Folge XXVIII: Zum Tod von Bernd Pfarr
Klarer Fall von „J´accuse“. Klarer Fall von Einbildung. Ersteres bezieht sich auf die Unverschämtheit, den Tod des besten deutschen Cartoonisten nur kurz zu melden. In der „Kulturzeit“ auf 3sat. Nein, nicht Maronde. (Ich bin doch keine Brigitte-Leserin.) Der Tod von Bernd Pfarr also: letzter Punkt in den „News“. Unverschämtheit. Zweites bezieht sich auf mein Gefühl, die Wohnung müsse voll mit Pfarr-Cartoons sein. Jahrelang hab ich sie aus dem noch früher verblichenen ZEIT-Magazin ausgeschnitten und in Schulhefte geklebt. Aber mit 30 kam plötzlich mein Rappel, das wichtigste Hab und Gut müsse in eine Schuhschachtel passen. Na gut, in eine 60 auf 40 Zentimeter große Schuhschachtel. Und 1,80 m hoch. Weg sind sie.
Aber da war doch noch… dieses apricot-farbene große Buch. Nur mit Pfarr-Bildern. Monatelang bei Zweitausendeins liegen sehen. Woissesnur-woissesnur? Nö. War mit damals wohl doch zu teuer. Und so ziehe ich erstaunt völlig blank und vermerke, dass zumindest der Geist der Pfarr-Cartoons in dieser Wohnung gehaust hat.
Jene auf den ersten Blick ruhigen, idyllischen Welten. Kleinbürgerwelten in Pastellfarben. Mit Blümchentapeten, altmodischen Stehlampen und grazilen Tischfüßchen. Schöne Bilder, an denen man sich kaum sattsehen kann. Eingefroren, wie Stillleben – wenn, ja wenn da nicht die Bewohner dieser Welten gewesen wären. Ungelenke Gestalten, die trotz ihres menschlichen Antlitzes (oft allerdings waren es auch Tiere; Bären bevorzugt) wirkten, als seien sie mit Schmackes aus einem Raumschiff geworfen worden. Und dann bemerkte man langsam die schrägen Perspektiven, windschiefen Wände, die seltsame Liaison von Weite und erdrückender Enge.
Woher kenn ich das noch? Aus den betagten Krazy Kat-Strips von George Herriman. Auch in diesen pastellfarbenen Bildern mit der schwarzen Katze und der ewig ziegelstein-schmeißenden Maus hab ich mich wohl gefühlt. Genauso liebevoll ausgestaltet: die niedlichen Spießerwohnungen (eine Ente auf einer Chaiselongue!), wenn auch in einer mexikanisch anmutenden Wüste liegend. Auch hier hauste der Wahnsinn mit. Und – siehe! Fast neben dem Herriman-Band steht: Pfarrs „Komische Bilder“! Der Chefredakteur verpasst die Chance, es seinem vorehelichen Bestand zuzuschlagen. Also ist es meins. Ich bewundere mich selbst für den Kauf. Denn damals saß das Geld eng. Und gute Argumente mussten her, um den Beutel für derlei Kunst zu plündern. Ich vermute den Zeitpunkt knapp vor dem Besuch des Erlangener Comicsalons ´97. Als die Hinternet-Delegation immer wieder verstohlen einen Pfarr-Doppelgänger anschielte. Und schwer enttäuscht war, als irgendwann jemand recherchiert hatte: nicht Pfarr.
Der Blick ins Buch lehrt mich, dass ich doch arg vieles durcheinanderbringe. Da gibt es die stricheligen Bilder mit dünnen Konturen. Es gibt grelle Kreide- oder Ölbilder (amateur-ich) mit dicken, heftig aufgetragenen Farbflächen. Und da gibt es die unfassbar ausbalancierten, entrückten Aquarelle. Meine pastellfarbenen Zweitwohnungen mit perfekt sitzenden Schattenwürfen. In denen sich Gott mit Taxifahrern streitet. Dr. Lenz sein erstaunliches Beharrungsvermögen zeigt. Und ein badebehoster Mann in Skiern und mit einer Hantel von Zehnmeterturm springt. Bildunterschrift: Ist das noch Fußball?
Jaja, die Bildunterschriften. Feinziselierte, gedrechselte Prosa, die in bester Cartoon-Manier mit dem Bildinhalt – mh, wirklich kollidiert? Sich zu einer absurden Ehe verheiratet? Zusammen schlammringt? Alles irgendwie. Die schräg-heimeligen Bilder und die altmodisch eleganten Formulierungen. Pendelnd zwischen Lakonie und Wichtigtuerei. Mal wie schlimmen Simmels entlehnt, dann wieder wie Stadtrundfahrten oder gezierten Beamtendialogen entrissen. Und stets: einen kleinen Einblick in ein Universum bietend, das man staunend über die Bildgrenzen hinweg erahnte.
Nein, die Sondermanns musste man wohl nicht mehr verstehen. Hier hatte sich der Humor auf eine höhere Ebene verflüchtigt, von der aus er jetzt voll Genugtuung zusah, wie man verzweifelt einen Sinn in die Bilder hineinzulesen versuchte. Absurd. Sophisticated. Mit einer amokhaft wörtlich nehmenden Gangart. Maniriert, wie Sondermann eben war. Und saulustig. Also, die Sondermann-Cartoons. Auf eine Art lustig, die einen eine ausgefeilte Philosophie dahinter vermuten ließ. Wie der Mensch eben versucht, Ordnung in die Unordnung zu bringen: „Da muss doch noch irgendwas dahinter sein!“… Aber es schien, als dürfe man auch einfach nur verständnislos – darüber natürlich peinlich berührt und zutiefst verunsichert seiend – und voll Sympathie herzhaft lachen.
Voll Sympathie für die Anti-Identifikationsmaschine Sondermann und all die anderen unglaublich liebevoll, warm gestalteten Bilder. Denn das Pfarr´sche Schaffen, das so vieles umfasst: ein Füllhorn an Techniken und Erzählweisen, ist – wie gesagt – ein Schönes, das einen stets mit offenen Armen empfängt. Und beglückt, wenn auch manchmal kathartisch verwirrt, entlässt. Bis zum nächsten Mal. So oder so.
http://www.bernd-pfarr.de/