Einigermaßen grässliches Cover. Eine durch ein Passepartout gebändigte Collage von Notenblättern. Plus ein schräg draufgepapptes Autogramm-Bildchen von James Last. Und auch keine schönen, poppigen Farben…
Anyway. Diese vergleichsweise konservativen Song-Alben sind bei James Last meist ein Gewinn. Und so ist es auch hier. „I can see clearly now“ – seltsam ruppig und in schönen dunklen Tönen. Kein fröhlicher Happy Sound, kein Brei für Zahnlose – den er im übrigen nie produziert hat. Man muss ihn schon mutwillig so rezipieren. Aber diese Einspielungen zeigen mal wieder die Vielseitigkeit von James Last. Hätte der Tag 70 Stunden und der Mensch drei Köpfe – es gäbe vermutlich astronomische Zahlen von James Last-Platten – und Sounds, die wir nie bei ihm vermutet hätten.
Gut, in der „Dolannes Melodie“ fahren irgendwann wieder die Unisono-Streicher ihre Ellbogen aus. Aber die fast Horn-artigen Bläser und die Schwere der untermalenden Harmonien – das hätte er so auf keinen Non Stop-Album untergebracht. Auch „Have you never been mellow“ – ein Traum. Weibliche Stimmen – in kräftigen Alt-Lagen. Oder Sopräne, die in den unteren Bereichen ihres Umfangs singen. Fantastisch.
„Don´t cry for me Argentina’ ist schon volle 6´42 lang – länger kommt hier noch die 8´21-Version von „Mac Arthur Park“. Ja, dies ist das Album der langen Songs. Und James Last ist groß darin, Spannung aufzubauen und zu halten – über Minuten hinweg und im Rahmen ein und desselben Songs. „Don´t cry for me Argentina“ ist auch mit sparsamen Mitteln bei Last großes Kino. Geht unter die Haut.
Und danach wieder ein sanft rockender Take: „Only you can“, irgendwo zwischen Pop und Karibik. Gesang erinnert im Refrain an Boney M. – aber nur positiv. Selten durften die Sänger so zupacken, wie auf dieser Platte. Und selten waren sie so sehr in den Vordergrund gemischt, wie hier. An dieser Stelle einmal explizite Hochachtung für die Zusammenstellung der Takes. Genauer: die Abfolge auf den Platte. Die kompletten Alben sind bei James Last in den meisten Fälle Gesamtkunstwerke: die Hand, die für die Arrangements zuständig ist, dürfte auch auf der Ebene des Formats viel geordnet haben. Manchmal erhört sich der Genuss des gerade beendeten Liedes noch, wenn die kongenial passenden Takte des folgenden beginnen. Klingt komisch: aber in diesen Momenten wird die Kunst des abgelaufenen Lieder erst vollendet. Bekommt die Krone aufgesetzt.
„Summer of ´42“ zeigt mal wieder, dass sich James Last grundsätzlich nicht vor dem großen Philly-Orchester MFSB verstecken brauchte. Und ja, ja, ja – James Last covert die Eagles! „Best of my love“. Hier aalt er sich für meinen Geschmack einen Tick zuviel im reinen Wohlklang. Obwohl der Song an sich nicht schlecht gewählt ist. Klingt im Last-Sound trotzdem einen Hauch zu glitschig. Vielleicht rutschen mir hier auch nur wieder die Chöre zu hoch, vielleicht ist es mir in der Kombination mit dem Zeitlupentempo too much. Irgendwas behagt mir hier nicht.
Dann wieder eine Last-Komposition: „Photographs“. Das ist ja immer eine komische Sache. Üblicherweise besteht beim Last-Hören viel Spaß im Wiedererkennen der Vorlage und im genüsslichen Aufnehmen der Interpretation. Hier heisst es: sich berieseln lassen und irgendwann feststellen – wenn man die Melodie ausgemacht hat – ob´s einem gefällt. Das hier ist edler Westküsten-Satzgesang, mal wieder in hohen Lagen. Aber nicht zu sehr ausufernd, immer wieder rechtzeitig von harmonisch neuen Passagen abgefangen. Ja, eigentlich hätte auch aus „Photographs“ ein Welthit werden müssen. Für die Streisand. Oder Angelika Milster. Ist jedenfalls ein schöner Song.
Kaum dass „The Boxer“ anfängt, scheint es, dass die ganze zweite Seite dieser Platte sopranesken Chören gewidmet ist. Aber was James Last als Arrangeur aus diesem Song gemacht hat, ist aller Ehren wert. Eine Mischung aus Beach Party-Lagerfeuer-Einfachheit und ausgestellten Percussion-Details. Ein sanfter Fluss aus Akustik-Gitarre und kaum hörbarem Beat. Dafür quakige Oboen(?)-Laute, weit abgerückte Drum-Explosionen und gegen Ende auch wunderbare Orgel-Ausflüge. Sehr stimmungsvoll.
„Mac Arthur Park“ und James Last – auch eine Traumkombination. Obwohl ja gerade dieses Lied dem Urgestus der Potpourris – und damit der größten Erfolgsmasche von Last – entgegensteht. Denn dieses Lied braucht Zeit, seine verschiedenen Häutungen zu durchleben, um am Ende seinen Schmetterling fliegen zu lassen. Kein Problem für den Bigband-Leader. Zwar kippt das Stück bei ihm nicht in den wunderbaren Wahnsinn der Donna Summer-Fassung ab. Dafür bleibt es zu getragen und würdevoll. Aber die Klangfarben sind mal wieder wunderbar.
Fazit: Tolle Platte. Gehört auf jeden Fall mit in die Spitze der besten Last-Platten. Spannend und unglaublich, zu sehen, mit welcher Konzentration und Wucht sich der Meister der Potpourris auf einzelne Songs stürzen kann, um ihnen über Minuten hinweg den Sockel zu zimmern, den sie verdienen und der sie trägt.