George P. Pelecanos: Shame the devil

Die Bücher der späten 90er Jahre von George P. Pelecanos sind in den USA als „washington quartet“ bekannt. „Nach dem starken Echo erscheint die Washington-Trilogie nun als Kassette im literarischen Hauptprogramm“, schreibt dagegen der Dumont Verlag zu einer → Neuauflage der Bücher „Das große Umlegen“, „King Suckerman“ und „Eine süße Ewigkeit“ in einem Sammelschuber. Und auch die deutsprachige Kritik spricht von einer Trilogie. Nun muss man natürlich auch bei viel gutem Willen zugeben, dass die Begriffe Trilogie und „quartet“ sich nicht zur Deckung bringen lassen. „Tell the truth and shame the devil“: Die haben da einfach ein Buch weggelassen.

Ein Buch von dem der Autor selber sagt: „Actually, ‘Shame the Devil’ is the last in a quartet of novels with several generations of characters.“ Eigentümlich mutet es an, dass der Verlags sich jedweden Hinweis darauf verkneift, dass es da noch ein weiteres Buch gibt.

Aber warum sind dem deutschen Verlag drei Bände genug ? Warum fehlt gerade der letzte Band, über den Pelecanos anmerkte, dass er sein am wenigsten besprochenes Buch sei ? Nun ja, die Wahrheit ist vermutlich einfach! Die Bücher die jetzt wieder im Sammelschuber wiederveröffentlicht werden, waren schon einmal erschienen. Die Übersetzungen sind verfügbar. Da wäre es wohl viel zu teuer gewesen, den letzten Band auch noch übersetzen zu lassen – bei den horrenden Gehältern literarischer Übersetzer. Traurig ist es und meiner Meinung nach eine verpasste Chance. Und noch einmal eine Anlass, das Buch „Shame the devil“ zu lesen. Was ist es denn, was der Verlag da der deutschen Leserschaft vorenthält ?

Vorweg ein Prolog. Drei Männer wollen in einer Pizzeria einen Geldboten ausrauben. Am Ende sind die vier Angestellten der Pizzeria tot, einer der Verbrecher wird erschossen, sein Bruder überfährt bei der Flucht ein Kind und ein Polizist landet im Rollstuhl. Zurück bleiben gebrochene Herzen und rachsüchtige Geister. Schnitt. Knapp drei Jahre später kommen die zwei überlebenden Einbrecher zurück. Das Geld aus dem Einbruch ist aufgebraucht und der tote Bruder soll gerächt werden.

Pelecanos bleibt seinem Stil auch in diesem Buch treu. Einem Dutzend Personen schaut der Leser über die Schulter. Eine Selbsthilfegruppe, bei der sich die Hinterbliebenen der Opfer treffen, die Küche eines Restaurants, in dem Helfer und Freunde der Opfer zusammenkommen und die beiden Verbrecher, der eine ein Dandykiller, der andere ein Killer so kalt wie das ewige Eis, dienen als Gravitationszentren, damit sich die Erzählung bei einer derart großen Zahl von Akteuren nicht zergliedert. Die Leser sieht dabei zu, wie die drei Sphären sich so langsam auf einander zu bewegen und rätselt darüber, welche zerstörerischen Kräfte beim Aufeinandertreffen wohl frei werden.

Basketball, die Arbeit in einer Restaurantküche, Spannungen zwischen den Rassen und immer wieder Musik. Atmosphärisch greift Pelecanos auf die Vorgängerwerke zurück und nimmt so manche der Themen wieder auf. Und um die „Abhängigkeiten“ zwischen den Personen darzustellen, werden auch alte Geschichten von ihm ausgegraben. Man kann dieses Buch sehr gut lesen, ohne die Vorgänger zu kennen, aber derartige Zusammenhänge machen aus den Personen beinahe gute Bekannte.

Es ist ein Buch über Trauerarbeit und über ewige Verpflichtungen. Pelecanos beschreibt nicht nur, langsam die Spannung steigernd, den Weg zur Auflösung dieser Spannung am Ende des Buches, sondern er interessiert sich auch für die Art und Weise wie eine derartige Katastrophe die Beteiligten und ihre Umgebungen verändert. Nicht nur Trauer, auch schlechtes Gewissen und fortbestehende Verpflichtungen bestimmen das Verhältnis der Hinterbliebenen zu den Verstorbenen. Und so werden, als die Geschichte sich zum Ende hin verdichtet, alte Verpflichtungen eingefordert und eingelöst.

Dabei erzählt er nie nur die Hauptgeschichte, sondern er charakterisiert seine Personen kurz und zeigt sie in ihrem gewohnten sozialen Umfeld. Das liest sich wie ein bunter Blumenstrauß von Geschichten, fügt sich aber stimmig zusammen und wirkt ungemein reich. Ein besonderes Merkmal des Stils Pelecanos‘ ist die Empathie, mit der er alle seine Figuren beschreibt. Er bleibt sich treu, auch wenn er in diesem Buch einen besonders diabolischen Täter einführt. So richtig und ungefiltert bricht sein Zorn nur dann durch, wenn er über die politischen Verhältnisse Washingtons schreibt.

„Shame the devil“ ist ein gelungener und würdiger Abschluss des „washington quartet“ und ein hemmungslos unterbewertetes Buch. Sprachlich ist das Buch ein Leckerbissen. Diverse Beispiele ließen sich anfügen, wie gekonnt Pelecanos dichtgefügte Szenen vor dem Auge des Lesers entstehen lassen kann und wie er andererseits Actionszenen rasant beschleunigt und voranpeitscht. Das Buch ist kein Whodunit (wofür es auch Kritik einstecken musste), aber spannend ist es allemal. Ein Grenzgänger des Genres, welcher durch eine souveräne literarische Qualität überzeugt.

George P. Pelecanos: Shame the devil. 
Dell 2004. 384 Seiten, 7,49 €

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