Musik mit Klassenbewußtsein
Von Ikonen und Teutonen im Zeitalter 10 nach Techno
Es sind nun ungefähr zehn bis elf Jahre vergangen, seit House und Techno in Deutschland Fuß faßten, die ersten DJ-Plattenläden wie Pilze aus dem Boden schossen und man in den regulären Läden Chicago- und Detroit – Compilations kaufen konnte. In der Zwischenzeit hat Techno (als übergeordneter Spartenbegriff zu verstehen) die traditionelle Rock und Popsparte eingeholt und befindet sich auf der Überholspur. Es ist viel passiert in dieser Dekade der elektronisch erzeugten Klangwelt. Mittlerweile sind Kraftwerk, die heute zu den Elektropionieren zählen, zu Ikonen avanciert, Acid war Anfang der Neunziger Jahre nicht nur ein Synonym für LSD sondern der populärste Clubsound, und die neueste Entwicklung Drum’n’Bass wird zum Rettungsanker für alternde Rockhelden wie zum Beispiel David Bowie. Darüber hinaus sind die tonangebenden Bands diejenigen, die sich der Verquickung von Technosounds und althergebrachten Rockismen bedienen, namentlich The Prodigy, The Chemical Brothers oder Underworld.
Die Frage nach der Zukunft für traditonelle (in diesem Kontext, gitarrenlastige und songorientierte) Pop- und Rockmusik und ihren Stellenwert für die Erneuerungen sowohl im gesellschaftlichen als auch im rein musikalischen Bereich wird in den Medien schon länger diskutiert da der Technosektor langsam aber sicher omnipotent präsent ist. Wird man bald die Bandkultur in ihrer pursten Form, das heißt Menschen, die live Instrumente bedienen und von ihrem Publikum frontal angefeuert, nur noch in irgendwelchen Rocklexica vorfinden?
Nimmt man solche Bands wie The Prodigy, Underworld und The Chemical Brothers unter die Lupe, dann muß man feststellen, daß im Falle der ersten beiden das Band-Konzept und der damit einhergehende Personenkult zugenommen hat, da Keith Flint (Prodigy) und Karl Hyde (Underworld) als Frontmänner/Vocalisten die Bands optisch nach außen repräsentieren und somit Identifikationsfiguren fungieren; vor allem bei Flint ist der optische Faktor faßt signifikanter als der Gesangsbeitrag. Hier funktionieren die herkömmlichen Rockismen – sowohl musikalisch (gesampelte Gitarren und traditionelles Songwriting) als auch der im Rock verwurzelte Personenkult – am besten. Die Chemical Brothers hingegen sind, was den Personenkult angeht, nicht derat rockkompatibel. Dafür rocken sie musikalisch mindestens genauso gewaltsam wie The Prodigy, vielleicht sogar noch eine Spur radikaler. Was Philip Lethen in der April Ausgabe der Spex als „Old School Power Breakbeats“ bezeichnet, die hauptsächlich die Funktion besitzen die Atmosphäre wie in einem Schwarzenegger-Action-Film herbeizuzaubern, diesen Effekt verbreitete in den Achtziger Jahren zum Beispiel Survivor in Rocky III mit „Eye of The Tiger“.Deshalb könnte man diese Techno/Rock/Indie Dance oder wie auch immer zu beschreibende Musik der Engländer als eine Fortsetzung der Rockhistory mit anderen technischen Mitteln betrachten und diese Akte schließen. Doch dieser voreilige Schluß würde einige wichtige Aspekte der Techno (versus der Rock-) Kultur außen vorlassen.
Wenn man diese neueren Crossover Erscheinungen außer acht läßt und das größere Spektrum der Techno – Szene betrachtet, muß man feststellen, daß die bestimmende Technokultur dem DJing, dem Rave, und einer Masse von Whitelabelveröffentlichungen, die schier unüber- schaubar erscheint, gehört. Viele DJs bedienen sich sogennannter Dubplates (einzeln gepresste Protoplatten, die exclusiv für ein bestimmtes Set verwendet werden), um möglichst der Abnutzung bestimmter Tracks (wie es in anderen Discos, wo der Wiedererkennungswert im wahrsten Sinne des Wortes beabsichtigt ist) entgegenzuwirken. Weiterhin verleiht dieser Aspekt dem DJ eine gewisse Authenzität und Exclusivität was zu dem hippiesken „One Familiy“ Verständnis der Technokultur mancher Raver im Widerspruch steht. Hier muß man unterscheiden, und zwar zwischen den Leuten die einfach nur konsumieren und denjenigen, die an der Technoszene partizipiren und sich mit der Musik aktiv auseinandersetzen. Diese Unterscheidung gab es in der Rockmusikszene schon immer und insofern haben wir wieder eine Parallele. Vergleicht man die letztjährige Mayday mit Woodstock, spielte in beiden Fällen das Dabeisein und das Zusammengehörigkeitsgefühl eine wichtigere Rolle, als bei dem Kontrapunkt des einzelnen Gigs, bzw. Clubbesuchs, wo selektiv der einzelne Event aufgesucht wird.
Alles in allem findet man diese Charakteristika auch bei der Rocktradition des einzelnen Gigs und des Festivals wieder, wo neben der Musik der Grund für seine Anziehungskraft in der Sozialisierung mit der Masse findet. Der große Unterschied zwischen einem Rave und z.B. Rock am Ring ist wohl der Alkoholkonsum (R.a.R.) gegenüber dem Konsumieren anderer Drogen im Technokontext. Neben dieser durchaus nicht überspitzt formulierten Pauschalisierung gibt es subtilere Parameter, die den Rockkonzertbesucher vom Raver unterscheiden. Das Selbstfindungsprinzip findet beim ersten Event vor der Bühne statt, mit Ausrichtung auf ein Zentrum, namentlich Bühne. Man geht konkret zur Show um einen Star und seine Musik zu feiern – am stärksten wohl bei Boygroups ausgeprägt. Im zweiten Fall geht es primär nicht um den einzelnen DJ, sondern um das Zelebrieren des Grooves und nebenher feiert man sich selbst viel mehr, indem man sich verrückt kleidet, versucht individuell zu sein und seiner/m Nebenfrau/mann optisch etwas zu bieten. DJs werden austauschbar sobald der Rhythmus mit dem man mit muß stimmt.
Konsum und die damit einhergehende Unterhaltung – damit wäre Techno und seine Funktion schon erklärt. Die Komponente der Message bleibt außen vor, denn außer der Botschaft „Habt Fun“ gibt es keine. Sicher gibt es ein kleines Expertengremium, das sich zum Plattenhören und Fachsimplen trifft und über gewisse DJs, Sounds, Turntables und Platten unterhält. Diese Schicht ist aber gering gemessen am Gros, das Techno hört. Zum einen sind Vinylplatten für die Masse kein akzeptables Medium zum Hausgebrauch, da die Masse an Musikkonsumenten entweder mit CDs aufgewachsen ist oder sich an die CD als das praktischere Format gewöhnt hat, zum anderen ist die Schwemme an Veröffentlichungen schier unüberschaubar.
Das Fehlen von Gesang und das damit einhergehende Wegfallen des leidenschaftlichen Mitsing/gröl-Appeals mag Traditionalisten stören und sie dazu veranlassen, Techno zu verdammen, bzw. weiterhin an traditioneller Rockmusik festzuhalten. Das Zurückgehen der Magnetwirkung des Konzertevents für die Jugend durch den Konkurrenten Clubevent ist aber deutlich zu spüren. Der Discobesuch paßt besser in das konsumorientierte Gesellschaftsbild der Neunziger als der Flannelhemd tragende BAP – Fan, der sich mit politischen, ökologischen und gesellschaftsrelevanten Fragen beschäftigt. Eigentlich ein Paradoxon, da die letzten beiden Jahrzehnte neue polit/öko/und soziokulturelle Erscheinungen aufgebracht haben und wir uns mal wieder in einem Umbruch befinden. Das Vakuum an Antworten macht die Situation nicht erträglicher und das Geunke über Arbeitslosigkeit, Standortbestimmung und internationale Wettbewerbsfähigkeit in den Nachrichten verunsichert nicht nur die Jugend. Kein Wunder, daß es den Menschen an Ablenkung und Unterhaltung nicht genug sein kann; wer will dann auch noch beim Musikhören denken müssen. Die Komponente „Inhalt“ scheint jedenfalls bei der Musik an Relevanz einzubüßen, war sie ohnehin gegen die Komponente „Melodie“ immer schon zweitrangig.
Nichtsdestotrotz – Der Bedarf an Rolemodells wird wohl niemals aussterben und somit hat „Stardom“ eine ernsthafte Überlebenschance. Das Potential des Kreuzübers von Techno und Rock ist momentan deshalb so hoch, weil er versteht die beiden dominanten Stile der Musikkultur für die Jugend in sich zu vereinen. Wie lange die Gitarre dem Computer noch trotzen kann bleibt abzuwarten; daß die Ablösung irgendwann eintreten wird ist naheliegend, da es viel einfacher ist einen Computer nach Bedienungsanleitung zu meistern, als ein Instrument zu erlernen und es einfach Fakt ist, daß der PC genauso omnipotent ist wie das Resultat seines Umgangs mit ihm auf musikalischer Ebene. Der mit der Gläubigkeit an die Marktwirtschaft geförderte Individualismus bestärkt diese These: Es bedarf nicht länger einer Band um Musik zu produzieren, lediglich einem leistungsstarken Speicher mit entsprechender Software.
Rocker von heute, Ihr werdet die die Nostalgiker von Morgen sein!
(Prophet Fred)