Eigentlich war es schon vor Veröffentlichung von „Host“ kein Geheimnis mehr: Paradise Lost wandeln auf den Spuren von Depeche Mode. Teaser CDs beim Media Markt, massive Berichterstattung in der Fachpresse und Fernsehauftritte mit Liveausschnitten ließen mich verwundert die Augen reiben. Während Paradise Lost auf ihrem vergangenen Album „One Second“ den Schritt von der Metalband zur Bombast Rock Band mit Klavierklängen vollzogen, gehen sie auf „Host“ noch einen Schritt weiter. Hier flirren die Computersounds, Samples werden durch die Boxen gejagt und die ehemals dominante Gitarre ist nur noch schwer auszumachen.
Aber nach mehrmaligem Hören wird klar, wer das neue Paradise Lost Werk als Klon von Depeche Mode sieht, kommt in Erklärungsnot. Zweifelsfrei sind die britischen Altmeister um Martin Gore die erste Assoziation, aber „Host“ ist vielfältiger. Es gelingt der Brückenschlag zwischen den Emotionen des Rocks und der unterkühlten Ausstrahlung elektronischer Musik. Ich traue es mich kaum zu sagen, aber an manchen Stellen klingen Paradise Lost sogar optimistischer. Sänger Nick Holmes verbreitet mit seinem gereiften Organ eine wohlige Grundstimmung, die das schwermütige Leben, das er in seinen Lyrics beschreibt irgendwie erträglich macht. So klingt es fast altersweise, wenn er in ‚Deep‘ singt:
Living life today, when tomorrow brings this trail of desperate thoughts
living so afraid, when tomorrow brings this trail of simple thoughts
give in for one day, face the absolute that things won’t go your way
Das ganze Album ist in Moll gehalten (textlich wie musikalisch), doch das bandeigene Pathos reißt Lücken in das Dunkel. Sicher erinnert das häufig an Depeche Mode, manchmal an Sisters Of Mercy oder Deine Lakaien, aber hauptsächlich klingt es nach Paradise Lost. Schon der Opener ‚So Much Is Lost‘ hätte – in anderem Arragement – auch seine Platz auf dem Vorgängeralbum gefunden. Die Umsetzung hat sich verändert, die Qualität des Songwritings nicht. Es gibt keinen Hänger auf „Host“. Ausnahmslos jeder Track hätte als erste Single veröffentlicht werden können.
Paradise Lost präsentiert sich 1999 als eine gewachsene Band, der die Grenzen des Metal-Genres zu klein geworden ist. Eingefleischte Headbanger, die schon an „One Second“ schwer zu schlucken hatten, sollten von „Host“ die Finger lassen. Alle anderen erleben eine Band, die mit „Draconian Times“ (1995), „One Second“ (1997) und jetzt „Host“ drei grundverschiedene Alben aufgenommen hat, ohne ihren signifikanten Stil und ihre Identität zu verlieren. Denn egal wie die fünf Engländer ihre Songs arrangieren, sie bleiben unverwechselbar Paradise Lost.
Paradise Lost: Host (EMI)