Maitre Christophe Leibowitz-Berthier sitzt in der Klemme und freut sich drüber. Er hat einem Mörder zur Flucht aus dem Gefängnis verholfen, das ihn nun bis auf weiteres selbst beherbergt, während auf einem Schweizer Nummernkonto 2 Millionen Euro auf den abwegigen Advokaten warten. Das Honorar für die Fluchthilfe sei ihm gegönnt, denn unser Maitre hat als Pflichtverteidiger osteuropäischer Luden und nordafrikanischer Kleindealer bisher nur die Brosamen vom üppig gedeckten Tisch des Justizsapparates abgreifen können. Aber natürlich gibt es eine kleine Komplikation. Der Auftraggeber will den Maitre aus Rachegründen um die Ecke bringen. Gottseidank gelingt das nicht, denn Leibowitz-Berthier ist ein rechter Schelm.
Schelm: das ist unser Stichwort. Kurzrezension gefällig? Hannelore Cayres „Lumpenadvokat“, das erste von vier geplanten Abenteuern mit Leibowitz-Berthier, ist ein „Schelmenroman“ voller derbhumoriger Überdrehtheit, dramaturgisch geschickt inszeniert und rasant auf nicht einmal 150 Seiten über die Bühne gebracht.
Aber es ist eine Tragödie mit diesen Schelmenromanen. Irgendwer (besagter „Schelm“) laviert sich mit allen Tricks und Kniffen durchs Leben, erst tumb, dann clever, bis er schließlich erkennen muss, wie sehr sie einem doch grausen muss, die Welt. Das ist das „Simplizissimus“-Muster, doch wie viele andere Muster auch taugt es zu allerlei Etikettenschwindel, zuvörderst den des Klamauks, der sich zur intellektuellen Legitimierung noch das Sublabel „Gesellschaftssatire“ auf den Korpus pappt.
Oberflächlich betrachtet, besitzt „Der Lumpenadvokat“ sämtliche Ingredienzien eines wässrigen Schelmenromans. Leibowitz-Berthier bewegt sich durch eine Karikatur von Rechtswesen, das mit „Recht“ nur noch etymologisch weitläufig verwandt sein kann. Es degeneriert zu nennen, wäre beinahe zu nachsichtig. Maitre Christophe hat von Anfang an keine Chance, in eines der „Netzwerke“ zu gelangen, die für Karrieren in diesem Rechtssystem unabdingbar sind. Er ist kleinbürgerlicher Herkunft, Jude obendrein, ein von Natur aus Geächteter, der sich auf der untersten Ebene des Verbrechens zu bewegen hat und die höheren nur als Domestik und willfähriger Narr der Bosse kennen lernt.
Aber genau dieser Narr ist Leibowitz-Berthier keineswegs. Er weiß, in welcher Welt er zu Hause ist und auch, dass nur der seine Haut rettet, der sich der Mittel seiner Gegner bedient. Das ist manchmal durchaus lustig, klamaukig gar, steht aber immer im Kontext einer geradezu sklavischen Abhängigkeit von den „Verhältnissen“. Erlaubt sich Leibowitz-Berthier so etwas wie Ehrlichkeit, hat er sofort verloren. Entwicklung (Unschuld – sich durchschlagen – Einsicht und Abkehr), wie sie der „Schelmenroman“ vorsieht, ist also nicht möglich. Dadurch entsteht eine abstrakte, via Übertreibung gebildete Kategorie, von der sich jeder Leser sehr leicht seine Wirklichkeit ableiten kann. Und spätestens dann erkennt man im Schelmen den armen Tropf und in seiner Lustigkeit den traurigen Kern.
Aber selbstverständlich lässt sich „Der Lumpenadvokat“ auch als kurzweiliger, spannender Krimi lesen. Was vor allem am kompositorischen Geschick der Autorin liegt, die den Plot teilt (Hergang der Gefangenenbefreiung – Leibowitz-Berthiers Kampf gegen die Bedrohung) und parallel zu einander entwickelt. So oder so oder so wie so: ein lesenswertes Buch.
Hannelore Cayre: Der Lumpenadvokat.
Unionsverlag (metro) 2007
(Original: „Commis d’office“, deutsch von Stefan Linster).
160 Seiten. 12,90 €