Nun sitz ich hier und wunder mich, wie ich es jetzt doch tatsächlich wieder geschafft habe, mich zu einer neuen Ausgabe meiner Kolumne aufzuraffen. Doch, wie auch immer, die Gründe für die Re-Aktivierung sind differenziert und werden für euch zunächst verschlossen bleiben. Aber einer der ausschlaggebenden Gründe war mit Sicherheit die Wieder-Veröffentlichung des ersten Suicide-Albums (Blast First/EMI). Ein frühes Meisterwerk der New Yorker Punk-Szene der Siebziger Jahre. Dabei sollte der Suicide-Neuling sich allerdings nicht zu vorschnellen Brat-Gitarren-Assoziationen hinreißen lassen, denn die New Yorker Punk-Szene war, anders als die Londoner Szene, nicht so sehr vom Pub-Rock dominiert. Vielmehr war sie ein Sammelbecken für Musiker, Filmemacher und Performer, die sich nicht in den mittlerweile etablierten Hippie- Kulturbetrieb eingliedern wollten. Ein guter Platz für viele, wie z.B. Lou Reed, Jim Jarmusch, Patti Smith und eben auch: Suicide. Im CBGB’s fand sich eine Bühne, und der Rest ist Geschichte.
Suicide verzichteten aber auf Gitarre oder Kamera. Das Duo verließ sich lieber auf die Künste von Martin Rev, der mit seinem Moog- Synthesizer die solide Basis für die im Echo versunkenen Vocals von Alan Vega lieferte. Der wiederum sah sich in der Rolle Elvis Presleys, wenn er nicht in Deutschland, sondern in Vietnam stationiert gewesen wäre, und attackierte auch schon mal während der Show unaufmerksame Zuhörer. Beim Hören des Albums und der dazugehörigen Bonus-Live-LP kann leicht der Eindruck entstehen, Suicide wären die Velvet Underground der elektronischen Musik gewesen. Zumindest wäre ohne Suicide mit Sicherheit alles anders gekommen. „We thought we could change the world. Then we didn’t realize we already had.„, wie es treffend in den von Roy Trakin formulierten Liner-Notes heißt.
Wenn wir noch drei weitere Jahre zurückblicken ins Jahr 1974, finden wir dort einen gewissen Bruce Gilbert, der zwei Jahre später bei einer anderen wichtigen Band der Siebziger wieder auftauchen sollte: Wire. Gilbert charakterisierte das Schaffen seiner Band mit folgenden Worten : „Lärm war der Schlüssel zu unserer Arbeit. Der Sound von drei oder vier Rhythmus- Gitarren, die gleichzeitig gespielt werden, ist verdammt grandios!“ Na gut. Wire haben dann aber doch noch ein oder zwei Pop-Perlen hingezaubert. Aber das würde jetzt zu weit führen, ins Jahr 1979 nämlich. Vielleicht beim nächsten Mal.
Zurück zu Gilbert. Der bastelte vor seinem Einstieg bei Wire mit einem Freund namens Ron West an einem Projekt, das nach eigener Aussage von Tangerine Dream beeinflußt war. Und darum handelt es sich bei den nun veröffentlichten „Frequency Modulations“ (Sähkö/EFA). So was können natürlich auch nur unsere finnischen Freunde vom Sähkö-Label veröffentlichen. Denn die frühen Klangexperimente von Gilbert und West kann man ruhigen Gewissens als Basis für die Arbeit der sonstigen Künstler des Labels ansehen. Man denke nur an Philus, die ich an dieser Stelle nochmals allen ausdrücklich ans Herz legen möchte. Musikalisch kann man den Titel der EP durchaus wörtlich nehmen: Es werden Frequenzen moduliert. In wieweit das in euer persönliches Popverständnis paßt, bleibt euch selbst überlassen. Aber so was wird in der Großraum-Disco eher selten zu hören sein, denn Beats sind auch keine darauf. Aber das Reinhören lohnt sich und historisch interessant ist es allemal.
Als Tip für die Kollegen von de:bug: Die Betonung liegt auf „historisch“, denn wie gesagt, wir befinden uns im Jahre 1974, und Aufnahmen, die zu der Zeit entstanden sind, sollte man nicht unbedingt als Neuheit besprechen. (Hallo Bleed!) Aber ansonsten, weiter so!
Jetzt aber wieder näher an die Echt-Zeit. Am 13.01.1995 lud ein damals ebenso wenig unbekannter Radio-DJ namens John Peel (ihr habt es schon geahnt!) eine Band namens Black Dog in sein kleines und feines BBC-Studio zu einer Session ein. Black Dog wurden damals als das kommende große Ding gehandelt. Kurze Zeit später hatten sie dann auch ihren kleinen Coming Out mit ihrem in Kritiker-Kreisen hochgelobten Album „Spanners“, um sich dann aufgrund persönlicher Differenzen wieder aufzulösen. Björk fand Black Dog übrigens auch immer ziemlich klasse. Aber das nur am Rande. Das Nachfolgeprojekt Plaid kam dann leider nie wieder an die Qualität von Black Dog heran. Also genießen wir knappe dreißig Minuten die Vergangenheit und erfreuen uns an der Unverbrauchtheit der Sounds, die immer noch erstaunlich frisch klingen, liegt die Halbwert-Zeit elektronischer Musik doch weit unter der von Radium. Und der Klang ist auch um einiges wärmer als das AKW um die Ecke.
Und weil es so schön war, verweilen wir noch ein wenig im Studio von Mr. Peel. Am 13.10.1995 waren Autechre zu Gast, die mittlerweile auch schon dabei sind, den Zenit ihrer Schaffenskraft zu überschreiten, aber immer noch kräftig scheinen. In dem Zusammenhang wäre auch ein wenig Information zum Ablauf der Session interessant. Denn, wenn Autechre auf ihr Markenzeichen, das komplexe Beat-Programming, verzichten, dann muß das wohl Gründe haben. Vielleicht lag es an der Live-Session, vielleicht Zeitprobleme? Andererseits haben Sean Booth und Rob Brown auch schon öfter bewiesen, daß sie auch in der Lage sind, einen straighten 4/4-Stampfer hin zulegen, wie ihr kürzlich auf Fat Cat-Records veröffentlichter Remix von „Various Artists No. 8“ deutlich bewiesen hat.
Noch näher zur Jahrtausendwende: Boards of Canada, gleicher Sender, gleiche Sendung, am 21.07.1998. Ein wenig enttäuschend nach der Veröffentlichung ihres überall gefeierten Albums „Music has the right to children“. Aber selbst das konnte schon nicht an die Qualität der Maxi auf Skam anschließen. Pick me up on your way down! Zugegeben, ziemlich dramatisch, aber Boards of Canada sollten sich einfach mehr Zeit nehmen für ihren Output. Schön, aber unwichtig.
Wenn wir schon bei Warp-Records, dem Label, das uns einige Welten erschlossen hat, sind, nehmen wir doch noch die neue Maxi von Jimi Tenor mit. „Year of the Apocalypse“ (Warp/RTD) kommt sehr nahe am Song und auf leisen House-Beats angeschlichen, und Mr. Tenor knüpft damit an die Entertainer-Nummern seines letzten Albums an. Ein Barbecue auf Valium in Finnland zur Mitsommernacht.
Sommer. Könnte es nicht schön sein? Aber das ist eine andere Geschichte. Greifen wir lieber zu den „Hi-Fidelity Dub Sessions“ (Guidance/EFA). Bemüht man sich auf dem Cover noch um Roots-Bezug durch die Fotoreihe Garvey-Selassie-King Tubby, entsteht beim ersten Hören eher der Eindruck von Wiener Kaffeehaus-Atmosphäre. Nichts gegen Wien, aber zum Kaffee dann doch lieber die echten Herren Kruder und Dorfmeister. Seltsamerweise sind Guidance-Rec. in Chicago zu Hause, und so muß es wohl an der relativen Ferne beider Orte zum gemeinsamen Bezugspunkt Jamaika liegen, daß das Repertoire in den meisten Fällen nicht über Plattheiten hinaus kommt. Es klingt alles so, wie man es sich halt so vorstellt. Klar ist das noch alles meilenweit vom Mainstream entfernt, aber es ist mindestens ebenso weit entfernt von neuerem Dub, wie er zum Beispiel von Wordsound und Burial Mix praktiziert wird. Und dort holt ja wohl eindeutig der Bartel den Most im Moment. Was bleibt, ist ein schönes Mix-Tape, das in der Form, von wenigen Ausnahmen (Dual Tone, Grant Phabao) einmal abgesehen, auch an der neuen Nummer von „Schöner Wohnen“ kleben könnte, wenn sich die Redaktion mal locker machen würde.
Zurück nach Deutschland. Paloma, zwei nette Jungs aus Berlin, bringen ihre „Projections e.p.“ an den Start (Mehrwert Rec./Groove Attack). „Live“ gespielten Drum’n’Bass nennt man das wohl. Sind auch schon einige dran gescheitert. Warum muß das denn auch immer so klingen, wie man sich das in Moers so vorstellt? Vielleicht liegt es am Sound der Live-Instrumente Baß und Schlagzeug, die immer als Grundlage dienen. Vielleicht liegt es aber auch daran, daß handgespielte Beats mit der Komplexität der programmierten Beats von Photek oder Source Direct eigentlich nicht mithalten können. Sehr gediegen jedenfalls. Und trotz Widmung an Sun Ra und June Tyson, Sängerin seines Arkestras, bleiben Paloma von Sun Ras Vision des Weltalls weit entfernt. In sicherer Bodennähe nämlich. Enemy mine.
Viel interessanter ist da schon das Konzept der „Storage Compilation“ aus dem Hause Freibank (Hausmusik). Schenkt man dem Info Vertrauen, handelt es hier um „eine Bestandsaufnahme der besten Stücke aus der Schnittmenge elektronischer Tanzmusik, populären Liedgutes und experimenteller Klangbearbeitung des ausgehenden Jahrtausends„. Weite Vorlage. Und weiter heißt es: „Im Vordergrund steht jedoch die Geschlossenheit des Werkes. Trotz unterschiedlicher Klangsprachen entsteht durch die Spannungsbeziehungen der Stücke untereinander ein fest umrissener Raum. Dieser Raum ist STORAGE, der Speicher um die Erfassung und Erkenntnis der ihm innewohnenden Elemente. Ein Stereoment der Erweiterung, Verlagerung, Vertiefung und Erschließung neuer Stauräume, das eine umfassende Orientierung darstellt.“ Wow! Der/die Mann/Frau sollte sich mal beim Spiegel bewerben. Aber besser kann man es nicht auf den Punkt bringen. Ich zumindest hätte es nicht besser gekonnt. In der Tat ist das, was an einzelnen Stücken vorhanden ist, so spannend nicht. Aber das Gesamtbild ist entscheidend. Wer etwas Bekanntes braucht: Kreidler ist auch drauf. Kaufen!!!
Zum Schluß noch ein dickes Danke an alle, die an der Weiterentwicklung der neuen Medien, speziell dem Internet, arbeiten. Denn ohne euch wäre ein Pamphlet dieser Länge in den Printmedien wohl nur unter dem Namen Diedrich Diederichsen in der Spex möglich gewesen. Bis zum nächsten Mal. Und denkt immer daran:
Keine Macht der Datenreduktion!