Wider die Logik. Notiz zu einer aktuellen Tendenz in der Kriminalliteratur

Kriminalromane sind Zeitreisen. Aus den Epochen der Finsternis, in denen allein die Fackel der Religion den rechten Weg durch den Dickicht des Unerklärbaren zu weisen pflegte, hinein in die Ära der vollständigen Erleuchtung, der rationalen Entlarvung jeglichen Phänomens. Die Menschheitsgeschichte ist ein Krimi. Ein guter Krimi? Dagegen regt sich Widerstand.

Nehmen wir die locked-room-Mysteries. In einem von innen verschlossenen Raum ist ein Verbrechen geschehen. Doch kein Wesen aus dem Diesseits kann es begangen haben. Also muss man von einem übernatürlichen Ereignis ausgehen, von einem Werk wahlweise Gottes oder des Teufels.

Aber so ist es natürlich nicht. Das wäre finsterstes Mittelalter. Die Aufklärung des Verbrechens gleicht einem Ritt durch die Historie der Welt-Anschauung, Schritt für Schritt nähern wir uns dem Zeitalter der Ratio, der Aufklärung, der wissenschaftlichen Nüchternheit, die uns gelehrt hat, ein wändedurchdringendes Wesen existiere nicht. Der Fall gilt dann als gelöst, wenn sich die Beweiskette ohne logische Verrenkungen um den Hals des Schuldigen gelegt (selbstverständlich ein Mensch aus Fleisch und Blut), wir also beruhigt im 21. Jahrhundert angekommen sind.

Poes „Die Morde in der Rue Morgue“ dient immer noch als Blaupause für dieses erste und wichtigste Axiom der modernen Kriminalliteratur. Ein Fast-locked-room-mystery, dessen übernatürliches Anfangspotential der Verstandeskraft des Detektivs nicht standhält.

Vielleicht ist es Zufall, dass mir in den letzten Wochen einige Werke der Kriminalliteratur untergekommen sind, die diesen Mechanismus des allmählichen Werdens aus dem scheinbar Übernatürlichen hin zum logisch nachvollziehbaren Realen außer Kraft setzen. (Noch) kein Trend, aber man wird die Tendenz im Auge behalten müssen.

In Linus Reichlins →„Die Sehnsucht der Atome“ lässt uns der Autor mit der Möglichkeit eines „Wunders“ zurück, eines Wunders, das wissenschaftlich verbrämt als „Unwahrscheinlichkeit laut Wahrscheinlichkeitstheorie“ daherkommt. In Mikael Niemis →„Der Mann, der starb wie ein Lachs“ verwandeln sich Menschen in allegorische Figuren, werden Wirklichkeit und Logik historisch und poetisch-mythologisch transzendiert. Matt Ruffs „Bad Monkeys“ (Besprechung folgt) bietet uns wohl eine logische Erklärung der irrwitzigen Ereignisse – nimmt sie aber sofort wieder zurück.

In allen drei Fällen bemühen sich Polizisten / Psychiater um die genregängige Aufklärung, geraten jedoch unweigerlich in den Bann des Dialektischen. Reichlin spielt die wissenschaftliche Logik gegen die Wissenschaft selbst aus. Niemi negiert die Deduktion und bevorzugt stattdessen die Induktion, also das Schließen vom Besonderen auf das Allgemeine. Und Ruff düpiert die Psycho-Logik mit der Psychologie. Ihnen gemein ist nicht der Schritt zurück zur Etablierung übernatürlicher und damit im heutigen Verständnis unrealistischer Erklärmodelle. Ganz im Gegenteil. Sie nutzen das in vielem limitierte Genre der Kriminalliteratur, genau diese Begrenzungen von Welt-Anschauung und –Erklärung aufzuheben.

Das ist nicht neu. Charyn tut es, die Vargas tut es. Schon Hammett und die Seinen taten es auf ihre Weise. Wer über Wirklichkeit in der Kriminalliteratur räsonniert, sollte vorsichtig sein. Dort, wo sie einem entgegenkommt, findet sie sich nicht immer. Dort, wo sie scheinbar mit Füßen getreten wird, erblüht sie manchmal zu bizarren Formen.

14 Gedanken zu „Wider die Logik. Notiz zu einer aktuellen Tendenz in der Kriminalliteratur“

  1. Mit der Wirklichkeit ist das ja so eine Sache, weil man ja auch im „richtigen Leben“ nicht immer so genau erkennt, was wirklich ist und was nicht.

    Insofern sind Krimis, die sich dieser Ungewissheit stellen, imho viel wirklicher als solche, die ganz genau wissen wo die Wirklichkeit anfängt und wo sie aufhört.

    Nur frage ich mich: Wo ist die Grenze? Ist ein Thriller, der sich am Ende nur als psychotischer Schub herausstellt, noch ein Thriller oder eben nur ein psychotischer Schub? Wer das Buch kennt, wird wissen, wovon ich spreche. Nennen will ich es nicht, da müsste man sonst einen Riesenspoiler einfügen, weil man es eigentlich kaum mehr mit Genuss lesen kann, wenn man das vorher schon weiß. Aber es geht mir hier ums Prinzipielle: Es wäre daselbe, wenn ich am Ende draufkäme, das war alles nur geträumt oder ein Film oder Außerirdische hätten dem Erzähler einen Chip in den Kopf gepflanzt, sodass er die ganze bizarre Geschichte durch Fernsteuerung vom Planeten QuarX erzählt. Ich als Leserin fühle mich dann um den Thriller betrogen. Weil der „Thrill“ sich eben auf etwas bezieht, das sein könnte, sei es auch noch so bizarr. Wüsste ich von Anfang an, dass die Geschichte eine Halluzination ist, berührte es mich nicht in derselben Weise, würde es doch zu einem banalen Behandlungsfall. Wahrscheinlich würde ich es gar nicht lesen. Da kommt es mir vor, als lache der Autor hämisch hinter einem Baum hervor und sagt: „Selber Schuld, wennst diese kuriose Geschichte glaubst, gar nix ist gwesen.“ Das will ich nicht erleben.

  2. Das wirst du, liebe Frau Krimi, bei diesen drei Büchern garantiert nicht erleben. Es geht nicht um „psychotische Schübe“ oder Außerirdisch-Übersinnliches. „Bad Monkeys“, in dem der Psychiater (des „Beklopptentracks“ im Gefängnis) vorkommt, zeichnet tatsächlich eine reichlich in Richtung Sci-Fi abgewanderte Seelenlandschaft nach, aber die ist verdammt realistisch. Alle drei Romane sind Stücke gegen das logische Diktat in Kriminalromanen: Es muss lückenlos aufgeklärt werden, jede Kleinigkeit muss begründet und „wirklich“ sein… Bei Niemi z.B. stehen „wirkliche Wirklichkeit“ und „überhöhte Wirklichkeit“ gleichberechtigt nebeneinander. Und das funktioniert prima.

    bye
    dpr

  3. Es muss lückenlos aufgeklärt werden, jede Kleinigkeit muss begründet und „wirklich“ sein…

    Das sind aber doch zwei verschiedene Sachverhalte.

    Der Umstand der lückenlosen Aufklärung erweckt den Eindruck einer überschaubaren Welt und nervt mich zuweilen. Tana French musste da einige Kritik einstecken, weil sie zwar das eigentliche Haupträtsel aufklärte, manch andere Umstände aber nicht auflöste. Mir hatte es gefallen, schließlich ist das viel wirklichkeitsnäher.

    Aber Übernatürliches ?

    Was ja gelegentlich vorkommt, so ein „deus ex machina“ der etwas in der Handlung voranbringt, ohne dass wir als Leser die Ursache kennen, damit kann ich gut leben.

  4. Nein, lieber Bernd, der Gegensatz von „wirklich“ ist nicht „übernatürlich“. In Niemis Roman etwa wird eine Idee personifiziert, eine allegorische Figur mischt sich unter all die „realen Figuren“. Das ist im allgemeinen Verständnis „nicht wirklich“, schon gar nicht in einem Krimi, der ansonsten „auf dem Boden der Tatsachen“ bleibt. Dennoch drückt diese Allegorie Wirklichkeit aus – sie ist ein Kunstmittel, und es gab einmal eine Zeit, da waren solche allegorischen Darstellungen durchaus anerkannte Verfahren der Wiedergabe von Realität.
    Noch einmal: Keines der drei Bücher arbeitet mit übernatürlichen Tricks. Aber jedes von ihnen löst sich von der begrenzenden Logik „wirklichkeitskonformen Erzählens“ – und relativiert es somit.

    bye
    dpr

  5. Hallo,

    dann werde ich mir „bad monkeys“ einmal besorgen.

    Ich sehe schon die Raumschiffe landen. Ich hoffe, dass es jetzt nicht ich bin, die da halluziniert.

  6. Nun, es ist nicht so, wie man es erwartet. Dass etwa Person A ständig vom Tod schwadroniert und man irgendwann sagt: Uh, jetzt ist diese Person plötzlich zur allegorischen Figur mutiert. Nein, diese Figur taucht implizit und exklusiv als allegorische Figur auf, sie nimmt „Roman-Menschengestalt“ an und bewegt sich durch die Text-Welt.

    bye
    dpr

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