Diese Besprechung von Peter Temples „The Broken Shore“ hat eine Vorgeschichte. Dieser liegt der Versuch zugrunde, unterschiedliche Bewertungen des Buches zu verstehen. Dabei hatte ich einige Rezensionen anderer, erfahrener Leser gelesen. Mein Kopf ist also voll mit deren Gedanken. Schwierig ist es deshalb erst einmal, die eigenen Gedanken zu finden.
Den meisten Lesern geht es in einem Krimi um Spannung, erzählte Geschichte oder glaubwürdige Figuren. Sicher: ohne Sprache geht es nicht; aber Sprache, die mit dem Finger auf sich selber weist und sagt „ich bin schön“, diese Sprache ist es nicht, die in Krimis vorherrscht, oder, so scheint es mir als Leser insbesondere US-amerikanischer Krimis, von Autoren angestrebt wird – das vergisst so mancher, der mit seinem literarischem Anspruch am Genre vorbei liest.
Und hier überrascht das Buch. Die Sprache ist das erste, was an „The Broken Shore“ auffällt. Man meint förmlich Peter Temple vor sich zu sehen, wie er mit Bleistift und Radiergummi dasitzt und an seinen Sätzen feilt, bis auch der letzte Rest Fett abgetragen ist. Dabei kommt eine Sprache heraus, die einen anfänglich, bis man sich eingelesen hat, stocken und nach Subjekt oder Pronomen suchen lässt. Anders als bei George P. Pelecanos, der versucht seine Geschichten auf Überschriftgeschwindigkeit zu beschleunigen, führt Temples Stil zu einer großen Nähe und Intimität. Selten wirken Szenen so plastisch wie in „The Broken Shore“.
Die Erzählung passt zu dem Stil. Der Leser ist sehr dicht dran an Joe Cashin und folgt dessen Gedankenstrom. Da kann es auch einmal passieren, dass am Ort der Ermittlung ein Gegenstand eine Assoziation ausgelöst, die Cashin zurück in seine frühere Lebensgeschichte fortträgt.
Erst vor kurzem ist er zurückgekehrt nach Port Monro, wo er die kleine Polizeistation leitet. Körper und Geist tragen Wunden aus seiner Zeit in Melbourne und beim Morddezernat – warum genau, erfährt der Leser erst später.
Auch die gegenwärtige Geschichte mehrt das Unglück Cashins. Einer der reichen Männer der Gemeinde wird schwer verletzt aufgefunden, für die Polizei ist schnell klar, wer die Schuldigen sind: Abos, Blacks, Nigger … Aborigines eben. Die in ihrer Gesamtheit von der Mehrheit der lokalen weißen Bevölkerung mit einer derart offenen Abscheu angesehen werden, dass vergleichbare Darstellungen in Büchern anderenorts wegen Unglaubwürdigkeit vom Editor ‚rausgestrichen worden wären.
Es kommt wie es kommen muss, einiges geht schief und die Sache nagt nicht nur an Cashins Seele, sondern wird auch zum Politikum. Er ermittelt gegen den Wunsch des weißen Establishments weiter und „The Broken Shore“ entwickelt sich zu einem ordentlichen „police procedural“, in dem tatsächlich so etwas wie Polizeiarbeit beschrieben wird und das in einem fulminanten, literarisch überhöhten Finale endet.
Wieder einmal haben wir einen Helden, der meint, Schuld gleich mehrfach auf sich zu laden (und erinnert an diesem Punkt an der Darstellung Jack Taylors durch Ken Bruen). Wer so wie Cashin denkt, tritt auf der Stelle und so tut es anfänglich auch die Krimihandlung. Cashin und sein Seelenleben sind Hauptthema des Buches, wer dagegen anlesen will und den Actionthriller sucht, geht als Leser an diesem Buch zugrunde.
Das allerdings wäre bedauerlich, denn „The Broken Shore“ ist ein ganz eminentes Buch, in dem nicht geschwätzt, sondern mit wenigen Worten Hintergrund, Raum für die Personen geschaffen wird. Das Buch nimmt einen gefangen, mit seiner kondensierten Darstellung und den reduzierten Dialogen: Hier schreibt jemand an gegen den modernen Weltstil. Der Aufbau ist durchdacht und das Buch wartet mit einer ordentlichen Portion subtilen Humors auf.
Cashin looked across the street. Cecily Addison was lecturing Leon, a hand raised. Leon caught Cashin’s eye, nodding in a knowing way. The vinegary couple from the newsagency were in their shop doorway, mouths curving southwards. Triple-bypassed Bruce of the video shop was beside saturated-fat dealer Meryl, the fish and chip shop owner. At the kerpside bicycle rack, shivering in yellow teeshirts, three young women, the winter staff of Sandra’s Cafe, had an argument going. The spiky-haired one with the nose rings was taking on the others.
PS. Ich bin mir bewusst, dass nicht jedem Muttersprachler der Stil Temples gefällt, aber es ist wichtig zu sehen, dass dieses eine „ideologische“ Frage ist und nicht ein Zweifel an der Fähigkeit Temples, grammatikalisch korrekte Sätze zu formulieren.
Peter Temple: The Broken Shore. Quercus 2007. 352 Seiten. 10,95 € (deutsch: “Kalter August“. C. Bertelsmann 2007. 442 Seiten. 19,95 € ) (Die Rezension der deutschen Ausgabe finden Sie →hier.)
„auf Überschriftgeschwindigkeit zu beschleunigen“: das ist mal schön gesagt
Dass ich eine ganz andere Meinung über diesen Krimi habe, habe ich ja auch schon kundgetan.
Nun, Hinternet feiert heute den Tag der Meinungsfreiheit, lieber Georg. Einmal im Jahr dürfen wir Redakteure eine Meinung haben, die von der unseres Chefredakteurs abweicht. Aber nur zu höchstens 20%! Sonst gibts ne Abmahnung („defätistisches Abweichlertum“, „krimikritischer Trotzkismus“ etc.).
bye
dpr
Dann würde ich aber an deiner Stelle mal flugs was Kritisches schreiben. Nicht dass die Zeit dann um ist.
Trau mich nicht…mein Vertrag bei Hinternet läuft am Jahresende aus…weiß nicht, ob die mich noch wollen…möchte eigenständigen Tarifvertrag…300 % mehr Gehalt…sonst Streik…muss aufpassen…mich wohlverhalten…
bye
dpr
Da hat, lieber Georg, heute schon jemand bei mir nach Deiner Meinung gesucht.
*schließt sich dpr`s gehaltsforderungen an
**300 prozent mehr!
***faust nach oben gestreckt
Ich auch, 300 % ist doch angemessen. Sonst, Achtung! streike ich nicht, sondern schreibe hier noch mehr. Vor allem Apostrophales und Denglisch-Kritisches. Wer will das schon?
erst hab ich denglisch-klischees gelesen …
*lacht
von wegen
* droht von weitem