Live: Seán Tyrrell

St. Wendel-Alsfassen, Felsenmühle. 7.12.2001

„If Guinness could sing it would sound like Seán!“

Es wirkte abgespannt und müde, was kein Wunder war, hatte er doch am Abend zuvor noch im winterlichen Innsbruck gastiert. Jetzt war Seán Tyrrell mit seinem Kompagnon Fergus Feeley in St. Wendel-Alsfassen eingetroffen, und er wusste, dass er hier eine Art „Heimspiel“ vor sich hatte. Zum vierten Male trat Seán in der „Felsenmühle“, dieser urigen Musikkneipe in historischem Gemäuer, auf. Die gemütliche Atmosphäre ließ ihn und Fergus bald entspannen, und nach einem kurzen Soundcheck ging’s denn auch los.

Die „Felsenmühle“ war nur spärlich gefüllt, eigentlich schade angesichts der Klasse des irischen Singer/Songwriters. In seiner Heimat hat Seán fast einen ähnlich hohen Stellenwert wie Christy Moore, Paul Brady oder Andy Irvine. 1995 hatte er mit „Cry Of A Dreamer“ ein exzellentes, mehrfach ausgezeichnetes Album veröffentlicht, das auch international Beachtung fand. Schlechte Erfahrungen mit einer großen Plattenfirma bewogen ihn allerdings, fortan nur noch in völliger Eigenverantwortung CDs zu veröffentlichen. Neben seiner Singer/Songwriter-Tätigkeit ist er übrigens auch dem irischen Theater sehr verbunden.

Der Jahreszeit angepasst eröffneten Seán & Fergus den Set mit „The Lights Of Little Christmas“, einer Ballade, die die Abgeschiedenheit der irischen Westküste beschreibt und die Hoffnungen der hin- und hergerissenen Menschen beschwört, die mit brennenden Kerzen in den Fenstern ihrer ausgewanderten Angehörigen gedenken. Seán ist kein happy-go-lucky-Typ mit losen Sprüchen, kein Entertainer wie Christy Moore, der sich über allerlei Dinge – auch ernste, politische Themen – lustig macht. Seáns Repertoire ist durch und durch melancholisch eingestimmt. Verflossene Liebschaften, in die Brüche gegangene Beziehungen, Einsamkeit, innere Leere, Ängste vor der Zukunft – wie sie beispielsweise Emigranten plagten – alles Themen, die kaum Freude aufkommen lassen. Tja, und dann auch noch das wechselhafte irische Wetter, das einem ziemlich zusetzen kann: mit „November Rain“ bringt er – wenn auch zeitlich nicht mehr ganz stimmig – dieses Unbehagen eindrucksvoll herüber.

Damit es aber nicht ganz so schwermütig wird, hängt Séan gerne an so manchen getragenen Song ein Instrumental an, einen Reel, einen Jig oder einen Hornpipe. Das bringt, bedingt auch durch die Tempiwechsel, etwas Schwung in die Sache. Dem wunderschönen Liebeslied „Wild Mountain Thyme“, ein Folk-Klassiker, den auch Joan Baez gerne sang, folgt passend die Instrumentalfassung eines Tanzliedes („Love Will Ye Marry Me“). Und bisweilen singt Seán Songs, die so richtig die Stimmung heben, wo es swingt und die Beine zu wippen beginnen, Songs, die Optimismus und Lebenslust verbreiten, obwohl sie inhaltlich immer noch recht nachdenklich ausgerichtet sind: z. B. „Fortune For The Finder“ oder „Only From Day To Day“, jeweils mit sehr einschmeichelnden Melodien (Ronnie Lane lässt grüßen!).

Seán schreibt eher selten seine Texte selbst, lieber komponiert er zu Gedichten, die er in irgendwelchen Lyrikbänden ausgräbt, eine – für ihn -passende Musik. Zu seinen Lieblingsdichtern zählt er u. a. John Boyle O’Reilly, John Frazier oder auch William Butler Yeats. Natürlich sind die Live-Arrangements im Vergleich zu den CD-Aufnahmen etwas spröde; hie und da vermisst man ein Melodieinstrument wie das Akkordeon, die Fiddle oder den Dudelsack. Gleichwohl imponiert aber auch das Saitenspiel auf eher ungewöhnlichen Instrumenten wie der Tenorgitarre, der Mandocello oder der Mandola. Seán hat da, für meine Begriffe, sogar einen eigenen Stil entwickelt. Während er etwas versunken und in sich gekehrt auf seinem Stuhl sitzt, sinniert Fergus – ganz locker und cool – auf seinem Barhocker, oft die Augen verschlossen, und garniert Seáns Vorgaben durch oft improvisierte Soli und kongeniale Harmonien.

Seán ist während des Konzertes eher wortkarg, gibt keine großen Erklärungen zu den einzelnen Stücke ab. Es sei denn, es handelt sich um einen der für ihn eher seltenen Songs mit einer politischen Message. „Woman Cry“ ist so ein Lied; es stammt aus der Feder von Bobby Sands, der 1981 während eines Hungerstreiks im berüchtigten Gefängnis Long Kesh verstarb. Oder „The Dead Kings“, wiederum ein von ihm vertontes Gedicht, diesmal von dem im 1. Weltkrieg in Flandern gefallenen Dichter Francis Ledwidge. Mit dem belgischen Musiker Alfred den Ouden hatte Seán diesem in Vergessenheit geratenen Poeten 1999 ein ganzes Album („Songs Of Peace“) gewidmet.

Nein, Seán ist kein einfacher Künstler, kein Exponent der populären, bierseligen, irischen Schunkel-Folklore. Man muss ihm zuhören (wollen), sich auf die Intensität seines Singens, die oft anrührt, manchmal sogar schmerzt, einlassen. Robert Wyatt oder Roy Harper fallen mir da ein, wenn ich Vergleiche anstellen wollte, auch wenn diese Künstler ja eher dem Rockgenre zugeordnet werden. Nächstes Jahr wird Seán sein drittes Soloalbum vorlegen, und im Herbst 2002 dann wieder auf Deutschlandtour kommen.

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