Reisegepäck für die Situation der Einsamkeit trägt sich im allgemeinen schwer – jedenfalls rein bildlich aufgefasst. Jedoch nicht, wenn die Reise sorgfältig geplant und gut bestückt wird. Die Frage nach den 10 Platten, die man mit auf eine Insel nehmen sollte, will demnach der Situation entsprechend ausgesucht sein. Die einsame Polarinsel verlangt andere Musik als die Südseeinsel. Da unser Redaktionschef (Ups, Walter) keine Vorlage für das Reiseziel gab, werde ich mir ganz großzügig eine Südseeinsel aussuchen. Die Auswahl meines Plattenschranks ist auch weitestgehend sonniger Natur, sprich, die meisten meiner Platten sind hochmelodisch und leicht verdaulich. Dennoch sollte für so manche Situation eine harrschere Gangart eingelegt werden, wie zum Beispiel, wenn unerwartet Kannibalen zu Besuch kommen. Dafür gibt es dann gleich Empfehlung Nummer eins:
Carcass- Symphonies Of Sickness (Earache/Rough Trade)
Diesen Krach-Klassiker sollte jeder bei der Begegnung mit Kannibalen bereithalten. Die Effekte könnten allerdings geteilter Art sein: Entweder wirst Du begeistert in die Reihen des Stammes als Ehrenmitglied aufgenommen, oder Du schaffst es, die gesammte Sippenschaft in Vegetarier umzuwandeln. Natürlich ist dies nur möglich mit der englischen Erstpressung, deren Gatefold auf der Innenseite ein Schlachthausszenario bietet, das selbst den Damen und Herren Kannibalen einheizen wird.
Gorilla Biscuits- Same (Revelation Records)
Für alle, die sich einer Konfrontation mit Affen gegenübergestellt sehen, ist dies die einzige Art und Weise sich unliebsame Mißverständnisse vom Hals zu halten. Zeig denen, daß Du einer von ihnen bist. Verfüttere Notfalls die gelbe Zweitpressung falls Du kannst, denn die soll leicht nach Banane schmecken. Auf alle Fälle ist diese E.P. so positiv, daß Du auch ohne Affen, Straight Edge-Hymnen wie ‚High Hopes‘ morgens am einsamen Strand voller Energie in die Stille schreien kannst- es wird Dir keiner widersprechen.
Bert Kaempfert- Swinging Safari (Polydor)
Mach Dir die Insel Untertan! Ich habe mir das schon als Kind so vorgestellt, damals als mein Paps uns mit seinen Big Band-Tapes auf der Autofahrt quälte. Als dann Bert den lahmen James (Last) aus dem Kassettenrekorder förmlich wegblies, stellte ich mir bei diesem Stück vor, den Dschungel auf dem Rücken eines Elefanten zu erkunden. Mit Easy Listening hat diese Musik allerdings nichts zu tun, denn dieser Hit ist einfach zu ergreifend um als Muzak durchzugehen.
Kenny Rogers & Dolly Parton- Islands In The Stream (Harvest/EMI)
Das Lied für den Katermorgen, nachdem Du Deinen ersten selbstdestillierten (nich so dollen aber dafür umso effektiveren) Kokosschnaps gekippt hast. Songs wie dieser erleichtern Dir das Kotzen um einiges. Der falsch aufeinandersitzende Gesang hört sich eh an wie Rudies Kneipe um die Ecke, und schon fühlst Du Dich nicht mehr ganz so einsam.
Serge Gainsbourg & Jane Birkin- Je t´aime (moi non plus) (Polydor France)
DIE Platte für gaaaaaaaanz einsame Stunden. Wenn keine „erotischen Filme“ zur Erleichterung zu Verfügung stehen, wird dieses Gestöhne Deine Fantasie ankurbeln. Doch Vorsicht: Es könnten einigen Tierchen genauso ergehen und dieser Umstand würde Dich in prekäre Situationen führen. Deshalb wird empfohlen, diese Platte nur in stillen Eckchen mit Kopfhörer zu genießen.
Trini Lopez- If I Had A Hammer (?)
Wenn man die Platte nicht mit im Gepäck hat, so wird sich jeder, der auf einer einsamen Insel ohne Werkzeuge auskommen muß, diesen Titel als Wunsch zigtausendmal vorsummen. In diesem Fall muß das Aufstellen der Holzhütte ohne dieses kleine nützliche Gerät auskommen; und auch das Boot, das man sich eines Tages bauen wird, weil man die Einsamkeit nicht mehr erträgt, muß ohne Hämmerlein erstellt werden. Dafür wird man diesen Song nicht mehr los. Garantiert wird man das Stück nach dem Aufenthalt hassen und nie wieder in die Versuchung kommen es aufzulegen.
Yes – Owner Of A Lonely Heart (Atco/WEA)
Das Leben sollte man auf jeden Fall immer mit einer Portion Selbstironie auffassen; Für die einsame Insel unentbehrlich: Der „Pisstake“ (wie sich der Engländer gerne ausdrückt) der Saison: „Owner of a lonely heart, you´re much better off than an owner of a broken heart!“ Jaja, macht Euch nur selbst froh. Das Lied hat nicht nur einen absolut selbstironischen Touch, nein es vereinigt all das, was der Musikliebhaber mag: Schweinegitarre, Eunuchengesang, pompöse Keyboards, Soli ohne Ende und das alles verpackt in einer netten Achtziger Jahre Produktion. Nun soll sich noch jemand beschweren. Für Leute, denen Yes zu gewagt ist, geht noch Roy Orbison mit „Only The Lonely“ durch. Aber die Leser dieses Magazins sind schließlich keine „Warmduscher“.
Grace Jones- Island Life (Best Of) (Island Records/BMG)
Eigentlich sollte diese Scheibe am Anfang dieser Rubrik stehen, aber dann wäre mir keine Überleitung eingefallen. Dieses Album bietet all das was der Inselmensch so braucht, sie ist sozusagen der Inselführer im praktischen Vinylformat – außerdem muß man Grace Jones Glauben schenken, denn wer sonst hätte aus dem öden Reggae-Land Jamaica eine Disco Karriere starten können. Deshalb: Sieht das Leben noch so einsam und beschissen aus, leg Grace auf und werd ein Star für zwei Seiten voll von klasse Hits. (P.S.: Sorry Ihr Roots-Reggae Raucher-Gemeinde, aber meiner Meinung nach gibt es bessere Musik um high zu werden, und nicht jeder Rausch ist langsam!)
Die Sterne- Inseln (LAge D
Or/Sony)
Das Lied, das auf „Posen“ durch seine Textzeile „Wird bald auch kein Arsch mehr an mich denken und ich war nur ein Witz für eine Nacht“ besticht. Eine rhetorische Frage, die sich auch weniger intellektuelle Menschen voller Selbstzweifel in anderer Form gestellt haben. Jedenfalls ein Stück, das durch sein Pseudo-Samba/Bossa auf Easy Funk- Basis das Milchkaffee/Wir müssen mal drüber reden/WG-Problem-Gespräch ersetzt. Jeder Student (wie ich es leider noch bin) kann selbst auf der einsamsten Insel mit dieser Platte das Campuscafé-Soziologen-Gespräch simulieren. Wir verorten uns in Richtung Strand, yeah!
Belle And Sebastian- Get Me Away From Here, I´m Dying (Delabel/Virgin)
Der letzte Aufschrei vor dem Selbstmord. Sucht Euch die stabilste Palme aus und macht Euch mit dem Text vertraut, den es wird der letzte sein, den Ihr mitsingt! Nein, nein, nein! Dieser Song ist eigentlich positiv und drückt musikalisch die Flucht nach vorne aus. Laß ihn auf full blast laufen und schon werden 100 Schiffe die Insel umsegeln um Dich in unsere ach so schöne Zivilisation zurückzuholen. Das nächste Mal steige ich doch lieber auf einer Polarinsel aus – zuviel schlechten Kokosschnaps gehabt!