„Imperialismus“ prangt als Kategorisierung auf diesem konkret-Band. Das mag viele Leute erstmal irritieren, geht es doch um das friedliche Europa. Dieses wird in jüngerer Geschichte und aktueller Politik seziert, bis es gar nicht mehr so friedlich dasteht: „Die Autoren zeigen das Aggressionspotential der ‚Großmacht mit Herz‘, ihre antiamerikanische und antiisraelische Außenpolitik, die Förderung von Terroristen als ‚Widerstandskämpfer‘, die Destabilisierung durch völkische Minderheiten, den Kampf gegen den Dollar als Leitwährung und die Aufrüstungspläne zu einer weltweit kriegstauglichen EU-Armee“, so das Verlagsinfo.
Deutschland taucht bei diesen Analysen immer wieder als treibende Kraft auf. Europas Linke interessiert sich aus der Perspektive der AutorInnen nicht sehr für diese Analysen, möchte lieber heimische Kultur lieben und Wall Street und Zionismus hassen.
Eine Stärke des Bandes ist, dass er nicht im Kaffeesatz liest, also die Finger von gewagten Prognosen über die Struktur zukünftiger Weltmachtverteilung läßt. Eine weitere Stärke ist, dass keine verschwörungstheoretischen Bündnisse erschrieben, sondern mehr oder weniger öffentlich zugängliche Dokumente des EU-Apparats zu Rate gezogen werden – die Weltmacht-Ambitionen liegen offen.
Eine Schwäche ist, dass Stil und Inhalt sehr Gegenstandpünktlich beeinflußt sind, so dass einige eigentlich spannende Fragen ausgespart bleiben. Der Band ist recht trocken zu lesen und richtet sich wohl am ehesten an Profi- und Freizeit-PolitikwissenschaftlerInnen, die streng rationale Analyse gewohnt sind. Die Herausgeberin Ilka Schröder landete als Grüne im Europaparlament, als Ex-Grüne-Kritikerin konnte sie sich dort bis 2004 als parteiloser Störfaktor halten. Aus diesem Erfahrungsschatz schöpfen sie und ihre ehemaligen Mitarbeiter mit der Unterstützung einiger weiterer Autoren.
Ärgerlich ist der besondere Taschenbuchdruck, der das Buch ständig zuklappen läßt; der Band kam bereits mit gelösten Seiten an und würde bei häufiger Lektür weiter zerfallen.
„Weltmacht Europa – Hauptstadt Berlin?“ verspricht nicht zuviel damit, ein „EU-Handbuch“ zu sein und ist mit den genannten Abstrichen durchaus lesenswert für alle, die sich ein Bild davon machen wollen, welche politischen Prozesse in der heutigen EU ablaufen.
Ilka Schröder (Hrsg.): Weltmacht Europa – Hauptstadt Berlin? Ein Europa-Führer.
Konkret-Texte Bd.39. Konkret-Literatur-Verlag Hamburg 2005. 215 S., 15 EUR,
ISBN: 3-930786-44-3.