Paula L. Woods: Stormy Weather

Wie kann eine Frau innerhalb einer geschlossenen Gruppe mit ihren Demütigungen fertig werden und dennoch die Etiquette des Korpsgeist nicht verletzen, und welche Grenzen sind Korpsmitglieder bereit zu übertreten, um das Gesicht zu wahren? In ihrem Buch „Stormy Weather“ rührt Paula L. Woods an recht grundsätzlichen Fragen.

Einer der frühen schwarzen Regisseure Hollywoods wird tot in seinem Haus aufgefunden. Der schwer krebskranke Mann, welcher über eine längere Zeit hohe Dosen Morphin gegen seine Schmerzen einnahm, starb an einer Überdosis Rauschgift. Ein Zusammenhang mit einem Euthanasie-Serienkiller, für dessen Taten ein Mann kurz vorher verurteilt worden war, scheint möglich und die zentrale Mordkommission der Stadt Los Angeles wird hinzugezogen. Die schwarze Polizistin Charlotte Justice übernimmt den Fall und muss gleich am Anfang erkennen, dass die (weißen männlichen) Kollegen der lokalen Mordkommission etwas lieblos recherchiert hatten. So fällt es ihr leicht, schnell Hinweise darauf zu finden, dass deren Vorstellung, das Opfer habe Selbstmord begangen, wenig wahrscheinlich ist.

„Stormy Weather“ ist nicht einfach der Wein ihres erfolgreichen Erstlings „Inner City Blues“ in neuen Schläuchen, sondern zeigt, dass Paula L. Woods sich und ihre Heldin weiter entwickelt hat. Natürlich, einige Rahmenbedingungen sind Teil ihres Programms und also gleich geblieben. Charlotte Justine kämpft schwer mit ihrer Rolle als Frau und als Schwarze in einer Mordkommission, die immer noch vom Geist des LA-Quartetts von James Ellroy (weiß, männlich, homophob) beseelt ist. Ihre Beziehung zu ihrem „lover“ leidet unter ihrem gewaltsamen Verlust von Mann und Kind und die zu ihrer Mutter unter deren Ängste um die Tochter. Ähnlich wie → Grace F. Edwards zeigt uns auch Paula L. Woods, dass es mächtige schwarze Wurzeln der amerikanischen Kultur gibt und noch deutlicher zeigt sie uns, dass es eine breite Schicht hochgebildeter und wohlhabender schwarzer US-Amerikaner gibt.

„Stormy Weather“ entwickelt sich zu einem hochkomplexen Buch, in dem die Aufklärung des Mordfalls, die Intrigen innerhalb der Abteilung, ihr dahindümpelndes Privatleben und die Geschichte des Opfers zupackend miteinander verflochten sind. Ausgeprägter als im ersten Buch steht das Krimirätsel im Zentrum. Ein Rätsel von geradezu klassischer Prägung: Das Opfer war weitgehend immobil und verließ sein Zimmer kaum noch, so dass seine Besucher am Todestag den Kreis der Verdächtigen darstellen.

Stärker als zuvor verknüpft Paula L. Woods die verschiedenen Handlungsebenen ausgewogen miteinander und fügt überraschende Wendungen ein, welche die Geschichte enorm verdichten und Charlotte Justice in scheinbar ausweglosen Situationen zurücklassen. Dabei wagt sich die Autorin weit vor.

Whodunit, „police procedural“, Aufklärungsbuch. Und dennoch erhielt das komplexe, vielschichtige und spannende Buch nicht die Aufmerksamkeit, die ihm zusteht. Sprachlich ist das Buch nicht schlecht, alleine der zumeist depressionsverhangene Ton der Erzählung wirkt manchmal als unpassender Kontrapunkt zu der rasanten Geschichte. Das alleine wird es aber nicht sein. Kann es sein, dass der afroamerikanische Hintergrund es vielen (weißen) Lesern doch schwierig macht, das Buch angemessen zu würdigen ? Möglicherweise. Verdient aber genauso die Aufmerksamkeit wie Bücher aus China, Kuba oder Angola. Meiner Meinung nach beginnt die Autorin sich als eigenständige Stimme afroamerikanischer Krimikultur auf hohen Niveau zu etablieren. Also freuen wir uns, dass auch dieses Buch übersetzt vorliegt.

Paula L. Woods: Stormy Weather. 
Ballantine Books One World 2003. 304 Seiten. 6,49 €
(deutsch als "Engel der Gnade". Droemer Knauer 2005. 458 Seiten. 8,90 €)

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