Am 13. Januar dieses Jahres fand sich Ashley Judd im Hamburger Atlantic Hotel zu Interviews ein. Anlaß war die Promotion für ihren neuen Film „…denn zum Küssen sind sie da“, einem Psycho-Thriller mit Morgan Freeman. Ashley spielt darin die Ärztin Kate, der es mit Kraft und Kopf gelingt, ihrem geistesgestörtem Entführer zu entkommen. An der Seite von Polizei-Psychologe Alex Cross (Morgan Freeman) begibt sie sich auf die Suche nach dem sadistischen Irren, der noch sieben weitere junge Frauen gefangen hält und eine nach der anderen zu töten verspricht. Susanna Mahnken sprach mit der Schauspielerin.
Ich habe gehört, daß Sie extra für den Film das Kickboxen gelernt haben. Stimmt das?
Ich wollte all meine Stunts unbedingt selbst machen. Also habe ich bis auf einen Sprung, den ich aus versicherungstechnischen Gründen nicht ausführen durfte, alles allein gemacht. Mit dem Kickboxen habe ich schon kurz vorher angefangen. Mein Charakter Kate im Buch kann Karate, aber ich fand Kickboxen besser.
Was hat Sie denn am meisten an der Rolle interessiert?
Vielleicht die Tatsache, daß sie einem so viel Angst macht. Ich dachte, daß die Story einen tollen Film abgeben würde, weil die Geschichte clever ist und eine große Heldin hat, was für das Genre sehr originell ist. Außerdem ist die Story beängstigend.
In der Geschichte spielen Sie eine durchtrainierte Frau, sehr selbstbewußt, die aber trotzdem gekidnappt wird. Macht Ihnen der Gedanke, daß so etwas jedem passieren kann, keine Angst?
Das ist ein Teil des Lebens. Jedem kann alles passieren, Träume können wahr werden. Das war bei mir genauso wie bei meiner Mutter und meiner Schwester, die mit ihrer Musik erfolgreich sind. Gleichzeitig kann jeder von einer Tragödie heimgesucht werden. So ist eben das Leben.
Sind gerade Entführungen ein Thema mit dem Sie sich als Star in Hollywood beschäftigen?
Nein, wirklich nicht. Ich möchte nicht naiv oder vertrauensseelig klingen. Mit einem bestimmten Level an Vorsicht lebe ich schon. Aber ich glaube, daß man sein Leben selbst in der Hand hat und sich selbst erfüllende Prophezeiungen kreieren kann. Ich verschwende keinen Gedanken daran, daß sich solch unwünschenswerte Dinge in meinem Leben ereignen könnten. Genauso wenig denke ich, daß ich mal Krebs bekommen werde. Das nehme ich habe ich für mich selbst nicht vorgesehen.
Warum heißt der Film „Kiss The Girls“?
Der Titel stammt vom Buch. Im ersten Kapitel, wenn der Killer eingeführt wird, beschreibt er sein krankhaftes Morden und wie es angefangen hat. In seiner Dimension hält er sich für einen großartigen Liebhaber und sein Euphemismus für das Morden ist es, daß er die Mädchen küßt. Sie haben ihn auch zurückgeküßt, was heißt, daß die Frauen ihn ebenfalls geliebt haben mußten. Das Buch ist ein Riesenerfolg in Amerika. In Schweden heißt der Film „Und er hat sie alle geliebt“ und in Frankreich „Der Sammler“.
Haben Sie das Buch schon vor dem Drehbuch gelesen?
Ich habe es während der Proben gelesen. Ich hielt das für nützlich, um eventuell einen weiteren Aspekt zur Vorbereitung auf die Rolle herauszuarbeiten.
Sie interessieren sich für Yoga und gehen regelmäßig in den Ashram?
Ja, ich bin Christin, interessiere mich aber sehr für den Buddhismus. In allen zehn Richtungen des Universums gibt es nur eine Wahrheit. Das Licht und die Weite, die Werte und all die Dinge, die den Buddhismus ausmachen, sind mir sehr wertvoll und bedeuten mir viel. Mit Yoga habe ich schon als kleines Mädchen angefangen. Unglaublich, aber meine Großmutter in Ost-Kentucky hat Yoga unterrichtet. Das war in diesem Hinterland gar nicht so leicht, schon gar nicht für Frauen, denen sogar gesagt wurde, daß Yoga nicht gut für ihren Blutdruck sei. Da ist diese Frau, die Entspannungs- und Stretchübungen macht, was hervorragend gegen Anspannung ist, und ihr Doktor sagt, daß sie damit aufhören soll. Er hat ihr auch geraten, nicht zu viele Treppen zu steigen, weil das den Blutdruck erhöhen würde. Als ich noch klein war, hat meine Oma mir ein Buch geschenkt, auf dessen einer Seite ein Tier und auf der anderen ein kleines Mächen abgebildet war, das das Tier immitierte. Es gab den Frosch, den Schwan usw. Ich war schon immer sehr gelenkig und hatte deswegen auch nie Probleme dabei. Als ich erstmal angefangen hatte, machte ich gleich zwei Tage damit durch. In mir war so viel Licht, ich war voller Energie und wollte jeden umarmen, der hereinkam. Es fühlt sich einfach gut an.
Es macht Sie also innerlich ruhig?
Ja, Yoga ist sehr beruhigend und eine sehr friedliche Möglichkeit, mit seinen Gedanken allein zu sein. Dadurch verändern sich nicht die Gedanken, aber man entwickelt eine Freundlichkeit zu sich selbst und die Fähigkeit, diese urteilsfrei denken zu können. Außerdem gibt Yoga einem eine Perspektive. Eine Redensart lautet: Wenn Du eine Sache nicht ändern kannst, ändere Deine Gefühle für sie.
Ihre Großmutter muß eine sehr moderne Frau gewesen sein.
Ja, nicht wahr? Ich denke, sie war weniger modern als weise. Sie war sehr liebenswert und hatte immer ein Poesie- und ein Grammatikbuch neben dem Bett, um weiterzulernen und sich an gutausgedrücktem Englisch zu erfreuen. Dabei kam sie aus einer so armen Familie, daß sie während ihrer Highschool-Tage jedes Jahr in einer anderen Familie leben mußte, weil ihre eigene sie nicht versorgen konnte. Sie war auch sensibel und sehr schön. Als Teenager habe ich mal geträumt, daß sie stirbt. Das war das erste Mal, daß es mir in den Sinn kam, sie könnte sterblich sein. Davon erzählte ich ihr bei meinem nächsten Besuch. Sie sagte ‚Liebling, natürlich werde ich irgendwann sterben.‘ Das hörte sich ganz einfach an, keine große Sache, so war das eben. Meine Angst vor dem Tod ist seitdem komplett verschwunden. Sie hat mir sehr viel mitgegeben.
Haben Sie je daran gedacht, wie Ihre Mutter und Schwester Musik zu machen?
Nein, aber ich singe sehr gern. Die Countrymusik ist ein einzigartiges Genre, das wir Amerikaner erfunden haben. Wie alle amerikanischen Kunstformen, hat auch diese akkustische Musik mit alten Melodien eine Menge schottischer und irischer Wurzeln. Es gibt auch die traurige, herzzerreißende und einsame Country-Komponente. Außerdem ist sie Ausdruck des bodenständigen Lebensstils. Meine Schwester hat meiner Meinung nach eine der besten Stimmen unserer Zeit. Sie ist wirklich mit dieser wunderbaren Gabe gesegnet. Es ist genauso, als wäre man mit einem Opernsänger in einem Raum. Wenn der den Mund öffnet und lossingt, fragt man sich erstaunt, wie man so einen tollen Ton fabrizieren kann. Sie ist so erstaunlich gut. An Amerika sind sie und meine Mutter große Stars. Sie haben zusammengesungen, bis meine Mutter krank wurde und sich aus dem Geschäft zurückziehen mußte. Ihr Konzert war das erfolgreichste Kabel-„Pay Per View“-Ereignis in der Geschichte des Fernsehens, und meine Schwester war die erste Frau in der Country-Szene, die dreifaches Platinum für ihre Platten bekam.
Erinnern Sie sich daran, wie das angefangen hat?
Sie haben im Duett angefangen, als ich in die zweite Klasse ging. 1984 sind sie professionell ins Musikgeschäft eingestiegen und sangen als „The Judds“ zehn Jahre lang zusammen. Bis heute hat meine Schwester vier Solo-Alben herausgebracht.
Wann haben Sie das erste Mal darüber nachgedacht, Schauspielerin zu werden?
Ich hatte nie eine genaue Definition von der Schauspielerei. Aber ich habe schon immer auf eine Art und Weise gespielt, die mir heute dem Schauspielen sehr nahe zu sein scheint. Ich hatte eine sehr lebhafte Phantasie und eine ausgeprägte Begeisterung dafür, mich auszudrücken.
Mit „Heat“, „Time To Kill“ und jetzt „Denn zum küssen sind sie da“ scheinen Sie sich auf Thriller festgelegt zu haben. Oder wie wäre es mal mit einer romantischen Rolle?
Hätte ich liebend gern. Schauspielerei hat für mich etwas mit dem Verstehen des Lebens und dem Erleben von Gefühlen zu tun. Meiner Ansicht nach wäre es jetzt ein natürlicher Fortschritt, einen Charakter zu spielen, der aus Liebe viele große Emotionen zeigen kann. Einige Drehbücher, die ich zur Zeit lese, haben dieses Element in der Story.
Wie war die Zusammenarbeit mit Morgan Freeman?
Es war der Himmel. Er ist sehr energisch, hat aber auch ein unglaublich weiches Herz. Ich ging mal am Set zu ihm, um ihn um Rat zu bitten. Er half mir und hat dabei ein gewisses Ego entwickelt. Seine beschützende Art und sein sehr intensiver Blick haben mir unglaublich viel geholfen. Ich hoffe, daß ich das auch mal für jemanden tun kann, wenn ich 59 Jahre alt bin.
Was halten Sie von Hollywood?
Ich lebe nicht dort, sondern in Tennessee.
Aber Sie arbeiten da.
Manchmal. Wir haben „Denn zum Küssen sind sie da“, „Heat“ und „Norma Jean“ dort gedreht. Ich war aber auch schon in Mississippi, Chicago, Florida und New York.
Könnten Sich denn vorstellen in L.A. zu wohnen?
Alles ist möglich. Es wäre aber klar, daß selbst wenn ich ein Haus in L.A. hätte, ich nicht die ganze Zeit da sein würde. Mein Zuhause in Tennesse ist eine Oase und ich liebe es, dort zu sein. Für mich ist es interessanter, nach Los Angeles zu fahren, um dort die Leute zu sehen, die ich sehen möchte, gut essen zu gehen, meine Yogaklasse zu besuchen, an den Strand und in die Berge zu gehen. Das reicht mir.
Sie leben allein. Haben sie keine Angst vor Überfällen?
Schon als ich auf’s College ging, habe ich es geschafft, meinen eigenen Raum zu ergattern. Heute habe ich ein großes Sicherheitssystem mit Bewegungsmeldern und allen üblichen Raffinessen. Außerdem habe ich viel Vertrauen in meine Umgebung. Es ist ein sehr entlegener Ort, meine Eltern sind meine nächsten Nachbarn.
Sie haben auch schon Theater gespielt. Was macht Ihnen mehr Spaß: der direkte Draht zum Publikum oder die abstraktere Arbeit beim Film?
Ich mag beides. Die Arbeit am Theater und beim Film ergänzt sich. Im Theater hat man eine räumliche Begrenzung. Man muß ein Stück auf einmal durchspielen – im Gegensatz zum Kino. Seinen Charakter komplett zu verstehen, ihn in der jeweiligen Gefühlsverfassung wiederzugeben und die Geschichte leben zu lassen, ist eine wunderbare Herausforderung an die Reife und die eigenen Fähigkeiten. Ein Theaterstück hat immer etwas sehr Bewegendes und Lyrisches an sich. Das tolle am Film ist, daß man die Chance hat, sich auf einzelne Momente zu konzentrieren. Man kann sie wieder und wieder auf vielfältige Art und Weise improvisieren und gründlich daran arbeiten.
Fehlt Ihnen dabei nicht der Kontakt zum Publikum?
Nicht unbedingt. Das ist zwar schön, aber es ist auch aufregend, sich einem kleinen Stückchen einer Szene vollkommen hinzugeben. Der Erfolg daraus beschränkt sich eher auf einen selbst, weil man kein Feedback bekommt – außer vielleicht von den Kollegen und dem Regisseur. Das ist auch wunderbar, weil es mehr Chancen gibt, es richtig gut hinzubekommen, anstatt es von der Spielzeit eines Stückes abhängig zu machen.
Wurde denn in „Denn zum küssen…“ viel improvisiert?
Nein, nicht so häufig. Die Kämpfe waren alle sehr gut choreographiert, was mir sehr viel Spaß gemacht hat.
Der Film wurde auch im Wald gedreht. Was haben Sie denn abends so gemacht?
Ich liebe es, im Wald zu drehen. Manchmal habe ich meinen Pyjama und einen Sweater angezogen und habe mich auf einen Baum zurückgezogen. Wir haben den Film auf dem Set in „Küß‘ das Eichhörnchen“ genannt. Es war schön dort im Frühling. Ich hatte mein eigenes Haus, habe gekocht und hatte einen kleinen Garten.
Welchen Film drehen Sie als nächstes?
Ich habe gerade einen Film namens „Small Miracles“ mit Oliver Platt und Jim Carrey gedreht, der auf dem Buch von John Irving, „Ein Gebet für Owen Meany“, basiert. Darin geht es um einen Jungen, der extrem klein ist und von seinen Schulkameraden geärgert wird. Die Geschichte handelt von seinem besten Freund und ihm. Ich spielte seine Mutter. Mein neues Projekt heißt „Eye Of The Beholder“. Im März drehen wir mit Ewan McGregor.
Kommen Sie jetzt in das Alter, in dem man sich langsam mehr mit Rollen von Müttern anfreunden muß?
Ich denke, daß ist ganz natürlich, wenn man älter wird. Mir hat das sehr viel Spaß gemacht – besonders die Szene, als ich ihnen gute Nacht sagte und den süßen kleinen Jungen immer wieder sagen mußte, daß ich sie liebe. Das war wunderbar, weil die beiden wirklich etwas ganz Besonderes waren. Ich habe sie gedrückt und geküßt – das war der beste Job, den ich je hatte!
Ein kleiner Test für Ihr weiteres Leben?
Nicht wirklich. Ich habe eine Nichte und einen Neffen, die ich vergöttere. Wir haben eine sehr enge Beziehung zueinander. Ich habe einmal gesagt, daß ich die beiden so sehr liebe – und froh bin, daß es nicht meine sind. Meine Schwester hat das schon richtig verstanden, glaube ich. (lacht)
Haben Sie Idole im Filmgeschäft?
Gene Hackmann gefällt mir sehr gut. Und ich liebe Vanessa Redgrave. Das ist irgendwie die übliche Konstellation von Stars, die man so mag.
Interessieren Sie sich auch für europäische Filme?
Ich habe mehr davon gesehen, als ich noch in L.A. gewohnt habe, weil bei mir um die Ecke ein Kino war.
In der heutigen Zeitung war ein Foto von Ihnen abgebildet, auf dem Sie wie eine französische Schauspielerin aus den 50ern aussehen. Haben Sie Ambitionen im europäischen Film?
Ich habe tatsächlich einige Screentests für französische Filme hinter mir. Das würde mir schon Spaß machen. Ich würde auch gern mal in Italien drehen.
Sprechen Sie französisch?
Ja, ich habe es in der Schule gelernt und bin dann gereist, als ich 19 war.