Interview: Yo La Tengo

Die gute alte Tante aus Hoboken

Yo La Tengo, die ewige Alternative zu allem und für jeden, veröffentlichten im April 1997 mit „I Can Hear The Heart Beating As One“ (Matador/Rough Trade) nun das achte reguläre Studioalbum. Hinzu kommen noch unzählige Maxis, Singles, Samplerbeiträge und Beiträge zu Soundtracks.

Die Band existiert seit 1984, erscheint allerdings in keinem Rock-Lexikon und ist die typische College-Rock-Band, lange genug im Geschäft, um überleben zu können, zu sperrig, um den kommerziellen Durchbruch zu schaffen. YLT machen noch Platten, die man sich komplett anhören kann, weil Abwechslung und Wiedererkennungswert in einem ausgeglichenen Verhältnis stehen – nicht anders auch beim neuen Album.

Die Band besteht im Kern aus dem Ehepaar Ira Kaplan (G, Voc, Organ) und Georgia Hubley (Drums, Voc). Die Position des Bassisten ist seit längerem mit James McNew (Bass, Voc, Organ) besetzt. In der Anfangsphase hat auch mal ein gewisser Dave Schramm seine Gitarre bei Yo La Tengo geschwungen. Beheimatet ist die Band in Hoboken vor den Toren New Yorks. Mit Ira Kaplan haben wir uns über das neue Album, übers Platten aufnehmen und das Internet unterhalten.


Ihr habt mit „I Can Hear The Heart Beating As One“ ein neues Album aufgenommen, das sowohl bekannte Sounds, als auch neuere Klänge enthält. Insgesamt scheint mir das Album weniger einheitlich zu sein, als dies z.B. noch bei „Electr-O-Pura“ der Fall war…

Nun grundsätzlich würden wir auch „Electr-O-Pura“ in gleicher Weise beschreiben, als eine Mischung zwischen alten und neuen Sounds. Die Leute nehmen unser Zeug ganz unterschiedlich auf. Teilweise sehen die unsere Sachen auch ganz anders als wir, aber irgendwie ist das auch in Ordnung. In mancher Weise wollen wir uns aber schon vom letzten Album unterscheiden.

Wenn ihr eine neue Platte macht, habt ihr da ein festes Konzept im Kopf oder laßt ihr es so auf euch zukommen?

Nein mit einem festgelegten Konzept starten wir überhaupt nicht und zu guter letzt gibt es dann vielleicht auch gar keins. Bei den beiden letzten Alben hatten wir am Ende so viele Songs, daß wir ein Bündel von Ideen für verschiedene Alben hatten. Bei diesem Album war es sogar noch viel schwieriger rauszukriegen, welches Album wir letztendlich rausbringen wollten. Bei der Liedauswahl spielt es dann bis zu einem gewissen Grad schon eine Rolle,was wir auf dem letzten Album draufhatten. So z.B. der Song „Mr. Ameche Plays The Stranger“ vom „Camp Yo La Tengo“ Album (Maxi zu der Electr-O-Pura LP). Der Song entstand bei den Aufnahmen zu Electr-O-Pura, wir haben es dann aber leider nicht hinbekommen, den Song aufs normale Album zu bringen. Gerade deswegen ist „Spec Bepop“ auf dem Album drauf, wir wollten diesmal nicht wieder ein Instrumentalstück unter den Tisch fallen lassen. Umgekehrt bezweifele ich, daß auf dem nächsten Album wieder zwei Coverversionen sein werden. Bei diesem Album waren die zwei Coverversionen o .K., weil wir schon lange keine mehr draufhatten. Das ist so die Denkweise, wie wir von Album zu Album vorgehen. Wir ändern immer ein paar kleine Details, so daß sich die einzelnen Alben auch voneinander unterscheiden.

Wir hätten da noch ein paar Fragen zu verschiedenen Songs auf dem Album : „Stockholm Syndrom“ – Wird das Lied von James McNew gesungen? Ich habe den Eindruck, daß der Bass diesmal eine wichtigere Rolle spielt, stimmst du mir da zu?

Ja, bei diesem Song singt James. Nee! die Basslinie spielt keine größere Rolle, die gleiche Rolle wie früher auch. Ich weiß auch gar nicht, wie du darauf kommst. Bei einigen Songs ist sogar gar kein Bass drauf, z.B. bei Autumn Sweater.

A propos „Autumn Sweater“ – Stimmt es, daß für diesen Titel eine Remix CD rauskommen wird?

Ja das mit der Remix-CD stimmt. Die Idee kam von MATADOR und sie fragten uns, was wir davon halten würden, einige Remixe von unseren Stücken zu machen. Wir fanden es eine coole Idee, daß andere Leute unsere Stücke interpretieren. Eine Mixtur zwischen Leuten, die wir schon kannten, Leuten, die wir noch nicht kannten , Leuten, die uns kannten bzw. nicht kannten. Wir baten dann Doug McCombs von Tortoise die Sache in die Hand zu nehmen, weil wir ihn einfach am besten kannten. Er hat sich dann in seinem Umfeld nach entsprechenden Leuten umgeschaut. Autumn Sweater wurde vom Drum´n Bass Künstler µ-zig remixt, Dr. Octagon und Kevin Shields von den englischen Noise-Pop-Helden My Bloody Valentine haben neben Tortoise noch Hand angelegt. In Europa wird die Remix EP in limitierter Auflage dem Album beigefügt sein.

Versucht ihr euch muskalisch auf dem laufenden zu halten? Du hast eben Tortoise genannt, kriegt ihr so etwas irgendwie mit? Ist Drum´n Bass ein Thema für euch?

Gerade Tortoise ist für uns nichts neues. Wir kennen Doug (McCombs) nun schon seit über 10 Jahren. John (McEntire) lernten wir kennen, als wir mit Seam auf Tour waren. Wir kennen diese Leute also schon länger und dann kuckt man natürlich schon, was die da so mit ihrer neuen Band machen. Einige Drum´n Bass Sachen machen mich schon neugierig. Den Zugang zu so einem neueren musikalischen Welt kriege ich aber eher über persönliche Beziehungen zu den Musikern.

„We´re an American Band“ – Was ist eigentlich typisch amerikanisch an euch bzw. an eurer Band? Was denkt ihr überhaupt über Amerika?

„We´re An American Band“ ist so ´ne Art Road-Song, desweiteren sind wir natürlich auch Amerikaner und auch eine amerikanische Band. Die Politik verfolgen wir allerdings nicht so. Der Song ist auch eine Referenz an den Song „We´re an American Band“ von Grand Funk Railroad, der den Rock´n Roll so gut beschreibt : Sex mit unzähligen Groupies, Zertrümmerte Hotelzimmer usw. Unsere Version sieht etwas anders aus, obwohl wir auch eine amerikanische Band sind. Wenn wir auf Tour sind, passiert irgendwie gar nichts, wir fahren nur mit dem Auto kreuz und quer. Der Song ist eine Mischung zwischen spaßigen und ernsteren Sachen.

„My little corner of the world“ – Von wem ist diese Coverversion?

Mir ist es zwar peinlich, aber ich muß gestehen : Ich weiß es nicht! Das Stück ist von einer Platte, die ich in einem alten Kramladen für 15 Cents gekauft habe. Die Scheibe ist von einem obskuren Typen und sah irgendwie vielversprechend und merkwürdig aus, nur mit Drum-Computer und E-Gitarre. Zunächst habe ich geglaubt, der Song sei von ihm, was allerdings nicht der Fall ist. Auf der Platte selbst waren leider keine Angaben darüber, wer den Song geschrieben hat. Lustig ist vielleicht auch noch folgendes : Georgia spielte den Song vor einem Jahr bei einem Solokonzert. Meine Mutter war auch auf dem Konzert, sie sang das Lied lauthals mit und sagte, „ich mag den Song“. Wir waren natürlich total erstaunt, daß sie den Song kannte und fragten sie, woher sie das Lied kannte. Sie sagte uns dann, daß das ein alter Schlager sei. Von wem er letztendlich ist, haben wir noch nicht rausbekommen.

Das neue Album wurde wieder von Roger Moutenot produziert. Ihr arbeitet jetzt schon längere Zeit mit Roger, andere Bands wechseln bei jeder Platte den Produzenten, warum arbeitet ihr speziell mit Roger?

Wir mögen es einfach, mit Roger zu arbeiten und sind auch mit den Ergebnissen sehr zufrieden. Er bringt auch seine eigenen Ideen mit ein, auch Dinge, auf die wir selbst so gar nicht kommen würden. So können wir mit ihm dann auch neue Dinge ausprobieren, dazu braucht es dann nicht unbedingt einen neuen Produzenten. Beim nächsten Album müssen wir halt mal sehen, wie es dann aussieht.

Wie habt ihr das Album aufgenommen? Habt ihr es live eingespielt oder einzeln?

Das machen wir gerade so, wie es der jeweilige Song verlangt. Es ist ganz unterschiedlich und auch nicht unbedingt so, wie du es vielleicht erwarten würdest. „We´re an American Band“ ist zum Beispiel komplett live eingespielt. Aber wir müssen nicht unbedingt unsere Stücke live einspielen – wenn wir auftreten, spielen wir live, wenn wir aufnehmen, nehmen wir eben auf. Da muß nichts ineinander übergehen.

Noch eine Frage zum Equipment, du scheinst ein großer Fender Fan zu sein. Modernes Equipment scheint nicht so euer Ding zu sein….

Ja das stimmt. In Musik-Shops rumzulaufen ist nicht unser allerliebste Beschäftigung. Wenn ich einen neuen Song mache, mag es irgendwie auf Sounds zu reagieren. Das digitale Zeug eignet sich nicht so für unsere Arbeitsweise. Neue digitale Geräte sind in der Lage, Sounds immer in der gleichen Art und Weise wiederzugeben. Ich will aber keine Sounds, die man wiederherstellen kann. Wir wollen eher Sounds neu entdecken und da braucht es halt Gitarren, alte Orgeln. Wir suchen da eher so nach coolen Sounds. Klar kann man das auch mit digitalen Geräten, aber gerade das Quietschen und Stöhnen von alten Instrumenten läßt das Ganze irgendwie mysteriös bleiben. Live verwenden wir zur Zeit gerade eine Farfisa-Orgel oder eine Ace-Tone (Orgel mit der kein Alleinunterhalter mehr spielen würde, sieht aus, wie vorm Müll gerettet). Das digitale Equipment eignet sich auch nicht so ganz, weil ich ziemlich wild mit den Sachen umgehe, ich schlag da schon mal ganz gehörig drauf.

Zum Entstehen von neuen Songs: Was steht am Anfang – der Text, die Musik?

Fast immer ist zunächst die Musik vorhanden. In den letzten Jahren ist die Mehrheit der Stücke aus gemeinsamen Jams entstanden. Wir spielen dann einfach bis wir etwas haben, was uns gefällt. Da legen wir dann einfach einen Singsang drüber, auch wenn noch kein Text für den Song vorhanden ist. Wir spielen solche Sachen dann auch schon mal live, wir singen dann einfach irgendwas. Bei einigen Songs auf dem Album z.b. Autumn Sweater, Sugarcube, Damage fielen mir die Texte beim Üben einfach so ein. Im Studio hab ich das ganze dann einfach auf ein Blatt Papier geschrieben. Ich bin natürlich immer froh, wenn sowas geschieht.

Den kleinen Winkel ihrer Welt haben Yo La Tengo verlassen, als sie unlängst in Mary Harrons Doku-Drama „I Shot Andy Warhol“ Velvet Underground verkörpern durften. John Cale konnte sie dabei beobachten:

„Sie haben die Factory nachgebaut, und diese kleine College-Band – Yo La Tengo heißt die, glaube ich – stand auf der Bühne und imitierte Velvet Underground. Mir wurde schwindelig, ich mußte ganz schnell verschwinden. So echt wirkte das. Geradezu gespenstisch.“

Kannst du ein paar Worte über den Andy Warhol Film verlieren?

Wir sind große Kino-Fans, ich mag es einfach, in Kinofilme zu gehen. Wenn man so ein großer Fan ist, dann ist es schon toll einmal in einem Film mitzuspielen, mehrere Tage am Film-Set zu sein. Irgendwie war jeder froh mal sowas zu machen.

Unser Magazin erscheint im Internet. Was denkt ihr über das Internet? Seit ihr da irgendwie aktiv?

Georgia und ich haben mit Computern nichts am Hut, James ist da mehr interessiert. Wir haben zwar selbst keinen Computer, aber wenn ihr uns ein Mail schicken wollt, schickt es über MATADOR, die leiten das dann sicher weiter.

Gibt´s irgendwelche Unterschiede zwischen dem Publikum in Europa und Amerika?

Das ist ganz unterschiedlich, selbst innerhalb Europas ist das ganz verschieden. Holland und Spanien sind anscheinend zwei verschiedene Planeten. Diese Unterschiede gibt’s überall, das hängt eher davon ab, wie gut die Leute unsere Musik kennen.


Diskographie:

  • Ride The Tiger, 1986 Coyote
  • New Wave Hot Dogs, 1987 Coyote
  • President Yo La Tengo, 1989 Coyote
  • Fakebook, 1990 Bar/None/City Slang
  • May I sing With Me, 1992 Alias/City Slang
  • Painful, 1993 Matador/City Slang
  • Electr-O-Pura, 1995 Matador/City Slang
  • Genius + Love = Yo La Tengo, 1996 Matador/Rogh Trade
  • I Can Hear The Heart Beating As One, 1997 Matador/Rough Trade
Das Interview führten Frank Wagner und Mike Lehecka

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert