Bruce Springsteen: Magic

Die Zeiten ändern sich. Vor einem Monat habe ich etwas gemacht, das ich mir noch vor zwei Jahren nicht hätte vorstellen können: ein Hörbuch angehört (auf Deutsch!) – „31 Songs“ von Nick Hornby. Na ja, um ehrlich zu sein, bin ich beim Buchhören genau so faul wie beim Buchlesen. Aber ich habe es versucht und zwei Kapitel ganz gehört, immerhin. Erst das Kapitel über J. Geils´ Live-Version von „First I Look at the Purse“ (ich glaube, dass der Text falsch zitiert wird, das ist jedoch eine andere Geschichte) und dann das über Bruce Springsteens „Thunder Road“. Ich will Hornby hier nicht zitieren (ich würde wahrscheinlich eh falsch machen) aber er bringt es auf den Punkt, warum man sich – ob Amerikaner wie ich oder nicht – mit Springsteen identifizieren kann.

Noch besser, Hornby rechnet kurzerhand ab mit denjenigen, die Springsteen einen Hurrapatriot nennen, ohne einmal richtig auf den Text von „Born in the U.S.A.“ gehört zu haben. Wenn man das nämlich macht, merkt man, dass die Zeiten sich überhaupt nicht ändern. Springsteen hat wie kein anderer Lieder über das Grauen des Vietnamkriegs und seine Folgen geschrieben und jetzt tut er das Gleiche über das neue amerikanische Vietnam. Mit den Jahren ist er subtiler geworden, er muss nicht den Präsidenten oder den Irak mit Namen nennen. Innerhalb von Minuten gelingt es Springsteen auf „Magic“ eine Atmosphäre zu schaffen, in der es ganz klar nicht nur um Cars und Girls geht, sondern um das Zwielicht Amerikas.

„Radio Nowhere“ heißt das erste Lied, es ist auch die Single und beim ersten Zuhören dachte ich: eine einfache Kritik an der Gleichförmigkeit des heutigen Radios, weniger effektiv als „Radio, Radio“ von Elvis C. oder „Around the Dial“ von the Kinks (muss man hören, ist total unterschätzt!). Bis mir eingefallen ist, dass Springsteen vielleicht „Is there anybody alive in there?“ meint, wenn er „Is there anybody alive out there?“ singt. Früher musste der DJ sich fragen, ob irgendjemand da draußen ihm zuhört; jetzt muss der Zuhörer sich fragen, ob jemand überhaupt bei dem Radiosender arbeitet. Gemeint ist das „Auto-Pilot“-Verfahren von U.S.-Firmen wie Clear Channel Communications, die angeblich Radiosender per Satellitensignal betreiben, ohne jemanden vor Ort zu haben (2002 konnten die Behörden in Minot, North Dakota niemanden in den lokalen kommerziellen Radiosendern erreichen, um vor einen aus einem Zugunfall resultierenden Chemiewolke zu warnen – was Clear Channel natürlich bestreitet – siehe →;hier, →hier und →hier)

Zugegeben interpretiere ich zu viel in die Texte hinein. Als ich „Your Own Worst Enemy“ zum ersten Mal hörte, ohne den Text zu lesen, kam es mir wie ein Abschiedslied für Bush vor: Du bist Dein schlimmster Feind, Du hast dich letztendlich selbst so verarscht, das selbst Karl Rove Dich nicht mehr retten kann. Aber mit dem Lyrikblatt in Hand sehe ich, dass das Lied sich um alles handeln könnte: einen untreuen Ehemann, einen unehrlichen Geschäftsmann, oder eben auch um George W.

Unter dem Strich ist es egal, weil „Magic“ – wie jedes großartige Rockalbum – einfach als Musik funktioniert. In den 23 Jahren seit „Born in the U.S.A.“ hat Springsteen öfter ohne die E Street Band aufgenommen als mit, und einige der „ohne“-Platten wirkten wie seine Versuche, sich von dem Hurrapatrioten-Publikum möglichst weit zu distanzieren. Mit dem fast-solo-Album „The Ghost of Tom Joad“ (1995) hat er sogar ein noch trostloseres Bild von Amerika gemalt als auf dem ganz-solo Album „Nebraska“ (1982). Was „Magic“ so beeindruckend macht ist wie Springsteen diese Reihe fortsetzt – allerdings mit seiner alten Band und in voller Lautstärke. Die Stimmung ist so düster wie auf „Joad“ und die Texte teilweise so ominös wie auf „Nebraska“, aber die Lieder sind so eingängig wie auf „The River“. Dieses scheinbare Paradox hat Springsteen schon mindestens einmal geschafft, mit „Darkness on the Edge of Town.“ Viele Lieder auf „Magic“ würden mühelos zwischen die von „Darkness“ passen (und auf der aktuellen E Street Band Tournee werden sie genau dies tun), was kein kleines Lob ist.

Bruce Springsteen: Magic
Sony BMG
VÖ: 28.9.2007