Ben Becker: Und lautlos fliegt der Kopf weg

„Und lautlos fliegt der Kopf weg“ ist die erste CD des Schauspielers Ben Becker. Der Bruder der Chanteuse und ebenfalls Schauspielerin Meret Becker („Noctambule“) begann vor einem Jahr, eigene Lyrik vorzutragen. Musikalische Unterstützung fand er dabei in Ulrik Spies und Jaki Engelken, die bereits für verschiedene Film- und Theaterprojekte die Musik beisteuerten. Der ungewöhnliche Titel ist gleichzeitig Programm: „Das Wort ‚lautlos‘ hat etwas Weiches, der Rest hört sich sehr brutal an. Erst wenn Gegensätze aufeinanderprallen passiert was“.

Wie der 32jährige Becker bei „Bio“ schon die kulturell interessierte Öffentlichkeit wissen ließ, trägt er die Philosophie der Punk-Rebellion noch in sich, „nur schlage ich keine Autos mehr kaputt. Ich mache Musik, da kann ich ins Mikro brüllen“. Gleich im ersten Stück „Rocker“ verbindet Becker beides und läßt ein paar Rocker zu Trashklängen auf einer imaginären Bühne einen Benz demolieren. Der Operner macht deutlich: Hier handelt es sich nicht um gefälligen Mainstream, wie man es bei plötzlich singenden Schauspielern vielleicht vermuten könnte. In den Songs, „in denen ich meine kleine Welt beschreibe“, schlüpft Becker zwar auch in Rollen, jedoch entspringen diese seiner mehr oder weniger konkrete Formen annehmenden Gedankenwelt. Persönliche Assoziationen an die Kindheit, die 60er Jahre, Brian Jones, Juri Gagarin oder diffuse Erinnerungsfetzen persönlicher Erlebnisse läßt Becker Revue passieren. Mit prägnanter sonorer Stimme präsentiert und interpretiert Becker jede dieser kleinen Geschichten, untermalt von den rockigen Gitarren- und spacigen Synthieklängen seiner Mitmusiker. Ein Anspieltip ist das Stück „U-Bahn“. Zu Fury-In-The Slaughterhouse-mäßigen Gitarrenriffs beginnt Becker eine scheinbar harmlose Geschichte zu erzählen, die sich im weiteren Verlauf jedoch genau wie die Musik zum Desaster steigert. Gesellschaftliche Außenseiter fand Becker schon immer faszinierend.

Die oftmals rüde Prosa und Beckers mal beschwörend rezitierende, mal schreiende Stimme erinnern teilweise an die Einstürzenden Neubauten, aber auch Einflüsse von Lou Reed oder den Sprechtheatern Heiner Müllers vermag man zu orten. Becker selbst sieht sich eher „zwischen den frühen Velvet Unterground und Serge Gainsbourg“, verweigert aber eine Kategorisierung. „Ich spiele eben gern über mehrere Oktaven und lasse mich ungern festlegen“. Der Schauspieler Becker sieht seinen Platz in Zukunft wieder verstärkt auf der Bühne. TV-Serien wie „Friedemann Brix“ seien die Ausnahme gewesen. „Da konnte ich dem Reiz, mit unserem einzigen Star Harald Juhnke zu spielen, nicht wiederstehen“. Wie sieht er aber seine musikalische Zukunft? „Ich weiß es selbst kaum zu sagen, ob ich wirklich ernst genommen werden möchte. Für mich ist diese Musik wie eine Skulptur, die ich in den Raum stelle. Sollen die Leute entscheiden, ob sie erschrocken, amüsiert oder vielleicht sogar gelangweilt sind.“ So sind die Hörer wohl selbst dazu aufgefordert und eingeladen, diese ungewöhnliche und hörenswerte Sammlung von Kurzgeschichten, Jazz, Punk, Minimalismus und Trash-Rock zu beurteilen.

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Biografisches:
Nach seiner Schauspielerausbildung trat Becker in verschiedenen Schauspielhäusern (u.a. Hamburg, Berlin, Düsseldorf, Stuttgart) in Klassischen Bühnestücken wie „Maria Magdalena, „Kabale und Liebe“, „Romeo und Julia“ auf.
Bundesweit bekannt geworden ist Becker jedoch durch seine Mitwirkung in Kinofilmen und TV-Serien.

Filme:

„Eine Liebe in Deutschland“ (1983)
„Polizeiruf 110 – Totes Gleis“ (1984) (Auszeichnung mit dem Grimme-Preis in Gold)
„Das Serbische Mädchen“ (1991)
„Tatort – Tod im Häcksler“ (1991)
„Der Brocken“ (1992)
„Landschaft mit Dornen“ (1992)
„Arme Schweine“ (1993)
„Die Serpentintänzerin“ (1993)
„Schlafes Bruder“ (1995)
„Die zukünftigen Glückseligkeiten“ (1995)
A.S. – Der kleine Bruder (1995)
„Tatort – Die Kampagne“(1995)
„Alles nur Tarnung (1996)
„Friedemann Brix – Eine Schwäche fuer Mord“ (1996)
„Samson and Delilah“ (1996)
Gastrollen in 2 Episoden der TV-Serie „Die Drei“ (1996) und zwar:
„Supergirl“ (4.10.96) und „Ich habe Luensmann nicht getötet“ (6.12.96)

1995 führte Becker erstmals auch Regie. Aus seiner Feder stammt das Drehbuch zur Punk-Romanze „Sid & Nancy“, die er mit seiner Schwester Meret in der weiblichen Hauptrolle in Szene setzte.

Ben Becker: Und lautlos fliegt der Kopf weg
(MCA/Universal Music)
Das Booklet der CD enthält neben sämtlichen Texten noch eine Kurzgeschichte von Ben Becker.

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