Frl. Katjas Nähkästchen, Folge 20 (Teil 3)

Ohne MTV und VIVA im Hotel-TV sitze ich in der Hauptstadt, für vier Wochen der musikalischen Aktualität entrissen. Da gab´s doch einen Song, den ich noch im Hinterkopf hatte: die Gorillaz, „Clint Eastwood“. Einen Discman hab ich ja dabei. Und neben dem Hotel ist ein Saturn-Mediamarkt. Vielleicht…? Lief immerhin schon als Video auf MTV, kann mich erinnern. Vielleicht erklimmt´s so langsam die Charts? Vielleicht find ich´s ja? Ich schwing die Hufe und enter den Saturn. Such bei G wie Gorillaz: nix. Such bei T wie The Gorillaz: nix. Naja, vielleicht in den Top Forty, mit ein bißchen Glück… Ich roll die Charts von hinten auf: nix, nix, nix – och! Platz 1! So kann´s geh´n. Überhaupt ist der Saturn die bessere Adresse. Jedenfalls im Vergleicht zum Kaufhof, aber das bin ich ja aus Saarbrücken gewohnt. Damals hab ich den Soundtrack zu „Blue Note – The Story of modern Jazz“ gesucht. Gibt´s nicht in Deutschland, hieß es im Kaufhof. Ist nur in Amerika veröffentlicht. Und Importieren ginge auch nicht. – Amerika? Importieren? Aber… Aber… Aber der hatte auf der Berlinale Premiere!

 

Von einem deutschen Regisseur! Nix zu machen. Im Saraphon hatte ich mehr Glück. Blue Note-Soundtrack? Grad den letzten verkauft. Kommt am Mittwoch wieder rein. …und jetzt also: 2-Raum-Wohnung. Das neueste Projekt von Inga Humpe. Hab ich im Hotel-Radio gehört. Muss ich haben. Ich probiers mal wieder im Saturn. Und finde: „Wir trafen uns in einem Garten“, die Debüt-Single. Stapelweise. Ich such aber auch die Neue: „Nimm mich mit“. Nur der Vollständigkeit halber marschier ich übern Alex in den Kaufhof. 2-Raum-Wohnung? Ham wir nix da. Da gab´s mal was, vor langer Zeit. War aber nur über Einzelbestellungen zu kriegen, gab´s nicht einfach so im Laden. Hhm. „Wir trafen uns in einem Garten“? Genau.

Manchmal hab ich beim Frühstück einen Platz mit Blick auf die Straße. Am Haus gegenüber sind Buchstaben angebracht. Vielleicht Reklame für das, was drin ist. Obst und Gemüse, Kolonialwaren, Feinkost. Oder mal drin war… Als ich wieder mal mit Blick auf die Straße frühstücke, fang ich mich an zu wundern. Wiedersehen auf dem Alex? Hundekälte? Nächstes Jahr, 1929, wirds noch kälter? Meine Theorie scheint nicht zu greifen. Haus mit Schrift auf der Fassade, überlegt meine Freundin Angelika. Da war mal was, mit ´ner Textstelle aus „Berlin Alexanderplatz“, die sie auf irgendein Haus geklebt haben, erinnert sie sich. Und tatsächlich. Unten rechts steht´s: A. Döblin. Das Haus ist das der Elektroindustrie, wie´s zu DDR-Zeiten hieß. Alle Häuser auf dem Alex heißen so. Haus des Lehrers. Haus des Gärtners. Haus der Elektroindustrie. 220m lang. Heute sitzt unter anderem das Umweltministerium drin. Und die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben. Die Schrift ist noch nicht lange auf dem Haus drauf, knapp ein Jahr lang. Und die Textstelle ist bis auf ein winziges Kommata – das aus Platzgründen fehlt – peinlich genau aus Döblins Buch abgeschrieben. Sie lautet:

Eine Handvoll Menschen um den Alex. Am Alexanderplatz reißen sie den Damm auf für die Untergrundbahn. Man geht auf Brettern. Die Elektrischen fahren über den Platz die Alexanderstraße herauf durch die Münzstraße zum Rosenthaler Tor. Rechts und links sind Strassen. In den Strassen steht Haus bei Haus. Die sind vom Keller bis zum Boden mit Menschen voll. Unten sind die Läden. Destillen, Restaurationen, Obst- und Gemüsehandel, Kolonialwaren und Feinkost, Fuhrgeschäft, Dekorationsmalerei, Anfertigung von Damenkonfektion, Mehl und Mühlenfabrikate, Autogarage, Feuersozietät. Wiedersehen auf demAlex, Hundekälte. Nächstes Jahr, 1929 wirds noch kälter. A. Döblin.

Die Elektrischen fahren übrigens immer noch über den Platz. Heute heißen sie Tram. Und man sollte mal mit ihnen fahren, den Prenzlauer Berg hinauf, oder zumindest in die Nähe. So wie ich, zur Bötzowstraße. Ein ziemlich guter Weg, um die stadtplanerischen Verbrechen rund um den Alex zu besichtigen. Genaugenommen liegt der Alex nämlich wie eine kleine Senke in einem Meer aus Hochhausquadern, die alle auf der Seite liegen. Glatt und hell sind sie, manchmal gefliest, mal mit mehr, mal mit weniger Glas. Aber wohnen möchte ich in keinem von ihnen. Eine kleine, spacige Trabantenstadt aus Plattenbauten, mitten in Berlin, das muß man erstmal nachmachen! Nur vier Stationen weiter steig ich aus – und stakse durch Straßen mit verrotteten Altbauten. Die Bewohner nennen das „urig“. Von manchen Häusern hat jemand den kompletten Putz abgeschlagen, aber Blümchen auf den ramponierten Balkons zeigen, dass noch jemand drin wohnt. Was wie Heerscharen von Einschußlöchern an den Fassadem aussieht, sind Steine mit kleinen runden Hohlkörpern, die West-Studenten in den Siebzigern als alternative Stifthalter auf den Schreibtischen hatten. Die schlimmsten Häuser sehen aus wie große, fleischige Wunden. Wie Münder voll verfaulter Zähne. Solche Häuser findet man auch in der Rykestraße, wo sie sich besonders bizarr machen, weil ringsumher alles in Bonbonfarben saniert ist. Immerhin, nicht so schlimm wie am Brandenburger Tor, wo viele Häuser aussehen, als seien die Schatten der Simse nur aufgemalt und die Fassaden in Wahrheit große Fototapeten. Das Adlon eingerechnet.

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