„Was Alfred Hitchcock für den Thriller war, das ist John Woo für das Action Kino!“, dieser glückliche Ausruf des „Evil Dead“-Regisseurs Sam Raimi auf dem Toronto Filmfestival taucht immer wieder im Zusammenhang mit dem Hong Kong Filmemacher John Woo auf. Und wirklich, keiner inszeniert seine Actionsequenzen visuell so virtuos wie er. Die Zwischenspiele mit wüsten und ultrabrutalen Ballerorgien, die den Zuschauer wie Arien verzücken, lassen die Spannung los, die sich in den Dialogen angesammelt hat. Jedoch nutzt Woo die Gewalt nicht als Schock oder Spektakel, sondern stellt sie als letzten Ausweg verzweifelter Charaktere dar und das macht sie verständlich – für den Zuschauer wie auch für die Charaktere selbst.
Manchen Kritikern sind die Filme aus Hong Kong zu überladen und haben zuviel von allem: zu brutal, zu melodramatisch und zu ungehemmt. Doch das ist die einfache Folge aus der Fusion von asiatischem und westlichem Kino. Sie sind in sich stimmig, haben einen eigenen Stil und beeinflussen mittlerweile das westliche Kino stärker als sie es nachahmen, wie renommierte Regisseure wie Tarantino oder Scorsese ganz offen gestehen.
Nachdem John Woo sich im Filmgeschäft über Komödien und Karatefilme von der Pike auf hochgearbeitet hat, erzielte er in Hong Kong 1986 den bis dato größten nationalen kommerziellen Erfolg mit „A better tomorrow“. Dieser erste Hong Kong-Gangster-Film machte ihn und seinen Darsteller Chow Yun-Fat über Nacht zu Superstars. Aber der Erfolg ließ eine Flut von Nachahmern losbrechen, es enstanden brutale Gangsterfilme, in denen die einst im asiatischen Kino so geliebten Karate-Kämpfer die Schwerter gegen vollautomatische Waffen und Ray Ban -Sonnenbrillen tauschten.
Auf dem Höhepunkt dieser Gangsterfilmwelle realisierte John Woo „The Killer“. In der Hauptrolle wieder Chow Yun-Fat, als supercooler Auftrags-Profi-Killer, der sein Schicksal durch das Erwachen seines Gewissens besiegelt. Angelehnt an die schicksalshafte Gangsterballade „Ein eiskalter Engel“ (‚Le samourai‘) von Jean Pierre Melville schuf Woo einen der leidenschaftlichsten und faszinierendsten Gangsterfilme, die je gezeigt wurden.
Jenny, eine Nachtclubsängerin, wird von dem Killer Jeff (Chow Yun-Fat) bei der Erledigung eines Auftrages versehentlich verletzt und verliert ihr Augenlicht fast völlig. Er wollte den Killerjob nach diesem Auftritt zwar an den Nagel hängen, doch er verschiebt seinen Ruhestand, um einen letzten Auftrag anzunehmen, damit er das Geld für eine Operation an Jennys Augen aufbringen kann. Zwischen den beiden entwickelt sich eine tiefe Zuneigung. Doch die bewegendste Beziehung ensteht zu einem idealistischen Cop, der Jeff zur Strecke bringen wollte. Nachdem der Polizist von Jeffs Bestreben, Jenny zu helfen erfährt, bewundert er ihn und kämpft Seite an Seite mit ihm gegen die Auftraggeber, die nun nach Jeffs Leben trachten.
Durch ‚The Killer‘ erlangte das Hong Kong Kino internationale Aufmerksamkeit und wurde bei Kritik, westlichen Filmemachern und Zuschauern euphorisch gefeiert. Leider erreicht diese Art Film in unseren Gefilden nur selten die Leinwände, und dann nur bei einigen Festivals. Der interessierte Filmfan muß schon auf Videos oder Laserdisks aus dem Ausland zurückgreifen und muß noch darauf achten, daß die Filme nicht zu stark gekürzt sind. Die deutschen Versionen sind derart zerstümmelt, daß Kürzungen um 30 Minuten und mehr keine Seltenheit sind.
‚The Killer‘ liegt in den USA als CLV- und als CAV-Laserdisk vor und bieten dem anspruchsvollen Zuschauer hervorragendes Heimkino-Vergnügen. Aber aus England, Holland und natürlich Hong Kong sind auch qualitativ hochwertige Originalbänder und LDs zu beziehen, wobei man sich aber auf jeden Fall informieren sollte, ob die jeweiligen Titel ungekürzt sind.