Der Blogger fragt. Wer antwortet?

Wenn einem Kritiker, dem ein Buch gefallen hat, nichts Gescheites einfällt, dann lobt er „das Atmosphärische“, gar „die atmosphärische Dichte“. Aber was ist das? Die landläufige Definition, ein atmosphärischer Text sei einer, in dem ich mich als Leser wohlfühle, an dem ich ganz nahe dran, ja, in dem ich mitten drin bin, ist ein wenig – nun ja: beliebig. Wenn man sich mit dem Thema beschäftigt – und genau das tue ich zur Zeit -, wird die Frage nach der Natur dieses Atmosphärischen zur zentralen. – Aber wie sehen die Leserinnen und Leser dieses Blogs das alles? Was macht für sie die Atmosphäre eines Textes der Kriminalliteratur aus? Und was nicht? Oder halten sie den Begriff für eine reine Worthülse? Um Antworten wird gebeten.

10 Gedanken zu „Der Blogger fragt. Wer antwortet?“

  1. ich hab immer wieder eine debatte darüber, ob es einen ORT braucht in einem krimi. manche glauben, das braucht es nicht. aber man merkt sofort, wenn ein autor sich einen ort nur aussucht, um aus der ferne drüber zu schreiben. besonders bei kurzkrimiwettbewerben, die regional ausgerichtet sind und für die man dann, um trotzdem teilzunehmen, in sein dokument via suchen/ersetzen statt frankfurt „münchen“ und statt „wäldchestag“ „oktoberfest“ eingibt. diese texte überblättere ich schnell, weil ihnen die substanz fehlt. wer nicht in wiesbaden wohnt, hat keine ahnung über die historisch gewachsene konkurrenz zu mainz, zu den bausünden im rheingau, zu der runierten auenlandschaft auf dem rhein, zu dem verdammten gasheizkraftwerk auf der ingelheimer aue. die kann man sich auch nicht anlesen. das ist der urgrund für texte, die konventionell erzählen. bringen aber auch unkonventionelle, peace, ellis. das nennt man verortung – obwohl mir das wort in der zwischenzeit auch schon wieder zum hals raushängt. wenn ich deutschen krimi lese, dann gerne verortung. kann aber nicht jeder. da muss man sich dann die schönfärberei aus touristikbroschüren gefallen lassen, oder sie spielen gleich DIREKT auf dem herkules*.

    *kassel – ausgedacht

  2. Wobei ein Krimi das ja nicht unbedingt braucht, die Verortung. Wenn einer es vage genug lässt und „die Atmosphäre“ trotzdem stimmt…

    Ich definiere also Atmosphäre als stimmungsmäßiges Gesamtbild. Was natürlich nur bei sprachlicher Sauberkeit rüberkommt. Drei Ausrutscher, und die Atmosphäre ist hin. Wie bei Chaplet, die ich ja frustriert abgebrochen habe nach ein paar Seiten. Keine Atmosphäre, weil zu viel ungenaues, unsauberes Geschwafel. Da kann der von dpr gelobte Aufbau sein, wie er will.

  3. Hm, interessant, dass hier zuerst die Landschaft als Atmosphärenstifterin genannt wird. Naheliegend, klar. Und dass Kollege P. vom „stimmungsmäßigen Gesamtbild“ spricht, also Atmosphäre = Stimmung. Mal gespannt, was meiner geliebten Leserschaft noch so alles einfällt.

    bye
    dpr

  4. „Ich habe es mir zur Pflicht gemacht… eine derartig unwiderstehliche Obsession aufzubauen, dass der Leser sich mitreißen lässt – ohne Rücksicht darauf, wohin er getrieben wird.“

    Ellroy ist das – denke ich. Das ist Atmo für mich – absolute Suggestion und Manipulation, die allerdings dann funktionieren muss.
    Keine Orte.
    Da fällt mir übrigens ein – Dexter wollte Train nicht in L.A. spielen lassen. Hätte ich nun gern in der Rezi das Wort ‚urban‘ benutzt, der Text ist aber nicht urban.
    In einem Interview habe ich gefunden, warum er das nicht ist, Dexter kennt L. A. praktisch nicht. Er wollte es wohl nach Florida verlegen, das war aber zeitgeschichtlich nicht möglich – und trotzdem hat Dexter sie – die Atmosphäre.
    wo genau kommt die Idee mit dem Wohlfühlen her ?
    wohlfühlen möchte ich mich da gar nicht.

  5. Auf der Suche nach einem Platz, an dem ich dpr zu seinem ausgezeichneten und die Atmosphäre sehr treffenden Artikel über Sjöwall/Wahlöö geratulieren kann, stieß ich nur auf diesen Ort. Alsdann!

  6. Für Lob ist jeder Ort der richtige Ort, mein Lieber. Und, nein, liebe Ana, das mit der Wohlfühlatmosphäre ist ein Privileg für Luscht-LeserInnen, die das Lektüren am liebsten am offenen Kamin treiben.

    bye
    dpr

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