Unter dem Pflaster liegt der Strand, sagt eine alte Weisheit. Abseits der Charts, der Vivas und MTV finden sich oft unverhoffte Schätze, die man leicht übersieht. Glücklich, wer den KOOK-Sampler „Wir müssen bis morgen reichen“ in Händen hält. Ideen-Pop für Herz und Kopf (meist) in deutsch oder ohne Text. Manchmal ist es auch purer Jazz…
Ja, intelligent sind die Geschichten, die die KOOK-Bands erzählen. Intelligent bis intellektuell, aber auch leichtgewichtig, skurril und poetisch.
Zarter Easy-Listening-Jazz ist das, was Incrowd fabrizieren. Sophisticated, mit Seventies-Flair und sehr mondän.
Eher Chanson ist dagegen das rumpelig-verzauberte „Scheiße oder schön“ von Zimtfisch. Lakonischer Noise-Swing eben. Ein Hit: das nostalgische „Schwarzweiß“, von Zimtfisch auf derselben CD. Eine skurril-witzige Ode an die alte Leinwandwelt, die sich von der realen allzuschmerzlich unterscheidet.
Auch sehr chansoninfiziert: Herr Nilsson mit einem launigen Kabinettstück namens „Kleines Europa“. Stehbass mit perlender Zupf-Gitarre und gehauchtem Rhodes-Sound. Textlich ein hinreißendes Räsonnement über Deutsch kurz vor Euro.
Mit Blumfeld-artiger Wohlklang-Käseglocke: Rotes Haus. Wieder ein Chanson mit diesmal fast rockigem Gewand, den Text mehr erzählt als gesungen. Dramatisch: die „27 Helferzellen“, die ihren Besitzer auf absehbare Zeit im Stich lassen werden, während sich die ersten ähnlich kranken Freunde schon verabschieden.
Ein rasanter Trip in unbekanntes Terrain, geritten auf einer schillernden Metapher: „Das Pony“ von Kokon. Grimmiger Schrammelrock mit exaltiertem Nicht-Gesang.
Wippender Lounge-Pop machen Gelb: „Wolke am Morgen, Fisch in der Nacht“ arbeitet mit samtstimmig gehauchten Collagen-Texten. Elegant.
Elektronischer Minimal-Pop mit Soul-Elementen kommt von Blue Planet Sound. Instrumental, was denn sonst.
Mit dunklen Streichern und fernen Bläsern arbeiten Post Holocaust Pop. Wieder eine eigenartige Kreuzung aus Pop, Jazz und kammermusikalischem Chanson. „Love is an easel“: Sehr laid back und sophisticated.
Wonderboys in Monsterland haben ein psychedelisches Stück Instrumentalmusik mit Bleigewichten an den Füßen gebraut. Mit sexy Glam-Einlagen, singendem Bass, schrägen Streichern und Elektronik. Störrisch und betörend.
Transit lassen die Sammlung schließlich ausklingen. Mit einer melancholisch-klagenden russischen Weise, dicht am Klezmer.
Was bleibt, nach dem Anhören des Samplers? Ein Streifzug durch großstädtischen Kunst-Pop. Aus Berlin, Hamburg, Basel, Kiel und St. Petersburg stammen die versammelten Bands. Aus Berlin, in der Hauptsache. Als Befund bleibt weiter: kein Diskurs-Pop, wie in der sogenannten „Hamburger Schule“. Dafür viel Poesie, liebevolle Blicke auf Randerscheinungen, aber vor allem auch hier: eine geschärfte Wahrnehmungen für die Widersinnigkeiten – charmante oder nicht – des Alltags. Und viel, viel Chanson und manch folkloristischer Ton, wo in Hamburg das Haus gerockt wird.
Sampler: Wir müssen bis morgen reichen (KOOK)