Nun ist Maisie Dobbs auch in Deutschland angekommen. Zuerst erschien im Juni 2006 die Übersetzung des dritten Bandes der Serie bei Wunderlich. Im März 2007 wird der bei seinem Erscheinen 2003 in den USA für Furore sorgende erste Band unter dem Titel „Maisie Dobbs – Das Haus der letzen Ruhe“ folgen. Diesem wollen wir uns hier zuwenden.
Ausführlicher als andere Erstlinge erfüllt das im Original schlicht als „Maisie Dobbs“ erschiene Buch von Jacqueline Winspear die Aufgabe, Serie und Titelfigur das Fleisch zu geben, von dem diese im weiteren Verlauf zehren. Deshalb und weil es den Spagat zwischen romantischem Seelentröster und knallharten Realismus versucht, wirkt es ein wenig zerrissen.
Ein Großteil des Buches wird gefüllt von der – je nach Gusto des Lesers – rührenden bis rührseligen Jugendzeit Maisie Dobbs in der „Edwardian Periode“ [Zeit des scheinbaren sozialen Friedens, zu Beginn des 20. Jahrhundert, nach dem Tod Viktorias bis spätestens 1918]. Maisie kommt mit 12 Jahren als einfache Hilfskraft in den Haushalt einer reichen Familie und bringt es aufgrund ihres Leseeifers und ihrer überragenden Intelligenz bis zum Girton College in Cambridge. All die Zeit und darüber hinaus wird sie von ihrem Mentor, einem Freund der Familie geführt. Mit seiner Hilfe schafft sie es letztlich dann auch als erwachsene Frau eine Detektei der etwas anderen Art („M. Dobbs, Trade and Personal Investigations“) zu gründen. Die parapsychologische, „holistische“ Ausrichtung der Detektei wird in späteren Büchern noch eine größere Rolle zu spielen; im ersten Band begnügt sie sich damit, von ihrem Kunden eine verständnisvolle, sensitive Reaktion auf ihre Funde einzufordern.
Flankiert wird die Jugendgeschichte von zwei lose zusammenhängenden Kriminalgeschichten, die schildern wie Maisie Dobbs ihre Detektei gründet, ihren ersten Kunden bekommt und dessen Fall löst. Es ergibt sich, dass Maisie bei ihren Nachforschungen auf eine Einrichtung für Kriegsversehrte des ersten Weltkriegs stößt, wohin sich auch der Sohn ihrer reichen Gönnerin zurückziehen möchte und so kommt es, dass Maisie sich diese Einrichtung genauer ansieht.
Das alles ist gut erzählt und nett zu lesen. Nicht ohne Reiz ist sicherlich die Darstellung der Situation einer Frau, zu einer Zeit als Frauen gerade zu ihrem Wahlrecht kamen. Das ist alles jedoch weder besonders originell noch richtig spannend, und schon bald ist klar, wo des „Rätsels“ Lösung liegt.
Die Qualität dieses Buches resultiert aus etwas anderem: Der ernsthaften Beschäftigung mit den Grauen des Krieges, den sie den Großen nennen und die heute relativ vergessen scheinen. Schon das Vorwort weist den Weg; ein Auszug aus Wilfreds Owen „Disabled“ (1), welches in seiner Stimmung viel von dem vorgibt, was „Maisie Dobbs“ aufnimmt. Maisie selber hat, so schildert das Buch, im ersten Weltkrieg als Schwester in einem Lazarett nahe der Front gearbeitet, dort ihre große Liebe gefunden und auch wieder verloren. Hier findet der Leser das, was auch die Lyrik Owens ausmacht: Die mitleidslose Demonstration des Grauens und die kompromisslose Darstellung des Lebens (bei Masisie Dobbs: von Rot-Kreuz Helferinnen) an der Front.
Im Gegensatz zu den Gedichten Owens, den der erste Weltkrieg um 7 Tage überlebte, gibt es hier auch eine Zeit danach und eine Vielzahl von Personen, die ihre inneren und äußeren Verwundungen überlebt, aber nicht überwunden haben. „Maisie Dobbs“ zeigt auch wie die Gesellschaft mit diesem Menschen umging und lässt darüber hinaus erahnen, welche Umwälzungen dieser Krieg auch für die britische Gesellschaft mit sich brachte.
(1) Wilfred Owen (1893 – 1918). Gilt als einer der wichtigsten der Dichter des ersten Weltkriegs. Seine Gedichte brechen mit dem Hurrapatriotismus der Zeit und versuchen vom Schrecken des Schützengrabens zu berichten. Er hat auch in Deutschland einen gewissen Bekanntheitsgrad, weil Teile seiner Gedichte in B. Brittens „War Requiem“ verwendet wurden. Dem interessierten Leser kann ich die zweisprachige Anthologie „Gedichte“ aus dem Mattes Verlag, Heidelberg, 1993 (ISDN 3-9802440-2-4), 16 €, sehr empfehlen. Sie enthält nicht nur Gedichte aus der für den Dichter wichtigen Periode nach 1917, sondern auch ältere. Die Gedichte scheinen mir von Joachim Utz sehr gelungen übersetzt und mit den nötigen Hintergrundsinformationen versehen worden zu sein.
Jacqueline Winspear: Maisie Dobbs.
John Murray 2005. 311 Seiten. 11,30 €
(Deutsch: "Maisie Dobbs - Das Haus der letzen Ruhe". Wunderlich 2007. 416 Seiten.
Übersetzt von Sonja Schuhmacher. 17,90 € )