In Wien beim Wein


Oh ja, das kann ich mir gut vorstellen: Das muss der Hit gewesen sein in bundesdeutschen Wohnzimmern der 70er. James Last auf Wien-Beutezug. Und wie er da schon auf dem Foto sitzt. So´n keckes „Na, wollt Ihr nicht auf mal?“ im Blick. Was er da trinkt, ist aber kein Wein, sondern obviously Kaffee. Wiener Melange wahrscheinlich. Paar Zeitungen scheinen noch auf dem Tisch zu liegen, die Stühle sind natürlich echte Kaffeehaus-Stühle. Aber die Fototapete hinter ihm ist ganz schlimm. Ich hoffe, dass nicht wirklich ein Kaffeehaus in Wien so aussieht. Sondern dass das nur getürkt, höhö, ist.


Interessant, dass man sich getraut hat, bei einer Wien-Platte so´n graues Cover zu machen. Da hätte ich jetzt so Musikantenstadl-Deko erwartet: mit vielen Blümchen, Spitzengardinen, Flieder etc. Hier wollte bestimmt jemand die morbide Seite von Wien betonen.

Und so allein, wie er da sitzt, der James Last. Ob sich da nicht mal ein Busladung Weiblichkeit dazusetzen will? Man kriegt ja direkt Mitleid.

Aber die Musik ist wirklich schön. Angenehme Mischung aus etwas Süßlichkeit, aber auch viel Pep. Und viel, viel Atmosphäre. Unglaublich, was das James Last Orchester da wieder rauskitzelt. Die haben so wahnsinnig viel Gefühl in den Gliedern, wahrscheinlich könnten die das auch mit den Füßen spielen, und das würd noch toll klingen.

Auf der zweiten Seite geht´s gleich mit viel Fröhlichkeit weiter („Wiener Praterleben“). Luftig, flott und bunt. Und ich seh schon, da kommen meine geliebten Polkas: die Tritsch Tratsch Polka und eine Pizzicato Polka. Und James Last weiß genau, wo das Publikum die Streicher haben will: „Im Prater blühn wieder die Bäume“. Ich mag das nicht so gern, aber mich fragt ja auch keiner.

Sieh da, die Tritsch Tratsch Polka mal mit einem anderem Arrangement. Vergleichsweise Midtempo und nicht so geknüppelt. Obwohl ich die Thrash-Fassung auch sehr mag: so laid back klingt das auch gut.
Bei der Pizzicato Polka hätte ich mir dafür mehr Streicher erwartet. Da doch Pizzicato mit gezupften Saiten zu tun hat, und das geht bei den Bläsern schlecht. Na gut, da war so ´ne Art Hackbrett. Aber das muss ja eh immer gezupft werden. Ich find Pizzicato ja spannender bei Streichern, die sonst eben gestrichen werden. Trotzdem schön geworden, diese Einspielung. Auch ziemlich laid back: neue deutsche Entspanntheit. Aus damaliger Sicht. Müsste doch für die Volksmusikfans eine Revolution, wenn nicht ein Affront gewesen sein. Denn mit Uffta-Marschmusik hat das nichts zu tun. Nee, das ist schöner, folkloristisch angehauchter Swing. Danke noch mal, James Last.