„The Janissary Tree“ ist der diesjährige Edgar-Gewinner und damit der jüngste Vertreter einer herausragenden Reihe von Büchern. Das Buch ist einer der Edgar-Gewinner, die bei den großen US-amerikanischen Krimipreisen sonst nicht weiter in Erscheinung traten. Die Frage ist, ob das was bedeuten mag. Wir werden sehen.
Die Geschichte, die das Buch erzählt, spielt im Jahre 1836 in Istanbul. Das osmanische Reich nimmt nicht recht Anteil an der europäischen Moderne und fällt gegenüber den anderen Mächten zurück. Das gilt natürlich auch für das Militär und seine Erfolge. Die Janitscharen, die einst schlagkräftige Elitetruppe des Sultans, war in die Jahre gekommen und hatte sich als degenerierter Staat im Staat etabliert, der die Herrschenden fest im Griff hatte. So kam es, dass der gegenwärtige Sultan sie vor zehn Jahren blutig beseitigte.
An ihrer Stelle ist nun die Neue Garde getreten, die durch europäische Ausbilder auf einen modernen militärischen Standard gehoben werden soll – wenn auch, wie ja jeder weiß, das osmanische Reich nicht mehr zu retten war und letztendlich in der Folge des 1. Weltkrieg unterging.
Vier junge Offiziere der Neue Garde sind verschwunden und einer nach dem anderen tauchen ihre Leichnamen schrecklich verstümmelt wieder auf. In wenigen Tagen steht die große Inspektion der Neue Garde durch den Sultan an, da kann der kommandierende General sich keine Unruhe erlauben. Er beauftragt Yashim der Sache auf den Grund zu gehen und die Drahtzieher zu identifizieren. Mit Yashim hat es nun eine besondere Bewandtnis, denn er ist Eunuch, hat das Vertrauen des Sultans und dessen Mutter, und so kommt es, dass er zeitgleich in den Palast gerufen wird, weil eine junge Kurtisane aus dem Harem ermordet worden ist und der Mutter des Sultans Schmuck abhanden gekommen.
Viel zu tun also für Yashim. So macht er sich denn auf, durchstreift pittoreske Szenerien der Stadt, sucht Spuren der Janitscharen und stöbert im Harem nach dem Mörder und den Diamanten.
Das alles ist schön erzählt, mit einem Auge für die Stadt, damals die größte der Welt, und einem Gespür für Dramatik. Viele der nötigen historischen Informationen werden scheinbar wie nebenbei gegeben. Yashim gerät in Gefahr, muss Zeichen deuten und aufspüren und sich Informationen ertrotzen, ganz wie in einem zeitgenössischen Krimi. Und doch, wenn auch auf hohem Niveau, das Buch enttäuscht. Denn es ist, wie es in einem Blurb auf dem Umschlag heißt „The perfect escapist mystery“. Dazu trägt auch der Erzählstil bei, der immer entspannt, sich mehr für den Clubsessel als für den Dreck der Straße eignet: Möglicherweise der perfekte Loungekrimi, aber kaum der beste der im Jahre 2006 publizierten Krimis in den USA.
Jason Goodwin: The Janissary Tree.
Faber and Faber 2007. 352 Seiten. 10,00 €
(Deutsch: Die Weisheit des Eunuchen. Piper 2006. 361 Seiten. 14 €)