Interview: Stella

„Glaubst Du, wir meinen das nicht ernst?“

„Stella“ sind zwar nicht mehr jung, dafür aber trotzdem neu. Sie kommen aus der Hamburger Schule, haben aber mit ihren Kollegen nicht viel gemeinsam. Ihre Lieblingsbeschäftigung ist streiten und auf elegante Art und Weise politische Utopien unters Volk zu bringen.

Das Debut nennt sich ==>„Extralife“: Ein elegantes Stück Musik zwischen Rock, Pop und Wave, das es in sich hat. Hinternet-Mitarbeiter Martin Schrüfer sprach mit den Stellas Elena Lange und Thies Mynther.

Hinter-Net: Wie würdest Du dem Mann im Mond Eure Musik beschreiben?

Thies: Wem?

Hinter-Net: Dem Mann im Mond, der noch nie von Euch gehört hat…

Thies: Tja, wovon kann ich denn ausgehen? Was kennt er? Weiß er, was Musik ist?

Hinter-Net: Ja.

Thies: Brüchige, glamuröse Pop-Musik für die ausgehenden Neunziger. O.K?

Hinter-Net: Wunderbar. Andere Frage: Wie lange habt ihr an „Extralife“ gearbeitet?

Thies: Wir haben seit Februar 1997 dran gearbeitet, wir haben viel mehr Material gehabt. In der Endphase haben wir dann einige Songs wieder zu dritt eingeübt, wie halt eine Band so spielt. Wir sind nicht nur ein agierendes Produzententeam, sondern treten auch als Band live auf.

Hinter-Net: Seid Ihr zufrieden mit Eurer Debut-CD?

Thies: Ja, sind wir. Und du?

Hinter-Net: Mir gefällt sie sehr gut.

Thies: Gut. Danke! Ich finde nicht viel nicht gut auf der Platte. Klar gibt es wenige kleine Fehler, aber die haben wir auch bewußt stehen gelassen auf der Platte. Dieses Streichermotiv, das „O.K., tomorrow I`ll be perfect“ mitträgt, beispielsweise, das ist ein Unfall auf einem Tape mit Samples gewesen. Solche Sachen finden wir gut, daß die Rauheit und Brüchigkeit stehen bleibt.

Hinter-Net: Elena sagte einmal, daß Pop-Musik für sie die reizvollste Art sei, ein politisches Statement unterzubringen. Und zwar in dem Sinn, daß der Pop als Ausgeburt des Kapitalismus mit der Forderung nach dem Umsturz der Gesellschaft zusammenbringt. Meint Ihr das ernst?

Thies: Glaubst Du, wir meinen das nicht ernst?

Hinter-Net: Ich bin mir nicht sicher. Wen oder was wollt ihr denn umstürzen?

Thies: Die Gesellschaft in der Form, wie sie jetzt da ist. Eigentlich ziemlich klar.

Hinter-Net: Und in welche Richtung?

Thies: Naja, da fängt man dann an über Utopien zu reden. Das ist ein weites Feld. Warte mal, ich muß ganz dringend auf die Toilette. Elena sitzt neben mir, die kann vielleicht mehr dazu sagen.

Elena: Erstmal muß ich sagen, daß das so natürlich nicht funktionieren kann, daß ein politisches Statement in einem Pop-Text irgendwas umstürzen könnte. Erstmal geht es um Irritation. Die Leute zu verwirren und ihnen zu zeigen, daß wir mit einigen Dingen, die da passieren, nicht einverstanden sind. Wir wollen nicht „right-in-the-face“-politisch sein, das finde ich ziemlich abstoßend und unattraktiv und langweilig, sondern das Ganze auf eine coolere Art zu machen. Bei einem Stück wie „Extralife“ ist es klar, was gemeint ist.

Hinter-Net: Du meintest auch, daß es darum geht, den Menschen zu sagen, in welcher Position sie sich befinden. Ist das damit gemeint?

Elena: Ja. Aufrütteln klingt immer so nach großem Sendungsbewußtsein. Es kommt darauf an, zu sagen, wie man Dinge wahrnimmt, eben nicht die Dinge vorbeisausen zu lassen. Wir sind sehr interessiert, was auch in der Plattenindustrie passiert.

Hinter-Net: Seid ihr zufrieden mit Eurem Plattenvertrag?

Elena: Letztendlich sind das alles Kapitalisten. Alles geht nur um Profit und Geld. Das weiß man aber in dem Moment, in dem man den Vertrag unterschreibt.

Hinter-Net: Ihr seid doch nun ein Teil des Ganzen…!?

Elena: Ja, wir sind ein Teil des Ganzen. Wir bewegen uns auch in Widersprüchen. Wir forcieren das, in dem wir sagen, wir sehen die Welt um uns links oder marxistisch und sind gleichzeitig in dem Popgeschäft drin. Wir wollen das Thema nicht aus dem Pop verschwinden lassen.

Hinter-Net: Verschwindet das Thema?

Elena: Ich denke schon. Das ist auch bei den Hamburger Platten der letzten Jahre so. Beispielsweise die Blumfeld „L`etat et moi“ oder die Zitronen, da war das noch klar. Aber das verschwindet aus der Landschaft.

Hinter-Net: In Eurem Song „Year“ heißt es: „Ich wünsch den Deutschen alles Schlechte“. Verachtet ihr diejenigen, die ihr erreichen wollt? Wie ist der Satz zu verstehen?

Thies: Es geht nicht darum, Personen zu verachten, sondern darum, Nationalismus abzulehnen. Wenn sich ein Volk als die Deutschen bezeichnet, kann man das auch so sagen, daß man denen alles Schlechte wünscht. Ganz einfach eigentlich. Wieso hört sich das für Dich nach einem Widerspruch an?

Hinter-Net: Es hat sich in meinen Augen etwas verachtend und verallgemeinernd angehört, wenn ich sage: „Ich wünsch` den Deutschen alles Schlechte“. Punkt. Gleichzeitig wollt ihr die doch erreichen…

Thies: Es geht darum, Personen zu erreichen und kein Volk. Dann kann man das so sagen, das finde ich in Ordnung.

Hinter-Net: Ihr experimentiert mit Pop, Rock und New Wave. Woraus hat sich diese Mischung ergeben?

Thies: Wir benutzen die Sachen, auf die wir gerade Lust haben. Wir haben drei sehr ausgeprägte Musikgeschmäcker, die auch in viele Richtungen reichen. Da fließt viel mit rein. Uns ist nicht so sehr daran gelegen, ein Genre zu beschränken und das dann so zu bedienen. Wir wollen so eine gewisse Stilunsauberkeit etablieren, die in unseren Augen Pop-Musik ausmacht.

Hinter-Net: Egal, was man über Stella liest, immer ist die Rede von den Streitereien in der Band. Ich habe den Eindruck, daß das von Euch hochstilisiert wird…

Elena: Nein, das ist einfach so. Es vergeht kein Tag, an dem wir uns nicht streiten. Wir diskutieren extrem viel und haben auch unterschiedliche Leben…

Hinter-Net: Aber das ist doch normal, oder…

Elena: Naja, normalerweise ist eine Band eine Front, die zusammenhält und „wir“ sagt. Wir sagen nicht „wir“ sondern „Du“ oder „ich“. Wir gehen respektlos miteinander um, das kostet manchmal auch viel Energie. Es gibt dann auch Nervenzusammenbrüche und hysterische Anfälle.

Hinter-Net: Könnt ihr Euch überhaupt auf einen gemeinsamen Nenner einigen?

Elena: Nein.

Hinter-Net: Die CD ist doch ein endgültiges Projekt. Wie habt ihr das dann beenden können?

Elena: Wie haben wir das gemacht… eigentlich gibt es keinen gemeinsamen Nenner.

Hinter-Net: Was ist dann ein Song von „Stella“? Ein Kompromiß aus drei Meinungen?

Elena: Nein, das ist, wenn einer von uns dreien seine Meinung durchdrückt.

Hinter-Net: Trotz allem?

Elena: Ja. Jeder ist für ein Stück der Diktator. Wir haben für uns diese Tyrannenkultur entwickelt. Auch diese Terror-Kultur. Wir bewegen uns in einem Geschlechter- und Klassenkampf in dieser Band.

Hinter-Net: Themawechsel. „Stella“ klingt auf der CD sehr international. Fühlt ihr Euch als deutsche Band?

Elena: Ich fühle mich überhaupt nicht deutsch. Ich habe mich nie an irgendwas orientiert, was aus Deutschland kam. Das haben aber Mense und Thies schon getan. Es stimmt, daß wir keine Lust mehr haben auf Deutschland und daß wir woanders auch leben und arbeiten wollen. Vor allem woanders touren wollen als in Deutschland.

Hinter-Net: Auf Eurer ersten Single findet sich ein Lied mit deutschem Text. Wurde die Sprache jetzt über Bord geworfen, zugunsten des Englischen?

Elena: Ich will nichts Deutsches machen. Vielleicht Thies, aber der schreibt ja auch auf englisch.

Hinter-Net: Gehört ihr zur Hamburger Schule?

Elena: Was die personelle Besetzung und den Kontakt angeht, auf alle Fälle. Das sind Leute, mit denen wir quasi abhängen. Musikalisch tendieren wir überhaupt nicht in die Richtung wie „Blumfeld“ oder „Tocotronic“. Wir sind Teil dieser Schule, dieser Szene. Wir hängen nicht in anderen Läden ab. Wenn ich ein Stück schreibe, dann kann ich nicht darauf achten, in welche Richtung das geht.

Hinter-Net: Musik von deutschen Bands boomt. Hat Euch das geholfen?

Elena: Nein, das hat uns nicht geholfen. Was meinst Du damit? Lucielectric?

Hinter-Net: Nein, beispielsweise die Inchtabokatables.

Elena: Wer ist das? Kenn ich nicht, verkaufen die Platten oder so? Das ist unwichtig für mich.

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