Deutschland – Polen. Die Krimirezension

Ein ganz normaler Tag in Klagenfurt / Österreich. Gleich wird die deutsche Nationalmannschaft aufs Grün schreiten und den Polen das einschenken, was sie ihnen seit ca. 100 Jahren einschenkt: viele, viele Tore. Aber so wie jeder gute Krimi mit einem Mord beginnt, so beginnt das Spiel mit einem verblüffenden Suspense: Die Polen schießen aufs deutsche Tor! – Drüber. Noch einmal gut gegangen. Doch das Böse, das wissen wir, ist DA. Wann wird es zuschlagen?

Es gelingt dem Autor dieses Spiels, unsere Unruhe vorerst zu besänftigen. Riesenchance für Deutschland, Gomez rutscht um Millimeter am Ball vorbei, der wiederum Millimeter am polnischen Tor. Dann, 20. Minute: Klose leicht im Abseits (in dubio pro Deutschland), passt uneigennützig nach links, wo Podolski wartet und einlocht. Ganz normal?
Nein! Denn wisset: Sowohl Klose als auch Podolski sind gebürtige POLEN, also eigentlich die BÖSEN, wenngleich geläuterte. Sie haben Recht und Ordnung wiederhergestellt, doch das BÖSE wird sich doppelt und dreifach rächen wollen. Der Suspense steigt wie die Spannung.

Und wirklich: Die letzten zehn Minuten der ersten Halbzeit, das Netz des Übels zieht sich wie eine Schlinge zusammen, bald, bald, bald wird das Verbrechen geschehen müssen: ein wahrscheinlich aus totalem Abseits erzielter Ausgleich. Wir ahnen auch wo. Am schwächsten Glied der Kette: Lehmann. Halbzeit. Noch mal gutgegangen.

Zweite Halbzeit. Das Böse scheint nun endgültig die Oberhand zu gewinnen, der harmonische Alltag gerät ins Wanken, Inspektor Ballack wird von inneren Dämonen an der effektiven Bekämpfung des Verbrechens behindert, Konstapler Clemens Fritz ist ausgepowert, Kriminalassistent Schweini, einst Star des Dezernats, dann mental versumpft („Ich kann keine Gegentore mehr sehen! Das zieht mich völlig runter!“), erhält seine zweite, seine letzte Chance.

Und nutzt sie. Spitzelt in unmöglicher Situation einem polnischen Verteidiger den Ball ab, reicht rüber zu Klose, der grandios versemmelt (hat das Böse seiner Kindheit doch die Oberhand in ihm gewonnen?), doch der Ball – wir erkennen in ihm das Wahre & und Gute – rollt weiter, wieder ist Podolski zur Stelle und wichst die Kugel aber auch dermaßen ins Netz, dass dem Bösen ein für allemal Hören und Sehen vergeht.

Okay. Ein Verbrechen ist nicht geschehen, Lehmann bleibt unbezwungen, doch wir haben tatsächlich einen Fußballkrimi erlebt, der vom Highsmithschen Suspense (Es KÖNNTE passieren…) zehrte, vom Geldmacherschen Waswärewenn ebenso wie von der Glauserschen Transformation des Alltäglichen zum Wahnsinnigen. Es war eher true crime, Verbrechensprävention, wie wir sie von Pieke Biermann kennen. Ein wenig irritiert die totale Abwesenheit von weiblichen Protagonisten, aber das kann sich im Verlauf des Turniers noch ändern. Assi Schweini ist rehabilitiert und steht für weitere Fortsetzungen zur Verfügung, Inspektor Ballack wird seine Dämonen in den Griff bekommen, wenn es endlich heißt: Haut den Kroaten in die Gräten, schickt die fußkranken österreichischen Sprachschänder auf den Grund der blauen Donau. Wir sind gespannt.

dpr

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