Hannover, Musikzentrum, 27.04.06
Immer wieder … Liebeslieder
Blumfeld ist zurzeit die beste Band, die es in Deutschland gibt. Punkt.
Steve McQueen: Lässige Eleganz, hinter der sich unbändige Leidenschaft zu verstecken scheint. Gelegentlich bricht die Energie aus, liegt sichtbar an der Oberfläche – und trotzdem verliert der Mann nie die Aura der Unergründlichkeit. Behind blue eyes …
Wäre Steve McQueen eine Band, sie hieße Blumfeld.
Es gibt ein neues Album der Hamburger Gruppe um Sänger und Texter Jochen Distelmeyer und es gibt eine Deutschland-Tournee. Am Donnerstag, dem 27. April, war Auftakt in Hannover – einen Tag, bevor „Verbotene Früchte“ offiziell erscheint. Was war im Vorfeld nicht alles zu lesen: Von Naturlyrik (die Songs heißen „Der Apfelmann“ oder „Ich fliege mit Raben“), vom endgültig vollzogenen Rückzug ins Private, vom Verlust jeglicher politischen Relevanz, die man früheren Blumfeld-Texten zuschrieb. Der vielleicht schönste Kommentar stand in der „taz“. Eine komplette Seite widmete die Berliner Tageszeitung der neuen CD, zwei Redakteure besprachen das Album, einer Pro, einer Contra. Es stelle sich ein „unleugbares Gefühl ein, Jochen Distelmeyer habe den Verstand verloren (und das sagt tatsächlich jeder, der die Platte das erste Mal hört)“. Achtung, bitte: Das Zitat stammt aus der Pro-Rezension.
Wer immer sich um Distelmeyers Verstand und die angesichts der Kritiken zu befürchtende Kastration der Rock-Band Blumfeld sorgt: Keep cool, Baby! Blumfeld rocken wie Sau, immer noch und immer wieder.
Mit „Schnee“, dem ersten Song der neuen Platte, fangen die vier auf der Bühne an. Der relativ ruhige Einstieg ins Konzert entspricht der Atmosphäre des Albums. Aber Blumfeld-Alben und Blumfeld-Gigs sind zwei verschiedene Paar Stiefel: Nach vier Songs hat Distelmeyer vier verschiedene Gitarren gespielt – nur eine davon ist eine akustische. Munter geht es durch die letzten fünf Alben, einzig das Debüt „Ich-Maschine“ findet sich im Live-Set überhaupt nicht wieder.
Andre Rattay am Schlagzeug, Vredeber Albrecht an den Keyboards, der neue Bassist Lars Precht und der Master of Ceremony himself an Gitarre und Gesang grooven äußerst entspannt. Von Beginn an sind sie extrem präsent, das Zusammenspiel ist leicht und gleichzeitig so druckvoll, dass – um mal wieder den alten Slogan von der Hamburger Schule hervorzukramen – Blumfeld alle imaginären Brothers in Arms wie Tomte, Kettcar oder Olli Schulz tatsächlich wie ABC-Schützen aussehen lassen, während sie selbst bereits Galaxien entfernt in der Welt der Erwachsenen angekommen sind. Hier werden keine Gefangenen gemacht, die Schulbank ist weit entfernt und auch das vielzitierte germanistische Seminar hat die Band schon längst ad acta gelegt. Da stört es auch nicht, dass die Gruppe im Big Business angekommen ist, von Sony/BMG straight vermarktet wird und beispielsweise in der deutschen Ausgabe der TV-Show „Top of the Pops“ auftrifft und vorm Mitklatscher-RTL-Publikum Zeilen wie „Ihr Sklaven in der Überzahl, wie lang noch wollt ihr leiden“ zum Besten gibt (ein Highlight der deutschen Fernsehunterhaltung!).
Einer der vielen angenehmen Gedanken bei einem Blumfeld-Konzert ist die Feststellung, dass diese Band nie Stadion-Rock produzieren wird. Dazu sind sie einfach zu sperrig, zu einzigartig in ihrer Haltung und Abgrenzung zu allem, was vereinnahmend wirkt, wogegen Gruppen wie Kettcar schon längst im Stadion-Rock angekommen sind, live allerdings (bislang noch) ohne Stadion.
Angesichts ihrer Show wirkt es geradezu unfassbar, wie Blumfeld in Artikeln und Rezensionen immer wieder auf die Songtexte reduziert werden. Es ist kein Vorlesewettbewerb, den Distelmeyer bestreitet, es ist ein Rockkonzert, Baby! Beeindruckend, wie der Mann mittlerweile singt, mitreißend, wie die Musiker die neuen und vor allem die alten Stücke interpretieren. Einer der Höhepunkte: „So lebe ich“ vom Album „Old Nobody“, mit dem das reguläre Programm nach anderthalb Stunden endet. Nach anfänglicher Zurückhaltung kommt das hannoversche Publikum richtig in Schwung und bejubelt die Band nach etlichen Zugaben noch einmal auf die Bühne, als in der Halle bereits die Rausschmeißer-Musik vom Band läuft.
Und dann kommt er wirklich, der von den Zuhörern lautstark verlangte Blumfeld-Klassiker „Verstärker“ vom „L’Etat et moi“-Album, in den Distelmeyer – wie auch schon auf der letzten Tour vor drei Jahren – einige Zeilen aus Prefab Sprouts „Electric Guitars“ einfügt: „We were Songbirds, we were Greek gods, we were singled out by fate, we were quoted out of context – it was great. Greater than castles, cathedrals or stars – electric guitars!“
Wer Blumfeld dafür nicht liebt, der ist ein Schuft.
Das musste mal gesagt werden.