Wenn Ostwestfalen sprechen…
Ostwestfalen sind etwas schwierig. Sie reden langsam und bedächtig, sind Fremden gegenüber zuerst mißtrauisch und recht verschlosssen. Haben sie sich aber erst einmal warmgeredet und zum Gesprächspartner Vertrauen gefaßt, erzählen sie recht persönliche Dinge. Schneider ist in dieser Hinsicht ein Parade-Ostwestfale. Jede Frage des Inteviewers wird zuerst mit einer langen Nachdenkphase eingeleitet, Sätze kommen nur recht langsam aus ihm hervor. Egal wie beiläufig die Frage ist, man denkt erst nach, bevor man sich äußert. Vorlesen dauert schon etwas länger, da jeder Satz verstanden und in sich aufgenommen werden will.
Interviews gibt bei den Hip Young Things nur Dirk, gelegentlich begleitet von Basser Edgar. Oli und Thorsten „Gumbo Botanik“ haben eigentlich nie Lust dazu.
Hinter-Net!: Seid Ihr zufrieden mit dem Verlauf der Tournee?
Schneider: War sehr schön. Es hätten mehr Leute sein können, aber der Zeitpunkt der Tour war einfach zu früh. Die Platte war erst 3 Tage raus und die meisten Stories kommen erst im Dezember. Es war auch recht teuer. Ich weiß auch nicht wie das zustande kam. Meist so zwischen 18 und 20 DM. Da würde ich auch nicht zum Konzert gehen, nur so zum Anchecken.
Hinter-Net!: Seid ihr noch voll drin bei Glitterhouse? Im Sommer gab es einige Diskussionen über einen Wechsel.
Schneider: Wir haben halt mit ein paar Labels verhandelt. Es gab ein beiderseitiges Interesse mit einem größeren Label zusammenzuarbeiten, das hat sich aber aus zeitlichen Gründen zerschlagen, weil wir eben nur Ende November touren konnten. Der Hälfte der Firmen war das zu wenig Vorlaufzeit, die brauchen da immer so’n halbes Jahr. Es kamen ein paar Angebote mit der Ansage: Dann schicken wir euch noch mal für soundsoviel tausend Mark mit dem Produzenten in das und das Studio, um dieses und jenes Stück noch mal aufzunehmen, damit das noch besser klingt. Aber da laß ich mich überhaupt nicht drauf ein.
Hinter-Net!: Und bei einer neuen Platte wird wieder verhandelt?
Schneider: Das bestimmt. Aber eine neue Platte ist noch gar nicht in Planung, weil Gumbo, Oli und Edgar erst einmal mit ihren Studien und ihrer Schule beschäftigt sind. Und ich mache ab der ersten Januar-Woche wieder Locust Fudge: Tour und Platte aufnehmen. Im Sommer werden wir vielleicht noch ein paar Open Airs und ’ne Support-Tour spielen. Großartiges ist allerdings nicht geplant, da die Zukunftspläne aller Bandmitglieder sehr unterschiedlich sind.
Hinter-Net!: Nach der zweiten Platte sah es doch schon nach Auflösung aus.
Schneider: Ja, das haben die anderen alle behauptet, aber ich habe immer gesagt, wir machen das weiter, nur wissen wir noch nicht wann. Die Auflösungsgedanken gab es eher aus persönlichen Gründen. Ich habe auch mal Zeit für mich gebraucht. Ich bin seit 1989 mit der Band zusammen. Ich persönlich komme immer am besten klar, wenn ich viele Sachen gleichzeitig mache. Wenn ich permanent die gleichen Stücke spielen muß oder den gleichen Sound mache, werde ich einfach wahnsinnig. Da fehlt mir der Ausgleich und auch ein anderer Blickwinkel zu der ganzen Angelegenheit. In der Zeit nach der letzten Tour hab‘ ich halt bei Sharon Stoned mitgespielt, bei denen auch ein paar Sachen produziert, viel Locust Fudge gemacht, was eigentlich das Wichtigste war in der Zeit.
Die „Ventilator“ ist eine reine Studioplatte, bei der vor den Aufnahmen kein einziges Stück live gespielt wurde. Für die Musiker waren die Aufnahmen auch gleichzeitig wieder ein „Abchecken“ untereinander. Während der „Shrug“-Tour war es zu einigen Disharmonien innerhalb der Band gekommen. Im persönlichen Bereich sind im Laufe der Jahre einige Dinge aufgetaucht, die dazu geführt haben, daß die Musiker eine Pause voneinander brauchten. Der Wille, weiter zusammen Musik zu machen, war aber immer vorhanden. Die Aufnahmen waren ein Herantasten, wie bei einer Band, die das erste Mal wieder zusammen spielt.
Schneider: Ja, und dann haben wir die Platte gemacht und es hat ganz gut funktioniert. Es war ein ziemlicher Schnellschuß. Wir haben viermal geprobt und dann haben wir aufgenomen. Die Stücke waren natürlich vorher schon weitestgehend fertig.
Nicht nur Schneider kommt mit vorbereiteten Songs zur Probe, auch Edgar und Gumbo haben Ideen, die im Proberaum gemeinsam zu Stücken ausgearbeitet werden.
Schneider: Auf der Tour hat es persönlich auch super funktioniert, besser als jemals zuvor. Das lag auch daran, daß wir mit mehr Leuten unterwegs waren. Es ist alles wesentlich entspannter geworden.
In Zukunft wird es weiterhin so sein, daß die Gruppe nur dann zusammen aktiv wird, wenn der Zeitpunkt gerade günstig ist. Konkrete Planungen und Abmachungen gibt es nicht. Es wird auf jeden Fall weitergehen, nur die genauen Zeitpunkte stehen noch nicht fest.
Für alle Bandmitglieder gibt es ein Leben neben den Hip Young Things. Drei von ihnen haben das, was man eine „normale“ Existenz nennt, Schneider bestreitet mit verschiedenen Musikprojekten seinen Lebensunterhalt. Zweites Standbein ist dabei die zusammen mit Christoph „Krite“ Uhe betriebene Band Locust Fudge.
Schneider:Es war wirklich ein Glücksfall, daß Krite und ich uns kennengelernt haben. Auch er hat im Prinzip nie etwas anderes gemacht als Musik. Es ist ein Vorteil, daß wir nur zwei Leute sind, da kann man ganz andere Sachen machen als mit einer kompletten Band. Da mußt du viel weniger koordinieren.
Im Umfeld der Hip Young Things hat sich einiges verändert. Glitterhouse hat wesentlich mehr Geld in die Vermarktung der Platte gesteckt als bisher.
Schneider: Das ist schon ’ne enorme Leistung für so ein kleines Label. Vom Investment her ging das schon wesentlich mehr in Richtung Major-Veröffentlichung. Es gab auch von verschiedenen Seiten finanzielle Mittel zu Promotionzwecken, u.a. von Levis, die Glitterhouse und uns unterstützen. Dafür stehen sie auf den Plakaten mit drauf und wir haben ein paar Klamotten gekriegt.
Hinter-Net!: Plant Ihr einen Song für ’nen Werbespot zu machen?
Schneider: Ich wär sofort dabei.
Hinter-Net!: Besteht da ’ne Chance? Vielleicht hat dieser Gedanke ja eine Rolle gespielt bei der Entscheidung, gerade Euch zu sponsern.
Schneider: Sie wollten eine Band unserer Größenordnung unterstützen und musikalisch fanden sie es passend. Ob es zu einem Song für einen Spot kommt, kann ich nicht sagen. Ich habe wahrscheinlich ihrer Meinung nach das richtige Stück noch nicht geschrieben; aus meiner Sicht zwar schon, aber das wäre sicher zu cool für die, das trauen sich Levis Deutschland wohl nicht: „Castor“ wäre mein Idealsong für einen Spot mit einem endzeitmäßigen, industriellen Video. Rein optisch würde es absolut in ihr Image passen, aber philosophisch oder politisch wahrscheinlich nicht. Es wäre sicher zu nihilistisch für Levis.
Hinter-Net!: Was hat dich dazu gebracht, ernsthaft Musik zu machen?
Schneider: Ich habe mein ganzes Leben lang Musik gemacht. Mit zwei Jahren habe ich mit einem Kochlöffel auf einer Zinkwanne bei Oma im Garten rumgetrommelt, tagelang. Später hatte ich Schlagzeuguntericht, dann Gitarrenuntericht. Aber Unterricht hat mich nie wirklich interessiert. Ich habe mir die Sachen lieber selbst beigebracht. Das mache ich übrigens auch bis heute so. Ich kann auch heute noch nichts richtig gut spielen. Wie gesagt, Unterricht fand ich halt immer Scheiße. Die Entscheidung, nur Musik zu machen, fiel relativ früh, ich denke mit 14 Jahren. So mit 20 bin ich psychisch in ein ziemliches Loch gefallen und habe Musik mehr als Selbsttherapie gemacht. Da konnte ich Dinge kanalisieren.
Am meisten fasziniert mich an Musik, daß alles möglich ist und daß man sehr subjektiv sein kann. Und richtig spannend wird es, wenn viele Dinge zusammenkommen und man mit Musikern und Publikum interagieren kann. Auf der Bühne zu stehen ist absolut geil. Durch die Musik habe ich meine besten Freunde kennengelernt.
Hinter-Net!: Stört Dich eigentlich der Name Schneider? Es gibt ja inzwischen genug Leute, die denken, du heißt wirklich Schneider.
Schneider: Find ich ok. Ist ja im Prinzip auch scheißegal. Es ist ja nur ein Name. Es gibt auch schlimmere Spitznamen.
Hinter-Net!:Hast Du irgendein Verhältnis zum Internet?
Schneider: Leider habe ich selber keine Möglichkeit, online zu gehen. Aber immer wenn ich jemandem beim Rumsurfen zuschauen kann, guck‘ ich gespannt zu. Es interessiert mich auf jeden Fall. Leider habe ich von Computern gar keine Ahnung. Aber irgendwann werde ich mir mal ein halbes Jahr Zeit nehmen und das lernen.
Hinter-Net!: Was waren Deine Top-5-Platten 1996?
Schneider: Ohne Reihenfolge: Goldene Zitronen („Economy Class“), Rockers HiFi („Mish Mash“), Beck („Odelay“), verschiedene Maxis, Tortoise-Remixes, Jon Spencer Blues Explosion, Aphex Twin, Square Pusher … also da könnte ich dir fünf in jedem Genre sagen.
Hinter-Net!: Siehst Du in der Musik, die aus Deutschland kommt, eine Richtung, in die es geht?
Schneider: Ja, Instrumentalmusik, Disko, Elektronik. Drei Stichworte: Mouse on Mars, Whirlpool Productions, Mike Ink. Und so weiter.
Hinter-Net!: Viele Leute sitzen ja im Keller, bauen Songs zusammen und bringen sie unter immer neuen Namen raus. Kannst Du Dir vorstellen, das auch zu tun?
Schneider: Mach ich auch. Wird 1997 rauskommen. Ich habe einen Samplerbeitrag zu „The day my favorite insect died“ gemacht. Ist erschienen auf Collaps, einem Label aus Weilheim. Das ist die Szene um Notwist. Dann werde ich bei Payola (???) eine Instrumental-Elektronik-Maxi veröffentlichen.
Hinter-Net!: Wie machst Du das, wenn du ohne Computer arbeitest?
Schneider: Drum machines, Delays, verschiedene Effectgeräte, Vierspur-Gerät, echtes Schlagzeug, einige Krachgeräte. Alles super aufwendig. Aber ich finde diese analoge Herangehensweise sehr interessant.
Es soll nicht unter anderem Namen erscheinen. Menschen, die andere Sachen von mir kennen, sollen sich das dann auch anhören.
Im Moment nehme ich auch noch andere Dinge auf: eine Split-Soloplatte, die bei Supermodern erscheinen wird. Zusammen mit Michael Decket von Tuesday Weld. Jeder wird eine Seite machen. Auf beiden Seiten wird ein Duett mit uns beiden sein, und zwar Coverversionen. Im Moment nehmen wir die zweite Spice-Girls-Single auf.
Hinter-Net!: Wie sieht es mit Remixes von Hip-Young-Things-Stücken aus?
Schneider: Ist geplant. Von „Castor“ und „1 1/2“. Mouse on Mars werden einen machen, die haben schon zugesagt. Das sind sehr nette Menschen. Andere Sachen sind angecheckt. Martin Gretschmann und Mario Thaler aus Weilheim machen Remixes, Kevin Johnson vielleicht auch.
Hinter-Net!: Wie sind denn so die Querverbindungen in den Szenen?
Schneider: Sind auf jeden Fall vorhanden. Weilheim, Landsberg, Bielefeld, Detmold. Man lernt halt Leute kennen und macht dann was zusammen. Mein Plan für die nächsten Jahre ist, die Verbindungen über die gesamte Welt auszubreiten.
Hinter-Net!: Woher bekommst Du deinen Musikinput?
Schneider: Platten hören, darüber lesen, empfohlen bekommen. Oft ist es so, daß mich eine Platte zu etwas inspiriert und in meinem Kopf geht irgend etwas ab. Ich fange an aufzunehmen und es kommt etwas völlig anderes raus. Ab einem gewissen Punkt verselbständigt sich das dann. Das ist ja auch Sinn der Sache.