lektoren, diesen armen Würstchen, reden wir gar nicht. Wir, die wir ein gelungenes Buch wie einen zusätzlichen Feiertag begrüßen, werden uns dieser Umstände immer dann schmerzlich bewußt, wenn wir über die Grenzen schauen: nach Frankreich, nach England, in die USA, dorthin vor allem, wo über’s Jahr so manch hübsches Werk, die populäre Musik betreffend, erscheint – und in Deutschland niemals erscheinen wird, weil unsere Herren Verleger sogleich die Hände über’m Kopf zusammenschlagen und „Unverkäuflich! Zu anspruchsvoll!“ ausrufen, um dann in sich zusammenzusacken und resigniert zu murmeln: „Denn weißt du, der deutsche Leser ist dermaßen was von bescheuert und degeneriert, dem mußt du hundertmal seinen Neil Young geben und fünfhundert Biografien der Kelly Familie, dann ist er’s zufrieden.“

Der Autor bei der Arbeit

Da nun freut es einen, wenn denn doch einmal ein deutsches Rockmusikbuch erscheint, das gut geschrieben ist, kompetent und mit Hintersinn. Natürlich nicht von einem Deutschen, bewahre!, aber hier geboren ist Peter J. Kraus immerhin, bevor es ihn nach Kalifornien verschlagen hat. Und von Kalifornien handelt auch „Rock-Highway„. Kraus beginnt seine Reise in San Diego, Heimat der „Stone Temple Pilots“, fährt sodann den Highway 101 gen Norden und erzählt uns dabei viel von der Gegend und ihren Bands. Das ist zunächst einmal wirklich gut geschrieben, wie schon gesagt, und Kraus, Jahrgang 1941, befindet sich nicht auf der nostalgischen Tour, obwohl er sie alle erwähnt, die Byrds und die Dead, Jefferson Airplane und Neil Young. Er kennt auch Green Day und eine Reihe hierzulande eher unbekannter Cracks wie Merrell Fankhauser oder John McEuen. Eine rundum feine Sache, dieses Buch, wenn auch bisweilen etwas schludrig lektoriert („Montraux“ heißen eigentlich „Montrose“, Ed Cassidy, der Stiefvater von Randy California, wird plötzlich dessen Schwiegervater. Auch in puncto Kommasetzung sollte man beim C. Links Verlag sich mal zusammensetzen und die Regeln büffeln.)

Wieder also haben wir ein paar neue Namen kennengelernt. Es gibt ja so viele, Tausende, und ungefähr Tausend werden in M.C. Strongs phänomenalem Werk „The Great Rock Discography“ vorgestellt. Viele von euch werden das Ding schon bei 2001 abgegriffen haben – gut so. Alte Nörgler wie ich schauen natürlich zuerst einmal, wer alles nicht darin verzeichnet ist: die Kursaal Flyers, die Nitty Gritty Dirt Band, Oyster Band, Ronnie Lane … ansonsten sind die Angaben zwar nicht immer komplett, aber zuverlässig, und 39 Mark für fast 1000 Seiten sind mehr als angemessen. Arno Schmidt würde jetzt sagen: „Ein unverächtliches Handwerkszeug für alle, die im Bergwerk der Töne nach Wörtern graben.“ Recht hat er.

Bleiben wir noch ein Weilchen auf der Insel. Wem schon das Haar grau und der Rücken von ehrlicher Arbeit krumm geworden ist, der erinnert sich vielleicht noch an die Gruppe Man, den ganzen Stolz der Waliser. Anfang der Siebziger standen die Jungs kurz vor dem Durchbruch, schafften ihn aber nie, obwohl sie es musikalisch allemal verdient gehabt hätten. Wohl bei keiner anderen Band drehte sich das Personalkarussel so rasant, lagen die Joints und Amphetamine in solch reichlicher Menge neben den Verstärkern und Instrumenten. Aber irgendwie haben sich Man über die Jahre gerettet und noch bis vor kurzem Konzerte gegeben: auf dem Kontinent zumeist (denn auf der Insel hat man sie kaum mehr beachtet) und durchaus noch mit dem Feuer ihrer Glanztage. Vor wenigen Wochen nun hat Deke Leonard, Sänger, Gitarrist und Keyboarder, einen Schlaganfall erlitten, was den Fortbestand von Man natürlich gefährdet. Das berührt mich aus zwei Gründen besonders: Erstens, weil ich Man noch Anfang August live erleben durfte, zweitens, weil ich bei dieser Gelegenheit ein von eben diesem Deke Leonard verfaßtes Buch erstanden habe, das den Titel trägt: „Rhinos, Winos & Lunatics. The Story Of MAN, A Rock’n’Roll Band„. Und das Ding liest sich, wenn das Englisch einigermaßen ist, wirklich sehr flüssig. Natürlich darf man nicht alles auf die Goldwaage legen. Manchmal opfert Deke die Wahrheit für einen guten Gag, und wenn du, lieber Leser, soeben von deinen morgentlichen Exerzitien in der Klosterkapelle kommst, dann meide dieses Buch oder ertränke es in Weihwasser. Denn Leonard nimmt kein Blatt vor den Mund und beschreibt deftig, was ihm außer Musik und Drogen am meisten Spaß gemacht hat. Wer wissen möchte, wie sie so waren, die Siebziger mit ihrer unglaublichen Drogennaivität und ihren Weltbildern, der findet bei Leonard ein gelungenes Stück Augenzeugenbericht.

Zeitdokument sind auch Robert Cantwells Betrachtungen zum amerikanischen Folkrevival Ende der 50er Jahre. „When We Were Good“ beschäftigt sich quasi mit den Wurzeln dessen, was später die populäre Musik in Person von Bob Dylan, den Byrds und anderen revolutioniert hat. Ein Werk von wissenschaftlicher Gründlichkeit, in dem man vielleicht eben diese „Revoluzzer“ des Folk etwas vermißt. Außer zwei längeren Einlassungen zu Dylan und viel zu vielen zu Joan Baez, der Krampfhenne des Protestsongs, finden sich leider kaum Hinweise. Dennoch: Wen’s interessiert, der liest’s mit Gewinn.

Zum Abschluß unserer heutigen kleinen Bücherlese seien noch drei Werke zum Thema „Frauen und Rockmusik“ ans Herz gelegt. Es ist schon seltsam, wieviele gelungene Bücher gerade zu diesem Gegenstand in den letzten Jahren erschienen sind. Noch seltsamer aber ist, daß unsere werte Verlegerschaft (die degenerierte halt) mit geradezu traumwandlerischer Sicherheit das mit Abstand schwächste herausgepickt und dem deutschen Leser vor die Augen geworfen hat. Ich spreche von „Rebellinnen„, einem Buch, das schon im Titel verrät, daß seine Autorin Gillian G. Gaar mit einer Meinungsschablone an die Arbeit gegangen ist. Daß musikmachende Frauen selbst zuallererst einmal als musikmachende Frauen verstanden werden wollen, bleibt in diesem Buch Marginalie und macht es ergo reichlich überflüssig, so überflüssig, daß seine bibliografischen Daten hiermit verschwiegen seien.

Über das Selbstverständnis von Musikerinnen informiert „Rock She Wrote. Women Write About Rock, Pop, and Rap„, herausgegeben von Evelyn McDonnell und Ann Powers. Ja, eigentlich sagt der Untertitel schon ausreichend, um was es geht. Aber nicht nur Journalistinnen lassen sich hier über Musikerinnen aus, nein, etliche von diesen haben selbst zur Feder gegriffen, Patti Smith beispielsweise, die sich in einem „Creem“-Artikel über Bob Dylans „Planet Waves“ ausläßt, oder Kim Gordon mit einem „Sonic Youth“- Tagebuchauszug. Und wer erinnert sich noch an Cherie Currie, die Sängerin der „Runaways“, jener einstmals künstlich gezeugten weiblichen Rockband, deren Output dann doch nicht ganz so schauderhaft war wie ihr Image? Sie schreibt hier ebenso wie natürlich Marianne Faithfull, aus deren Autobiografie zitiert wird. Überhaupt: Wirklich neu für dieses Buch wurde eigentlich nichts geschrieben. Die beiden Herausgeberinnen haben gesammelt und liefern ein wirklich kompetentes Bild der letzten Jahrzehnte, in denen sich Frauen mit Erfolg angeschickt haben, die bessere Hälfte des Rockhimmels zu besetzen.

In Their Own Words“ (Untertitel) äußern sich Musikerinnen auch über „Women, Sex And Rock’N’Roll“ im gleichnamigen Buch von Liz Evans. Zu jedem Artikel gibt es eine kleine Einführung, die Texte selbst schildern zumeist den Werdegang mehr oder weniger berühmter Rockfrauen in ihrer eigenen Schreibe. Auch hier stoßen wir auf Kim Gordon und Marianne Faithfull, daneben Dolores O’Riordan, die eigentlich wenig zu sagen hat, Björk, Tori Amos mit üblichen Kindheitstraumasexpsychologie-Reflexionen, aber auch Frauen etwas außerhalb des Starrampenlichts kommen zu Wort: Emma Anderson (Lush), Siobhan Fahey (Shakespears Sister) und Toni Halliday (Curve) beispielsweise.

Über ein Phänomen der 90er, das der selbstbewußten „Grrrls“ (kein Tipfehler) informiert das Buch von Amy Raphael. Sie ist Journalistin und hat eine Reihe dieser Frauen interviewt – selbstredend auch wieder Kim Gordon, Björk, aber auch Liz Phair, Kristin Hersh oder Courtney Love, deren beinentblößtes Foto hormonanregend den Umschlag ziert. Das Ganze ist manchmal etwas zu „feuilletonistisch“, womit dem Connaisseur zu verstehen gegeben wird, daß die Tiefen doch etwas unausgelotet bleiben. Dem ungeachtet wird aber (gerade im Beispiel von Courtney Love) so manches schiefe Medienbild geradegerückt, und daher auch für dieses Werk eine Empfehlung.


Bibliografie:

Peter J. Kraus: Rock-Highway. Berlin (Ch. Links Verlag) 1996 (34 DM)
M.C. Strong: The Great Rock Discography. Frankfurt (Zweitausendeins) 1996 (39 DM)
Deke Leonard: Rhinos, Winos & Lunatics. London (Northdown Publishing) 1996 (24,90 DM)
Robert Cantwell: When We Were Good. The Folk Revival. Cambridge (Harvard University Press) 1996 (48 DM)
Evelyn McDonnell, Ann Powers: Rock She Wrote. Women Write About Rock, Pop, and Rap. London (Plexus) 1995 (39,80 DM)
Liz Evans: Women, Sex And Rock'n'Roll. In Their Own Words. San Francisco (Pandora) 1994 (29,80)
Amy Raphael: Grrrls. Viva Rock Divas. New York (St.Martin's Griffin) 1996 (28 DM)

So. Beim nächstenmal hoffe ich, die neue Joni Mitchell – Bio besprechen zu können (sollte Ende Oktober erscheinen, ist aber schon wiederholt verschoben worden), sowie die Buchausgabe der legendären Rock File Reader aus den 70er Jahren (hab ich schon; aber noch nicht gelesen). Sollte mir bis dahin wiede ein gutes deutsches Rockbuch über den Weg laufen, sei es desgleichen lauthals gepriesen. Die Chancen hierfür stehen aber verdammt schlecht, und deshalb muß der Leser wohl noch so lange warten, bis ich mein eigenes Werklein abgeschlossen habe, das ich dann natürlich noch sehr viel lauthalser preisen werde.


Übrigens: Die angegebenen DM-Preise beziehen sich auf die Angebote von Medium (Rosenstr. 5-6, 48143 Münster) und Soundhouse Mailorder (Postfach 1363, 33028 Brakel) für das Buch von Deke Leonard.

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