Lem ist tot

De mortuis nil nisi bene. Na ja, eigentlich wollte ich auch gar nichts Schlechtes über Stanislaw Lem sagen, der am Montag in Krakau gestorben ist. In früheren Jahren habe ich einiges von ihm gelesen – Solaris, der Unbesiegbare, die Sterntagebücher, einige Robotermärchen, den futurologischen Kongreß, und die Memoiren, gefunden in der Badewanne. An die meisten erinnere ich mich nicht mehr sehr genau, aber allein die Anzahl läßt schon vermuten, dass ich Lem nicht ungern gelesen habe.


Was mich irgendwann nervte war dann auch nicht der Autor (und schon gar nicht sein Werk), sondern seine Fans. So wie Dürrenmatt der Krimiautor für Studienräte mit Abneigung gegen alle Triviale ist, so ist Lem der SF-Autor für den gehobenen Bildungbürger, der Science Fiction ansonsten pfui-bäh findet. Und Lem ist ein Autor, der zudem noch den Vorteil hat, dass er sich zu fast allem irgendwann mal geäußert hat (ich erinnere mich – dunkelst – an allein drei Reden/Ansprachen bei denen Politiker – Regional- und Landesliga – irgendwann Lem zur Beweissicherung aus ihrem Zitatenkästchen zogen).
Wer DPRs Ausführungen über den „literarischen Krimi“ verfolgt hat (z.B. →hier und →hier), der ahnt was mich an diesem Feuilletongegensatz von schlechter SF auf der einen und gutem/literarischen Lem auf der anderen Seite stört. Klar dass sich das auch in den Nachrufen fortsetzt.
„Seine Romane, die auch auf Deutsch erschienen sind, gehören zu den literarisch anspruchsvollsten Klassikern des Genres.“ schreibt die → Süddeutsche und nennt Lem, der den „Science-fiction-Roman ‚literaturfähig‘ gemacht und von bloßer Phantasterei befreit“ habe gleichzeitig den „klügsten Phantasten der Literatur“.
Die Zeit hingegen verzichtet in ihrem Nachruf (→ Der moderne Jules Verne) auf Begriffe wie literarisch oder anspruchsvoll:

„Vermutlich wird Lems wahres Genie – wie jenes von Jules Verne – erst aus der Rückschau richtig sichtbar. Die prophetische Kraft des polnischen Visionärs werden wohl erst jene Generationen würdigen können, die inmitten seiner wissenschaftlichen Zukunftsentwürfe leben.“

Ein erfreuliche Ausnahme in den absehbaren Nachrufen ist Marcus Hammerschmitts Artikel in der Telepolis → Am Ende einer weiten Reise.

„Aber was war es genau, was mich hier so elektrisierte?
Heute würde ich sagen: die Kühnheit Lems. Der Mut, mit dem er einer wenig attraktiven, epigonalen und manchmal sterilen Literaturform Vision, Poesie, literarische Genauigkeit beibrachte. Wie er da hin ging und sagte: Euch zeig ich, dass bestimmte Erfahrungen und Konstellationen unseres Zeitalters überhaupt nur im Rahmen der Science Fiction verhandelbar sind, und nirgendwo sonst. Euch zeige ich, wie das absolut Fremde in der Literatur benannt und beschworen werden kann, ohne dass man zu billigen Kostüm- und Theatertricks greifen muss.“

Bei Telepolis hat man aber auch ein etwa 10 Jahre altes Interview ausgepackt (→ „Wir stehen am Anfang einer Epoche, vor der mir graut“) und da bekommt das Bild des polnischen Gelehrten für mich dann doch einige Risse. Sätze wie

„Man erzählt uns Märchen etwa in der Klimatologie, daß das Klima angeblich immer wärmer wird. Einen solchen kalten und verregneten Sommer wie diesen habe ich noch nie in meinem ziemlich langen Leben erlebt.“

hätte ich vielleicht von George Bush im Vorfeld eines Klimagipfels erwartet – aber nicht von einem Mann von „umfangreicher naturwissenschaftlicher Bildung“ (→stern)