Ist es wirklich schon 25 Jahre her, dass die erste „Spex“-Ausgabe erschien – damals es war September 1980, noch im übergroßen Format, komplett in schwarz-weiß. Seinerzeit entstand die „Spex“, die anfangs noch den Untertitel „Musik Zur Zeit“ trug, unter der Leitung von Peter Bömmels. Lang ist`s her.
Kai Florian Becker sprach mit Uwe Viehmann, dem aktuellen Chefredakteur des Blattes, das in 25 Jahren zu einer Institution am deutschen Musikzeitschriftenmarkt herangewachsen ist.
Hinternet: Was wäre Dein Leben ohne „Spex“?
Viehmann: Das ist ganz schwer zu beantworten, ohne dabei gefühlsduselig oder melodramatisch zu werden. Vielleicht beschreibt es Folgendes ganz gut: Ich habe nach der Schule und einer winzigen Einlage als Student noch nichts anderes in meinem Leben gemacht, als die Abs und vor allem Aufs von ‚Spex‘ zu begleiten. Von der studentischen Aushilfe, über freie Schreibertätigkeiten, hin zu einem Redaktionsposten, einer kurzzeitigen Pleite des Verlags und der dann 2000 erfolgten, erfolgreichen Wiederbelebung mit unter anderem mir als Chefredakteur – und jetzt die 25-Jahres-Feierlichkeiten, das Sonderheft (im Januar 2006 erschienen), die Monsters Of Spex-Festivals und -Konzerte. Das geht nicht spurlos an einem vorüber, zumal in den letzten fünf Jahren das Heft mit guten Freunden gemacht und weiterentwickelt wurde.
Dazu kommt, dass dies ein 24/7-Job ist. Es gibt kaum eine Trennung zwischen dem ‚Spex‘-Uwe und dem privaten Uwe. Das ist natürlich toll, um darin aufzugehen, aber auch schwierig, weil man a) unter ständiger Beobachtung zu stehen scheint, immer im Dienst ist, und b) kaum Zeit für andere Dinge hat. Frag mal meine Ex-Freundinnen.
Uwe Viehmann wurde am 27. März 1973 in Limburg an der Lahn geboren. Seit 1995 arbeitet er bei der „Spex“. Seine aktuellen Lieblingsalben sind „Éclat“ von Monochrome und „Buchstaben Über Der Stadt“ von Tomte. Lieblingsbands hat er „zu viele. Die meisten benutzen Gitarre“. Wenn er sich nicht mit Musik beschäftigt, dann mit Menschen und Fußball. Er glaubt, dass Deutschland leider nicht die anstehende Fußball-Weltmeisterschaft gewinnen wird.
Hinternet: Glaubst Du, dass die „Spex“ einen großen Einfluss auf die Popkritik in Deutschland hatte/hat? Oder anders gefragt: Wie wichtig war „Spex“ für die Entwicklung ernstzunehmender Popkritik? Sofern sie wirklich ernstgenommen wird…
Viehmann: Ganz sicher hatte ‚Spex‘ einen enormen Einfluss auf die Popkritik der letzten, sagen wir, 20 Jahre. Gerade im Bezug auf die viel diskutierte subjektive Schreibe der aktuellen Popautoren. Außerdem war ‚Spex‘ für eine sehr lange Zeit das einzige ernstzunehmende Blatt, in dem über Standardkritiken hinaus an Musik verhandelt wurde. Und dies zu einer Zeit, in der auch die heutigen Popjournalisten da draußen maßgeblich von ‚Spex‘ sozialisiert wurden.
Hinternet: Wie schwer war es seinerzeit, genauer gesagt 1999/2000, die Pleite der „Spex“ abzuwenden?
Viehmann: Nicht schwer, sondern letztlich unmöglich. Auch mit drastischen Sparmaßnahmen war da nichts mehr zu machen. Es fehlten genauso sehr Anzeigenbuchungen wie auch LeserInnen. Ein Trend des letzten Drittels der Neunziger, den die damalige(n) Redaktion(en) nicht aufhalten konnte(n). Die vielen Wechsel in der Chefredaktion haben da wohl ihr übriges getan. Letztlich hat der Piranha Media Verlag den totalen Untergang im Nichts durch den Kauf verhindert.
Hinternet: Was hat sich seit der Übernahme der „Spex“ durch den Piranha Media Verlag verändert?
Viehmann: Nichts und sehr viel. Inhaltlich nichts. Jedenfalls nichts, was am Verlagswechsel festzumachen ist, sondern vor allem an den Menschen, die seitdem die Redaktion gebildet haben. Immer noch wird das Heft nach bestem Wissen und Gewissen redaktionell absolut autark gestaltet. Ich würde sogar noch weiter gehen und sagen, dass der Druck (eine Form von möglichem Druck) weit geringer ist und war, als ‚damals‘ (vor Piranha), als sich die Redaktion den Gesellschaftern (allesamt auch ehemalige Autorinnen, Fotografen etc. – Fachmenschen also) gegenüber verantworten musste. Alle hatten etwas zu sagen und wussten es besser.
Außerdem bot der neue Verlag an, das Heft endlich auch, was die Ausstattung angeht, ‚zeitgemäß‘ zu gestalten: kompletter Vierfarbdruck, CD-Beilage, deutliche Hefterweiterung, besseres Papier, vernünftige Gehälter und Honorare etc. Nicht zu unterschätzende Kriterien, am Ende auch für das geschriebene Wort.
Hinternet: Mit dem Verkauf der „Spex“ an Piranha ging Dietmar Dath (heute FAZ-Redakteur und Schriftsteller) und Du wurdest Chefredakteur. Freiwillig? Oder nur weil Du der dienstälteste „Spex“-Mitarbeiter warst?
Viehmann: Als Dietmar ging und/oder gegangen wurde, musste jemand offiziell diesen Job übernehmen. Als der neue Verleger Alex Lacher für diese Überlegungen nach Köln kam, tauchte ich an diesem Tag erst später im Büro auf. Dort saß dann die Redaktion in einer großen Runde und teilte mir mit, sie hätten einstimmig entschieden, ich solle den Job übernehmen. Was ich tat. Ich hatte quasi keine Wahl und war aber auch damals schon Dienstältester (mit 26) und hatte in der schwierigen Zeit des Übergangs quasi mit Piranha die inhaltlichen ‚Verhandlungen‘ über die Zukunft geführt. Irgendwie war es also logisch.
Hinternet: Du sagtest damals im Editorial, „Spex“ müsse ein Heft sein, dem man ansieht, von wem es gemacht wird. Ist Dir das in den letzten fünf Jahren gelungen?
Viehmann: Ich hoffe doch. Beurteilen müssen das Andere. Frage zehn Leute und du bekommst elf Meinungen.
Hinternet: Steht man als Chefredakteur einer Zeitschrift wie der „Spex“, über deren Stil und deren Wichtigkeit immer wieder innig diskutiert wird, unter besonderer Beobachtung? (Er hatte dies ja eingangs angedeutet. Da es aber ein E-Mail-Interview ist, hier jetzt die Nachhakfrage.)
Viehmann: Ja und nein. Ja, bei manchen ist das sicher so. Nein, im Sinne von: mir egal. Im Gegensatz zu manch einem meiner Vorgänger ist es mir auch nicht so wichtig, mich in der Öffentlichkeit oder über Texte zu jedem Diskursfitzelchen zu äußern. Meine Stärke und mein Ansinnen war zunächst, den Kahn wieder flott zu bekommen und eher im Hintergrund Entscheidungen zu treffen. Ich fühle mich also weniger als Autorendiva, denn als hemdsärmeliger Musikliebhaber. Wenn ich aber eingangs gesagt habe, dass man ständig als ‚Spex‘ wahrgenommen wird, dann meint das eben nicht nur die von dir angesprochene Ebene, sondern auch die rein physische.
Hinternet: Allmonatlich kürt die Redaktion die „Platte des Monats“. Manchmal gar zwei. Wie heftig sind die internen Diskussionen, die dem Konsens über ein Album vorangehen?
Viehmann: Das ist sehr unterschiedlich. Mal ist es allen klar, mal steht man als Verfechter einer bestimmten Platte auf verlorenem Posten da, aber bekommt dennoch das Vertrauen geschenkt. Meist kann man es jenen, die eine gewisse Platte vorschlagen, auch einfach im Gesicht ablesen, wie ernst sie es meinen. Und manchmal sind es auch politische Entscheidungen. Nicht von außen herangetragen, sondern im Sinne von: XYZ ist bereits Cover, dann wird die Platte des Monats eben ZYX. Es gibt aber wohl noch circa 67 andere Entscheidungsvarianten. Und zwei Platten des Monats gibt es nur im Januar/Februar-Heft, das gilt ja auch für zwei Monate, hehe.
Hinternet: Derzeit ist es für anspruchsvollere Pop-Liebhaber recht schwer, im Fernsehen eine Plattform zu finden – sieht man einmal von den Sendungen auf „arte“ ab. Hast Du eine Ahnung, warum in Deutschland Pop gleich immer mit Mainstream einhergehen muss und Nischen nunmehr fast völlig aus dem Musikfernsehen ausradiert wurden?
Viehman: Ich habe nicht die leiseste Ahnung und die Hoffnung auf Änderung im Großen mittlerweile längst aufgegeben. Das von dir Festgestellte gilt ja leider nicht nur für das Fernsehen, sondern ebenso auch fürs Radio und vor allem die dramatisch langweilig Print-Landschaft. Mit Risiko und übermäßigem Engagement ist es hierzulande nicht allzu weit bestellt. Je mehr Auflage und je größer die Reichweite, desto weniger Chuzpe hat das ‚Produkt‘. Eigentlich nichts Neues. Dass man sich dennoch nicht damit abgeben darf, ist ein Grund warum ‚Spex‘ noch jeden Monat erscheint.
Hinternet: Was ist das Geheimnis der „Spex“, dass dort die Trends immer sehr früh aufgenommen und thematisiert werden?
Viehmann: Ist dem so? Oder anders: Sicher war dem so, aber Techno beispielsweise wurde damals grandios verschlafen. Dafür stürzte die ‚Spex‘ sich im Laufe der Jahre umso lieber auf andere Hypes. Heute ist das allerdings doppelt schwer. Durch die Konkurrenzmedien wie das Internet sind heute alle Interessierten längst dreimal so gut informiert wie der ‚Spex‘-Redakteur, der viel weniger Nerd sein darf, sondern immer einen Blick auf das Ganze behalten muss. Um am Ende aus dem Veröffentlichungs-Wirrwarr und Stimmengewitter da draußen vielleicht eine kleine Vorauswahl für die bereit zu stellen, die zwar übermäßig interessiert an der Musikwelt sind, aber sich nicht bloß als Spezialist/in verstehen wollen.
Hinternet: Der Mitarbeiterstamm der „Spex“ ist für Außenstehende einem ständigen Wandel unterworfen. Leute kommen, Leute gehen. Bedauert man als Chefredakteur diese Fluktuationen, oder werden sie eher als Chance erachtet, Neues ausprobieren und frisches Blut integrieren zu können?
Viehmann: Es sind alles Einzelfälle. Manchmal mit traurigem Hintergrund, manchmal lebt man sich auseinander, wird älter, geht in andere Jobs oder gründet etwa eine Familie. Andere schreiben seit 15 Jahren und brennen genauso wie die Jungautorin mit 21. Grundsätzlich ist es einfach schön zu sehen, dass auch in den vielen neuen Gesichtern und Texten der letzten von mir beobachteten Jahre dennoch eine gewisse Vorstellung davon abzulesen ist, was es heißt, für ‚Spex‘ zu schreiben.
Hinternet: Wie sehr ärgert man sich, wenn Ideen, die man entwickelt hat, von der „Konkurrenz“ aufgegriffen werden? Oder spornt das eher zu neuen Ideen an?
Viehmann: Es ärgert einen schon sehr. Vor allem dann, wenn die Masse der Rezipienten Dinge Anderen als den ‚Erfindern‘ zuschreibt. Aber so ist das nun mal. Mittlerweile setzen Großverlage ihre Hefte gezielt darauf an, zum Beispiel bei uns zu kopieren und uns ‚zu verdrängen‘. Ha ha.
Hinternet: Der Piranha Media Verlag, Herausgeber der „Spex“, spielt mit dem Gedanken, die Redaktion nach Berlin zu verlegen. Aus Synergieeffekten, da zu dem Verlag just das Berliner Magazin „Groove“ dazugekommen ist. Wie steht die Redaktion zu diesen Plänen? Würde jeder mitziehen?
Viehmann: Nein. Es gibt teilweise heftige Diskussionen. Inhaltlich, was die ‚Spex‘ und die aktuelle Redaktionskonstellation angeht, aber auch mit dem eigenen Herzen. Köln ist nicht Puselmuckel. Wer so lange hier lebt wie die meisten der an diesem Heft Arbeitenden, verliert durch einen Umzug nicht nur ein wenig ‚Spex‘-Traditionen und die ureigene Kölner Stimme, sondern auch eine geliebte Stadt, Freunde, Kölsch, das kölsche Gemüt und den FC. Nur als Beispiele abseits der Diskussionen, die nun wieder andere führen, warum dies der Untergang des Heftes sein könnte. Es kann ja auch eine Chance sein.
Die nun schon über viele viele Jahre anhaltende Tendenz, in Berlin eine alle Kreativität dieses Landes aufsaugende und die Hälfte davon unverdaut auf den Hartz IV-Haufen ausspuckende Möchtegern-Weltmetropole in diesem Land zu haben, ist natürlich zu verdammen. Aber am Ende muss man zugeben, dass für unser Kerngeschäft Musik, nur diese Stadt heute noch das an Kontakten etc. bietet, was man auch im Redaktionsalltag braucht. Zu sehr vereinnahmt zu werden und urplötzlich eine Berliner Stimme (so es die gibt) zu bekommen, halte ich für unwahrscheinlich: Dafür werden die AutorInnen weiterhin aus zu vielen unterschiedlichen Städten und Positionen heraus schreiben. Außerdem war dem auch in Köln nicht mehr so. Schon lange. Die Mär der Kölner Stimme und Popsprecherposition stammt aus Zeiten, als nur wenige Autoren ewig an der Theke die gleichen Diskussionen führten. Heute, auch Redaktionssysteme sind globalisiert, ist dem weit weniger so.
Mehr denn je sollte man ‚Spex‘ als Autorenblatt lesen und verstehen, auch wenn für den ein oder anderen Altvorderen die Stimmen nicht mehr so kämpferisch sein mögen. Weniger kluge Gedanken und jubilierende Herzen gibt es im Gegensatz zum nervigen Früher sicher auch 2006 nicht. Aber für viele der Lesenden sind sie eben nicht immer neu. Retro ist ja nicht nur ein musikkulturhistorisches Phänomen. Wie ich persönlich mit dem Herzen über einen Umzug denke – sowie weite Teile der Redaktion – steht aber auf einem ganz anderen Blatt.
Hinternet: Am 27. Januar erscheint das Heft zum 25. Jubiläum. Welche Überraschungen hat sich die Redaktion ausgedacht?
Viehmann: Tja. Erst einmal wird es zwei unterschiedliche Cover geben, mit zwei der definitiven Ikonen für ‚Spex‘ und der letzten 25 Jahre überhaupt: Madonna und Morrissey. Aber ausgerechnet für diese beiden brechen wir mit dem Heftprinzip. Während alle anderen knapp 30 Heldinnen und Helden der ‚Spex‘-Historie – mit Depeche Mode, Chuck D., Bobby Konders, Mike Watt, Neil Young, Mary J. Blige, Carl Graig, Wolfgang Tillmans, Mark E. Smith, Lemmy, Trevor Horn, Schorsch Kamerun, Charlotte Roche -, ohne die das Blatt nie so geworden wäre, wie es heute ist, ausschließlich in Interviewform porträtiert und befragt werden, bekommen Madonna und Morrissey einen Text spendiert. Dazu gibt es eine Kurzgeschichte über Joey Ramone und alle Redaktionsbestenlisten der 25 Jahre und einige Kleinigkeiten.
Das Besondere aber ist eine DVD mit 25 Musikvideo-Klassikern aus 25 Jahren. Von The Jams ‚That’s Entertainment‘ über Nirvanas ‚Smells Like Teen Spirit‘ bis hin zu Franz Ferdinand und Broken Social Scene . Angeblich sollen auf der DVD noch drei Videos mehr versteckt sein, aber: man weiß es nicht.