Frl. Katjas Nähkästchen, Folge 20 (Teil 5)

Im schwedischen Design-Museum sieht es wild aus. Jedes Exponat wird von einem eigenen Strahler angstrahlt, der als Stehlampe daneben steht. Exponat-Titel und Name des Künstlers hängen wie auf Ikea-Preisschildern an der Lampe. Die Strahler verdoppeln gewissermaßen die Zahl der Exponate und lassen die Ausstellungsfläche leicht überladen wirken. Außerdem stellen die Schweden selbst Handys und Werkzeuggriffe als Kunst aus. Und sie verschenken am Eingang kleine Aufkleber statt Eintrittskarten. Das führt dazu, dass die Verkehrsschilder rund ums Museum nicht mehr zu erkennen sind, weil alle Welt ihren Aufkleber drauf klebt. Auf dem Rückweg zur S-Bahn-Station Eberswalder Straße komm ich an einem Buchladen vorbei, in dem stapelweise modernes Antiquariat verramscht wird. Der höchste Stapel ist der mit Günther Amendts Sex-Buch. Ich hab jetzt auch eins. Für eine ganze Mark.

In der U-Bahn nach Neukölln steigen immer mehr Männer mit weißbemehlten Schuhen ein. Langsam werde ich stutzig. Wo mögen diese Männer nur arbeiten, wo man solch weißstaubige Schuhe kriegt? Welch sonderbare Industrie ist hier beheimatet? … Ich steige aus und gehe die Treppen zum Ausgang hoch. Als ich auf meine Schuhe blicke, sind sie weiß.

Baustellen-Allergien und Tinnitusse sind Berliner Volkskrankheiten. Die Baustellenallergie liegt auf der Hand. Der Tinnitus kommt vom vielen U-Bahn-Fahren. Lah-lüh-lah macht die Tür, bevor sie sich schließt. Laut und durchdringend. Markerschütternd. Nur noch zu toppen von meiner schrecklichen Uhr, entsprechend positioniert. Meine Uhr ist eine Billig-Digitaluhr mit riesiger Sekundenanzeige und winziger Zeitanzeige. Sie piepst zur vollen Stunde. Auf Terminen bin ich die, die um kurz vor ganz die Arme unterm Tisch hat und eine Hand fest um die Ziffernanzeige krallt. So peinlich ist mir die Uhr. Aber sie sieht halt toll aus. Und für DEN Preis! Gefährlich wird es, wenn ich in Stühlen lümmel, den Ellogen auf die Rückenlehne gestellt und den Kopf in die Hand gestützt – die Uhr dabei nur Zentimeter vom Ohr entfernt. In diesen Lagen kommt das Piepsen einem Inferno gleich. Sagt mein Ohr.

Ihr Chef würde Marzipan hassen, erzählt meine Freundin Uta, aber er sei von der Formbarkeit des Materials gleichzeitig so fasziniert, dass er seinen Mitarbeitern regelmäßig kleine Marzipanfigürchen schenke. Zum Geburtstag hat sie von ihm eine rote Marzipanrose bekommen. Wir sitzen zu dritt im Auto, Uta, Fabrice und ich, auf dem Weg nach Dessau. Zum Bauhaus. Zu DEM Bauhaus. Dessau ist nicht groß, aber breit. Wir gurken lange durch die Stadt, bis wir das erste Straßenschild mit „Bauhaus“ finden. Dann ist es nicht mehr weit. Das Bauhaus liegt mitten in einem Wohngebiet, wie ein Juwel in einer Obstschale. Als es gebaut wurde, gab es das Wohngebiet noch nicht. Und: das Bauhaus ist kleiner als ich dachte. Übersichtlich und kompakt ruht es so vor sich hin, jedes Gymnasium ist größer. Allerdings muß man schon ganz um es herum gehen, um seine wahre Form kennenzulernen – von außen gibt es immer nur Fragmente preis – oder noch besser: in es hinein gehen.

Innen ist es dann wirklich ganz Schule. Mit grauen Steintreppen und weißen, schmucklosen Wänden. Nur ohne Turnhalle. Und ohne Hausmeister-Luke, wo in den Pausen Milch-Fit verkauft wird. Hübsch ist es nicht, aber zweckmäßig. Und die Schlichtheit macht sich gut auf Fotos, mehrt den Ruhm ihres Schöpfers. Der hatte sein Zimmer im ersten Stock, in der Mitte der „Brücke“ zwischen beiden Gebäudekomplexen. Auf der Ost-West-Achse, wie bei Königen üblich: Walter Gropius, Bauhaus-Gott. Im Flur stehen Vitrinen mit Kunst, Fabrice leiert die Sprossenfenster im Treppenhaus herunter, Uta bewundert die Türklinken, und ich lass mich stolz lächelnd in einem Wassily-Sessel fotographieren. Wir erkunden das ganze Haus, beschnüffeln die Kopiergeräte auf den Gängen (eindeutig Post-Bauhaus-Phase), rütteln an abgeschlossenen Wandschränken, entziffern Türschilder und versuchen Blicke durch milchgläserne Scheiben in Räume zu erhaschen. An der Toilettentür rekonstruiert Uta aus den Schatten längst abmontierter Lettern das Wort „Damen“. Mit einem Wort: wir sind fasziniert.

Und dieses Gefühl kann uns auch die Ausstellung nicht austreiben, die lieblos zusammengestoppelt in einem der riesigen Handwerksräume untergebracht ist. …und die gewaltige Fensterfront des Saales mehr denn je zu einem Schmuckstück avancieren lässt. Ja, die Glasfassade ist eine Ikone, jeder hat schon mal ein Foto von ihr gesehen. Auf Platz 2 der Liste der meistfotographierten Bauhaus-Ansichten liegt der vertikale Schriftzug an der Südwest-Seite: BAUHAUS. Natürlich ohne Kapitälchen, wahrscheinlich eine Art Arial von vor hundert Jahren, aber seltsamerweise in Großbuchstaben, wo doch die Bauhaus-Philosophie durchgängig Kleinbuchstaben forderte, um Texte internationaler wirken zu lassen. Ein Bauhaus-technischer Schildbürgerstreich also, tss tss. Mein ganz persönlicher Bauhaus-Schatz aber liegt auf der Nordseite und ist die Wand mit den kleinen Mansarden-Balkons. Exakt diese Seite wird gerade renoviert und ist just an diesem Tag hinter einem großen Gerüst verborgen, sehr zur Gaudi meiner Begleiter. Ich bin untröstlich, aber es gelingt mir immerhin, ein Foto durch eine Lücke in der Plastikplane zu schießen. Auf meinem Geburtstag drei Wochen später wird dieses Foto minutenlang meine Freunde beschäftigen, die rätseln, wie rum man es eigentlich halten muss. Und auf meinen Fotos entdecke ich auch einen weiteren Vorzug des Bauhauses, den ich so nicht vermutet hätte: seine wunderbaren Proportionen erlauben es selbst Laien wie mir, die kaum eine Kamera halten können, eindrucksvolle, ja regelrecht ästhetische Fotos zu machen. Danke, Bauhaus!

Von der Bauhaus-Brücke aus sehe ich im Haus gegenüber einen Mann mit Bettkopf, der nicht etwa mit dienernden Bewegungen zum Bauhaus hinübergrüßt, sondern schlaftrunken auf seinen Balkon schlurft und über das Geländer gekrümmt eine Zigarette raucht. Schockiert über so viel Profanität im Angesicht des heiligen Bauhauses wende ich mich der Rückseite des Gebäudes zu, die einst die Vorderseite war. Jedenfalls erreichten Besucher das junge Bauhaus früher nur über diese Seite. Und hier tut sich tatsächlich eine völlig andere Welt auf. Nämlich eine akademische. An dieser Seite grenzt eine Kunst- und Architektur-Schule ans Bauhaus. Also fast das, was das Bauhaus selbst mal war. In einem ultramodernen, gläsernen Bau stehen Koffer einer Exilanten-Ausstellung in den Fenstern. Und auf dem Grundstück gegenüber steht ein seltsam geformter Zelt-Wurm auf nackter Erde. Er sieht aus wie ein Riesen-Kokon, aus dem bald ein mutierter Schmetterling schlüpft. Aber es handelt sich nur um irgendeine Studenten-Arbeit, ein spaciges Wohn-Getüm, das später einmal noch mobileres und demokratischeres Hausen als alle Unterkünfte je zuvor ermöglichen soll. Die Studenten beackern mit Spaten die Erde drum herum und schuften ganz offensichtlich. Wir dagegen suchen die neueingerichtete Bauhaus-Mensa im Untergeschoss und sitzen auf freischwingenden Stahlrohrstühlen. Auf der Speisekarte, die nun aber wirklich ganz in Kleinbuchstaben gehalten ist, erfahren wir, dass es langanhaltenden Streit um das Ob und Wie der Mensa gab, die eigentlich ein Bistro ist. Post-Bauhaus-Streit. Den man schließlich schlichten konnte. Und so gibt es dort nun Apfelschorlen von gigantischen Ausmaßen mit eingelegten Mini-Äpfeln auf dem Grund der Gläser.

Derart gestärkt, machen wir uns zu den Meisterhäusern auf. Wie kleine Puppenhäuser sind sie zu besichtigen, die Räume in lustigen Pastelltönen gestrichen, wie in Hollywood-Filmen der 50er-Jahre. Weil man nicht wußte, was man eigentlich ausstellen wollte, blitzen an manchen Stellen auch die grellen 70er-Jahre-Tapeten und -Treppenbeläge der DDR-Zeit hervor. Schließlich befinden sich auch die Meisterhäuser längst in der Post-Post-Bauhaus-Phase, und das Ambiente der DDR-Zeit sagt ja etwas darüber aus, wie mit dem Bauhaus im real existierenden Sozialismus verfahren wurde. Visuelle Rezeptionsgeschichte, sozusagen. Jedenfalls liegen die Meisterhäuser so dicht am Bauhaus dran, dass ihre Bewohner quasi mit dem Fahrrad zur Arbeit kommen konnten. Was sie aber nicht brauchten, wenn´s nach Gropius ging. Denn der wollte die Künstler lieber aus den Füßen haben, mit all ihrem Deko-Schickschnack, der dann womöglich noch irgendwo aufgehängt werden sollte – vielleicht noch da, wo´s jemand sah. Gott bewahre! Um das zu verhindern, richtete Gropius den Meistern große Ateliers in ihren Häusern ein und vergaß, ihnen Arbeitsräume im Bauhaus zu geben. Zusätzlich bekamen die Meisterhäuser noch vier Balkons, je nach Stand der Sonne, und so konnte sich Gropius sich am Ende ziemlich sicher vor den unliebsamen Kollegen fühlen.

Als wir das Klee/Kandinsky-Haus betreten, steigt auf der anderen Straßenseite eine Gruppe junger Besucher aus ihrem Kleinwagen. Eine dreiviertel Stunde später, als wir zum Feininger-Haus wechseln, parkt die Gruppe gerade wieder ihren Wagen auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Sie sind den langen Weg tatsächlich mit dem Auto gefahren. Von Haus Nummer 1 zu Haus Nummer 5. Getrennt einzig durch Haus Nummer 3, das zur Zeit eine Baustelle ist. Wir können es nicht fassen. Aber es kommt noch schlimmer: als wir aus dem Dachgeschoss des Feiniger-Hauses schauen, hält gerade ein langer Bus vor dem Haus und spuckt eine Horde älterer Touristen aus. Es ist ein original-amerikanischer, gelber Schulbus.

Wir durchstreifen die ganze Stadt auf der Suche nach Bauhaus-Gebäuden. Wir trinken Kaffee in einer Art Kurheim direkt an der Elbe, wo wir vom Kellner angeschnauzt werden, als wir nach zehn Minuten Warten wagen, vom Nebentisch die Speisekarte zu greifen. WAS das SOLLE? ER bringe hier die KARTE! Wir lassen uns nicht einschüchtern und bestellen trotzdem. Hinterher fahren wir zum Laubenganghaus, einem Mansardenklotz mit ausgelagertem Treppenhaus. Wir besuchen die Siedlung Törten, eine Reihenhaussiedlung mit ästhetisch-intellektuellem Überbau. Wir sehen das Haus Fieger und das Stahlhaus, und wir sehen das Tollste von allem, das Konsum-Haus. Das Konsum-Haus besteht aus einem Turm und einem flachen Seitenbau. Im Turm wohnen Menschen, und im Seitentrakt ist ein Kaufmannsladen. So war es von Anfang an gedacht. Aber auch, dass im Laden-Teil ein Schlecker-Markt logiert? Ein Bauhaus-Haus mit integriertem Schlecker-Markt. Das übersteigt meine Kräfte.

„Das ist genau die Lektüre, die ich brauche, um meine Berlin-Kolumne zu Ende zu schreiben: ein Buch mit Berlin-Kolumnen.“
(Frl. Katja, Wladimir Kaminers „Russendisko“ lesend)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert