Nick Hornby: Ballfieber. Die Geschichte eines Fans

Fußball ist ein Spiel für Rotzlöffel und bertivogts’sche Wohlstandsjünglinge. Und wenn die beschreiben müßten, was sie da machen, dann wäre – ja, gut, ich saach ma‘ – der nächste Satz halt immer der schwerste, und du, Leser, bräuchtest keine 90 Minuten, um zu erkennen, daß auch ein leerer Fußballerkopf rund ist. Ergo schreiben die Intellektuellen, die einen Konjunktiv von einem Tifosi unterscheiden können, ansonsten aber sogleich jeden Netzerpaß nicht bloß in die Tiefe des Raums, sondern auch in den Kontext der Ästhetikgeschichte stellen. Das Ganze ist also ein Dilemma: Entweder du kannst fußballspielen – dann kannst du nicht schreiben; oder du kannst schreiben – aber keinen Ball stoppen. Es gibt Ausnahmen: die Gedichte von Ror Wolf, beispielsweise. Und es gibt Bestätigungen: das jüngst erschienene Fußballbuch („Gott ist rund“) des FAZ-Feuilletonisten Dirk Schümer etwa, eine Sammlung höchst geistlos-intelligenter Reflektionen über Fußball, und wer sich das Spiel der vierundvierzig Beine und zweiundzwanzig Bankkonten endgültig verleiden möchte, sollte das lesen.

Wer anders als ein Engländer – und wenn schon ein Engländer, wer anders als Nick Hornby, Autor des herrlichen „High Fidelity“ – könnte über Fußball aus der Sicht eines Fans schreiben, ohne dir seinen mühselig erinnerten Oberprimaleistungskurs Philosophie um die Ohren zu schlagen oder sich – siehe Schümer – in gestelzten Feuilletonismen über das weite leere Feld des eigenen Verstandes zu quälen? Ein Engländer also. Natürlich. Die werden, kaum können sie laufen, von Papa zum nächsten Fußballverein geschleppt, und dem bleiben sie treu bis ans Lebensende.

Bei Hornby ist es Arsenal London, ein unter Briten eher ungeliebter Verein, den der heimtückische Inselbewohner auch zu „Asshole London“ verkalauert. Gewiß gehört es nicht zu den Sternstunden der Lesefreuden, über die Höhen und Tiefen einer Mannschaft informiert zu werden, die wie eine Mischung aus Bayer Leverkusen und Hamburger Sportverein spielt, also vorwiegend langweilig und einfallslos. Man fragt sich, was das denn soll, und genau diese Frage stellt sich Hornby über 335 Seiten auch: Warum richte ich mein Leben nach diesem Verein aus, warum kann ich selbst an der Hochzeit meiner besten Freunde nicht teilnehmen, weil just zu diesem Zeitpunkt Arsenal ein wichtiges Heimspiel hat, warum vergeude ich meine Zeit damit, einem Fehlpaß nachzuweinen, einer verpaßten Chance nachzutrauern? Hornby weiß latent um das im Grunde Lächerliche seines Tuns – und indem er es belegt, erkennt er, daß er sich nicht wird davon trennen können, daß sich der – kühn gesprochen – „Sinn des Lebens“ allemal aus dessen Sinnlosigkeit speist.

Gottlob bleibt es dem Rezensenten vorbehalten, derart auf den Punkt zu philosophieren. Hornby tut es nicht. Er berichtet von seinem Dasein als Fan, der nicht zum Fußball geht, um „unterhalten“ zu werden, sondern die ganze Palette der großen Emotionen zu erleben. Fußball ist eben doch mehr als nur Krieg mit anderen Mitteln: Er ist Leben mit anderen Mitteln, direkter, brutaler und ohne die langen Warteschleifen zwischen Orgasmus und Jobverlust.

Worüber uns Hornby belehrt, ist folgendes: Fußball ist weder etwas für Ästheten (also für Intellektuelle generell ungeeignet) noch für Siegertypen, für die sich der Besuch eines Stadions nur dann lohnt, wenn die eigene Mannschaft mehr Tore schießt als der Gegner (also ungeeignet für juppiebankerte Anhänger irgendwelcher „Mehrwerttheorien“). So verebbt auch die Euphorie des Fans, nachdem Arsenal tatsächlich Meister geworden ist, rasch, und er sehnt sich zurück nach den glücklichen Zeiten der Niederlagen und Enttäuschungen, denn nur diese gesamte Bandbreite der Emotionen verbindet das Gekicke auf dem Rasen mit dem Herumgurken im eigenen Dasein.

Nun ist der gemeine Engländer ein notorisch armer Mann, dem der Thatcherismus ganz ohne fair play übel mitgespielt hat. Er kauft also nicht einfach „ein Buch“, sondern, wenn möglich, einen Text, der zwei, drei oder gar vier Bücher ersetzt. Bei Hornby ist er da an der richtigen Adresse: Denn natürlich ist dessen Fußballbuch mehr: das Buch eines Lebens etwa, in dem ein Junge mit der Scheidung seiner Eltern, ersten Liebeswirrnissen, beruflichen Malässen und chronischer Erfolglosigkeit fertigwerden muß. Das alles erwähnt Hornby nur en passant, als Zeitpfähle gewissermaßen, die er in den uferlosen Strom all der Arsenalspiele setzt, um sich und uns die Orientierung zu erleichtern. Das Leben als Fußballspiel: manchmal gewinnst du, manchmal geht die Sache daneben. Manchmal bist du schon ausgeschieden – und dann gelingt dir doch noch ein unmögliches Tor in der allerletzten Sekunde. Und so weiter.

„(…) ich habe mein Leben in Arsenalspielen ausgemessen, und jedes Ereignis von irgendwelcher Bedeutsamkeit hat einen fußballerischen Schatten. Das erste Mal, als ich Trauzeuge bei einer Hochzeit war? Wir haben in der dritten Runde des FA Cups gegen die Spurs 0:1 verloren, und ich lauschte dem Bericht von Pat Jennings‘ tragischem Fehler auf einem windigen Parkplatz in Cornwall. Wann endete meine erste wirkliche Liebesgeschichte? Am Tag nach einem enttäuschenden 2:2-Unentschieden gegen Coventry 1981.“

Wenn Hornby so erzählt, das Unwesentliche eines Fußballspiels mit dem Wesentlichen seiner Biografie verknüpfend (oder eben andersrum – wer weiß das schon so genau), wirkt er überzeugend, gelingt ihm – dritter Text – die Basis einer existentialistischen Philosophie, von der Herr Sartre in Frankreich zeitlebens hat nur träumen können, weil ihm keiner gesagt hat, er solle sich doch einmal ein Fußballspiel anschauen. Sobald sich Hornby allerdings als Analytiker versucht, der uns die tragischen Ereignisse von Brüssel oder Hillsborough nahebringen will, fällt er ab. Das ist dann einfach zu journalistisch-logisch, zu kausalverknüpft, kurz: zu SPIEGEL-mäßig. Gottlob sind diese Passagen selten, zahlreicher sind da schon – wie in „High Fidelity“ – die schlagenden Beweise für jene Theorie, die besagt, Intoleranz sei das Salz in unserer biografischen Suppe. Richtig so.

Alles in allem ist „Ballfieber“ ein Beweis dafür, daß man die Tragik des Daseins nicht unbedingt in der enervierenden Manier österreichischer Jungautoren beschreiben muß, sondern auch lustig und kurzweilig erzählen kann, ironisch und bisweilen mit der Ernsthaftigkeit dessen, der nach einer vernichtenden Niederlage fröhlich pfeifend den kommenden Triumph antizipiert – und umgekehrt.

Nick Hornby
"Ballfieber. Die Geschichte eines Fans."
Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins,
335 S., 28 Mark
Auch als Taschenbuch erhältlich:
Nick Hornby
"Fever Pitch. Ballfieber - Die Geschichte eines Fans".
Kiepenheuer und Witsch (1997)
335 Seiten, DM 19,90

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