Pentti Kirstilä: Klirrender Frost

So allmählich geht es einem mit Pentti Kirstilä wie mit Reginald Hill. Man liest ihre Bücher und ist sauer, sie wieder nicht bei einer Schwäche erwischt zu haben. Dabei segeln sie ja manchmal durchaus in vorgeblichen Untiefen, aber anstatt ihre Schifflein auf Grund laufen zu lassen, manövrieren sie sie auch noch aus der größten Banalität, dem vorhersehbarsten Plot. Sehr souverän und überlegt, was die Sache noch ärgerlicher macht.

Sakari Kaarto will verrückt werden. Der vermögende Druckereibesitzer fühlt sich betrogen, er muss sich rächen, was für den Normalmenschen riskant ist, für den Verrückten aber nicht. Also beginnt Kaarto zu trinken. Er trifft merkwürdige Entscheidungen, inszeniert einen stümperhaften Einbruch in sein Büro. Seine Umwelt und auch die Polizei registrieren den allmählichen geistigen Zerfall und die schließliche Unzurechnungsfähigkeit Kaartos. Und dann rächt er sich. Ein Mord, ein Prozess, ein paar Monate in der Klapsmühle, dann wieder frei, alles so wie früher. Und jetzt beginnt die Geschichte.

Das ist alles furchtbar simpel, vorhersehbar, und auch wenn Kommissar Hanhivaara inzwischen mit dem Rauchen aufgehört hat, also geistig und körperlich ein wenig indisponiert scheint und sich dann auch noch verliebt – den Kaarto durchschaut er rasch. Kann ihm aber nichts nachweisen. Und dann geschieht ein zweiter Mord, den Hanhivaara und seine Kollegen natürlich mit Glanz und Gloria aufklären und nebenbei noch beweisen können, dass Kaarto sein Verrücktsein nur gespielt hat. Klingt irgendwie langweilig, nicht?

Aber selbst wenn es so wäre: Das Beste, was man über einen Roman sagen kann, muss über „Klirrender Frost“ gesagt werden. Dass hier nämlich kein Wort zu viel und kein Wort zu wenig drinsteht. Hanhivaara, der „melancholische Zyniker“ ist wieder in Hochform, seine Kollegen, allesamt prägnant gezeichnet, desgleichen. Gelacht werden darf natürlich auch, es ist kein Gekicher über Witzchen, es ist eher Anerkennung für die Absurditäten, die sich zwangsläufig aus der Geschichte ergeben. Also selbst wenn „Klirrender Frost“ so langweilig wäre, wie wir es über lange Strecken befürchten, könnte man den Roman doch jedem Freund gelungener Kriminalliteratur ans Herz legen. Und sowieso all jenen, die wie ich Figuren mögen, die Hannu Pulli heißen.

Aber diese Freunde ahnen es ja: „Klirrender Frost“ ist alles andere als langweilig. Wenn einer seine Leserschaft düpieren kann, dann Kirstilä. Und eigentlich macht er das schon gleich am Anfang, auf der ersten Seite. Dort erfahren wir etwas, das uns später wieder einfällt und völlig verwirrt. Wir wissen mehr als die Ermittler, und am Ende des Romans – der Gerechtigkeit ist Genüge getan – , wissen wir zunächst, dass sich die Ermittler geirrt haben. Hanhivaara ahnt das auch, aber selbst wenn er sich nicht geirrt hätte, hätte er sich dennoch geirrt… das wissen aber jetzt nur wir, weil wir die erste Seite noch mal lesen und feststellen, dass diese herkömmliche Kriminalgeschichte in Wirklichkeit eine ganz schlimme menschliche Tragödie ist – und dass Kaarto, der durch Verrücktwerden jedes Risiko einer Bestrafung ausschalten wollte, auch ohne eigenes Zutun ziemlich verrückt gewesen sein muss.

Das klingt jetzt verwirrend. Soll es auch. Genau das ist die Strategie Kirstiläs, der ein gewiefter Hund ist, der sich entschlossen hat, als Langweiler aufzutreten. Um dann sehr nachdrücklich das Gegenteil zu belegen.

Und zum Abschluss das inzwischen übliche Credo des Rezensenten: Die beste nordische Kriminalliteratur kommt aus Finnland. Dort ist es furchtbar kalt, so kalt, dass selbst dieser Roman aus dem Jahr 1981 die Zeit wohlkonserviert und unbeschadet überstanden hat. Der Grafit Verlag hat ihn für uns aufgetaut und hoffentlich noch mehr davon im Gefrierfach.

Pentti Kirstilä: Klirrender Frost. 
Grafit 2007 (Original: „Jäähyväiset lasihevosele“, 1981, deutsch von Gabriele Schrey-Vasara).
252 Seiten. 17,90 €

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert