Stadtgarten Köln, 19.8.2000
Kraftwerk goes Latin
Senor Coconut y su conjunto gelang es mit dem Album „El baile aleman“ die Geschmäcker unterschiedlicher Gruppierungen zu vereinen. Kraftwerkfans, Popfans, Latin- und Elektrofans sind sich ausnahmsweise einig – so könnte die Zukunft elektronischer Musik aussehen. Uwe Schmidt (aka Atom Heart, Lassique Bendthaus, Senor Coconut) sampelte in monatelanger Kleinstarbeit Bruchstücke seiner Latin-Schallplatten und rekonstruierte daraus seine eigenen Versionen von Kraftwerk-Songs. Kraftwerk, die Band, die den typisch deutschen Ruf des kühl und verbeamtet sein repräsentiert, erscheint in warmem süd-amerikanischem Flair – und hat etwas ungewohnt menschliches. Das einzig menschliche bei der Produktion des Albums war die Stimme des chilenischen Sänger Agenis Brito; der Rest kam ausschließlich aus dem Sampler.
Die Ankündigung eines Live-Auftritt von Senor Coconut im Rahmen der KommUnity 2000 führte zu einem Aufhorchen. Der Senor mit einem kleinen Sampler auf einer großen Bühne? Kontraproduktiv zum Motto der PopKomm 2000 „Der digitale Musikalltag“, schrieb Uwe Schmidt seine Sample-Spuren in reale Noten um und erarbeitete in Zusammenarbeit mit August Engkilde (Cheap Records) die Arrangements des „Baile aleman“ für ein achtköpfiges Ensemble. Schmidt, der sich erstmals 1994 zusammen mit Pete Namlook (FAX-Records), als Lisa Carbon Trio (auf Rephlex-Records!) in elektronische südamerikanische Gefilde begab, probte in Kopenhagen mit seiner physisch existierenden Latin-Combo für die Weltpremiere in Köln.
Von Pokomm-Chef Uli Großmaas als Geheimtip angepriesen, war das Interesse an der Live-Performance des Senor groß – der kleine Stadtgarten somit restlos ausverkauft. Die Bühne im Stadtgarten erschien beim Aufgebot von zwei Bläsern, einem Bassisten, einem Percussionisten, zwei Vibraphonisten, dem Sänger Agenis Brito und Herrn Schmidt an seinem Sampler, alle in weiße Anzüge gekleidet, etwas zu klein. Nach einer klitzekleinen Anfangsnervosität beim Opener Showroom Dummies fanden Band und Publikum ihrem Rhythmus. Die Merengue-, Cumbia- und Chachachaversionen der Kraftwerk-Hits wurden allesamt in Cool-Tempo gespielt. Einige Zuschauer kramten alte Tanzschulschrittfolgen aus dem Gedächtnis und tanzten dem Tempo entsprechend Standard. Die Performance endete mit der Zugabe Autobahn, die vom Sänger als Autowahn interpretiert wurde. Eine interessante Stunde relaxter Kraftwerk-Klänge, denen teilweise der Drive zu fehlen schien. Im Kontext von Senor Coconut – Dekonstruieren und Rekonstruieren – war es allerdings schlüssig.