Auf dem Plattenteller lagen und im CD-Player zirkulierten zum Zwecke dieser Kolumne die Compilation „Battle Axe Warriors“, Capone-N-Noreaga, Live Human, der ‚Rawkus‘-Sampler „Lyricist Lounge 2“, Outkast, Sensational, Talib Kweli & DJ Hi-Tek, Discotizer & Supermax, Pyranja und Skills En Masse.
Drüben…
Beginnen möchte ich die letzte Kolumne des Jahres 2000 mit der Compilation „Battle Axe Warriors“ (Battle Axe/PIAS/Connected). Zu den Tracks von Buc Fifty, den Swollen Members, Moka Only, Mr. Brady und LMNO gesellen sich illustre Gäste wie Cut Father von der Rocksteady Crew, Freestyle (The Arsonists), Evidence „Dilated Peoples), Mad Lib von Lootpack und zwei Jungs von Funkdoobiest. Meist düster, keinesfalls partymäßiger und äußerst intelligent arrangierter HipHop unterlegt mit dichten Streichern („Go For Mine“, „Still Getting Over“), mit Spinett („Puttin‘ Check Down“), mit Flöte („Let My Record Rotate“), mit Gitarre („Team Work“, „Head Lock“), mit schweren Klavierakkorden („Summer Lighting“, „Rolling Along“, „Planet Alignment“, „Mad Slide“, „Dawn Light“), mit erdrückenden Synthie-Sounds („Deep End“) und mit nicht näher zu entschlüsselnden Samples irgendeines Tasteninstruments („Elbow Room“). „Battle Axe Warriors“ ist ein etwas anderes Album, weil auch ruhigeres HipHop-Album, das trotz der technischen Raffinessen alles andere als trocken oder vertrackt ist. Die Tracks lassen sich leicht nachvollziehen und der Rhythmus geht schnell ins Blut und in die Muskeln über.
„Wir haben es geschafft. Ich bin wieder aus dem Knast zurückgekehrt. Nore hat auf der Strasse die Stellung gehalten. Dieses Album ist ein Meilenstein für uns. Wir sind bereit.“ So lautet die Parole, die Kiam „Capone“ Holley anlässlich der Rückkehr von Capone-N-Noreaga ausgibt. Gemeinsam sind wir stärker, dachten sich die beiden aus Queens/New York stammenden Rapper wohl, bevor sie ihre Reunion verkündeten. Trotz einer längeren Zwangspause, die wegen des schon angesprochenen Gefängnisaufenthaltes von Capone Ende der Neunziger unvermeidlich war, und mehreren Rückschlägen im privaten und geschäftlichen Bereich scheint das Duo eher gestärkt denn geschwächt zurückzukehren. Capone-N-Noreaga haben nichts an Spritzigkeit und Raffinesse eingebüsst. Ihr neu erstärktes Selbstvertrauen kommt nicht von ungefähr. Sie sind stolz darauf, sich von ganz unten nach ganz oben gekämpft zu haben. Aussagen von Victor „Noreaga“ Santiago wie „Wir haben den schlimmsten Kampf durchgestanden. Es gibt niemanden in den Strassen, der durchgemacht hat, was wir durchmachen mussten“ sind ein Zeichen dafür. So voll sie den Mund auch nehmen, die musikalische Klasse ihres Comeback-Albums „Reunion“ (Tommy Boy/EastWest) rechtfertigt diese Äußerungen. Nachzuhören in den hervorragenden Tracks „Queens“, „Invincible“, „Brothers“, „Straight Like That“, „F*** Wit Us“ und „Bang Bang“.
Live Human ist eine weiter 12-Inch aus der Matador Hip Hop-Serie und schon vor einiger Zeit auf den Markt gekommen. Carlos Aguilar alias DJ Quest, Andrew Kushin und Albert Mathias geben zwei Tracks zum besten: „Elephant’s Bliss“ auf der A-Seite und „Lesson #7“ (Matador/Zomba) auf der Rückseite. Vertrackte Beat-Konstrukte, Samples schießen quer durch die Songstrukturen, jazzig-imitierter Basslauf, Hochgeschwindigkeitsscratching. Raps fehlen, stört aber nicht weiter. Ist sicher was für die Techniker unter euch.
Die „Lyricist Lounge“ geht in ihre zweite Runde und gibt Einblick in das ‚Rawkus‘-Umfeld. Beeindruckend was das aus New York an unsere Ohren dringt. US-HipHop der absoluten Oberklasse mit solchen Qualitätsgaranten wie Mos Def mit Pharoahe Monch oder mit Ghostface Killah, Q-Tip, Cocoa Brovaz, Talib Kweli & Dead Prez, Sauerkrates feat. Redman, Erick Sermon feat. Sy Scott, Koll G Rap & M.O.P., Big L, Dilated Peoples oder Macy Gray – um nur einige wenige der vielen zu nennen. Der mit Abstand beste HipHop-Sampler des Jahres 2000. Wen wundert’s: ‚Rawkus‘ stehen für hohe Qualität und sie scheinen diese durchaus halten zu können.
Live vom Zentrum der Erde. Sieben Lichtjahre unter der Oberfläche. Direkt aus „Stankonia“ (LaFace/Arista), dem Ursprung von alldem, das das Attribut „funky“ trägt. Dort lässt sich gut leben und von dort aus senden uns Outkast ihr nunmehr viertes Album. Andre „André 3000“ Benjamin und Antwan „Big Boi“ Patton kannten sich schon zu High School-Zeiten in Atlanta, waren aber erbitterte Rivalen. Überraschenderweise änderten sie irgendwann ihre Meinung und beschlossen, gemeinsame Sache zu machen. Ein wahrer Glücksfall für die weltweite HipHop-Gemeinde. Wer „Stankonia“ hört, wird ahnen können, warum „Aquemini“, das dritte Album des Duos, die Höchstnote von der Szenebibel The Source erhielt und warum Outkast in der Vergangenheit zahlreiche Awards einheimsen konnten. Ihr äußeres Erscheinungsbild mag dem klischeehaften Auftreten anderer gleichen, aber Outkast sind was ganz besonders. Sie verstehen ihr Handwerk und verzieren funkige Beats mit ohrwurmartigen Raps. Jedes ihrer Stücke ist ein Hit. Sie setzen sich im Nu im Hirn fest und wollen von dort nie mehr verschwinden. Man verzweifelt gar ob des schier unerschöpflichen Potentials der beiden Ausnahmekünstler. Dieses Album ist ganz schwer zu toppen.
Der erste Teil der Hip Hop-Serie aus dem Hause ‚Matador‘ (Vertrieb: Zomba) soll an dieser Stelle klammheimlich und allzu verspätet nachgeschoben werden. Den Anfang machte vor einiger Zeit Sensational, ex-Mitglied der Jungle Brothers, mit „Party Jumpin'“. Eingängiger und straighter als anderes Zeugs, das ich von ihm kenne. Nicht ganz mein Fall, da ich den allzu progressiven HipHop nicht so sehr mag. Aber Sensational hat Potenzial und davon nicht unbedingt wenig. Man nannte diesen Stil auch schon „organisiertes Chaos“ (CMJ).
Refelection Eternal haben DJ Hi-Tek alias Tony Cortell und Talib Kweli ihr bereits 1997 initiiertes Projekt getauft. HipHop-Fans werden jetzt feuchte Hände bekommen, schließlich ist Talib Kweli einer der vielversprechenden Shooting Stars aus dem Rawkus-Camp. Erste Aufmerksamkeit erregte er unter dem Namen Black Star als Duettpartner von Mos Def, dem derzeitigen unangetasteten Meister des Reimens. Der Albumtitel „Train Of Thought“ (Rawkus/PIAS/Connected) ist programmatisch zu verstehen. Laut Kweli lassen aktuelle HipHop-Alben leider allzu oft einen roten Faden vermissen. Die Songs werden thematisch zusammenhangslos aneinandergereiht. Das ist hier ganz anders. Unterstützt von Gästen wie De La Soul, Kool G Rap, Les Nubians und natürlich auch Mos Def, gehen Talib Kweli & DJ Hi-Tek zurück zu den Wurzeln des HipHop, lassen gängige Klischees links liegen und präsentieren Texte mit viel Tiefgang und Beats und Samples, die nicht schon zigmal zuvor benutzt wurden. Sehr zu empfehlen.
… und hüben.
Hüben möchte ich mit Discotizer & Supermax alias Fünf Sterne Deluxe beginnen. Auf ihrer Doppel-Maxi „Stop Talking Bull“ (YoMama/Zomba) gibt es zum einen die neuen Tracks „Verstärkerkiller“ (feinster French House mit viel Bass und gehörigem Wumms), „Das Weiss Ich Selber“ (harte, schnelle Killerbeats und psychotischer Songverlauf), „Get Yo Bitch Ass Up“ (mörderisch gute Klangspielereien zwischen Techno, HipHop und House) und „Can U Dig It?“ (House is in da Haus), zum anderen einige Remixe des Titelstückes von u.a. Hans Nieswandt, Egoexpress, Kurt „Supermax“ Hauenstein. Ein Leckerbissen und kleines Trostpflaster für das völlig bekiffte Album „Neo.Now“, das nicht immer zu gefallen weiß. Besonders zu empfehlen für Freunde französischer musique von Etienne De Crécy, Daft Punk und Super Discount.
Viel zu lange hat die deutsche HipHop-Gemeinde auf ein neues Lebenszeichen von Skills En Masse warten müssen. Jetzt endlich steht ihre zweite Maxi „Wie Wir“ (Kopfnicker/EastWest) in den Läden und rückt damit ein weiteres Mal die Stuttgarter Kolchose-HipHopper ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Skills En Masse, das sind die in England geborenen Geschwister Marcel und Melanie Wharton und ihr DJ Emilio. Marcy und Mel leben seit 1986 in Stuttgart und wuchsen im Umfeld des Freundeskreises, wo ihr Bruder Donato übrigens Gitarre spielt, auf. Bisherige Gastauftritte bei Afrob, Thomas D, Mr. Gentleman, DJ Friction und ihr Beitrag zu „2 Mille“ (auf dem Soundtrack zu Luc Bessons Film „Taxi 2“) ließen aufhorchen und machten neugierig auf mehr. Doch neben der Maxi „Taler, Taler / S.E.M. C’est La Clique“ gab es bis vor kurzem keine Soloveröffentlichungen der Exilengländer. „Wie Wir“ setzt der Wartezeit ein Ende und leitet schon jetzt die Vorfreude auf das im nächsten Jahr anstehende Debütalbum ein. Denn Skills En Masse sind anders. Ihre Texte sind eine angenehme Abwechslung zur szeneüblichen Phrasendrescherei und leben von politischen Ideen, die sich besonders dem Ausländerproblem in Deutschland widmen. Sie produzieren – um die Band zu zitieren „realistische Raps / richtige Raps / zur richtigen Zeit / am richtigen Platz“. Und das am Fliessband.