Pattie Boyd: Wonderful tonight

Nein, die Single, die ihm seine Freundin damals zusammen mit ihrer WG-Genossin in der kleinen Bude vorspielte, mochte er nicht. „We played him „My boy Lollipop“ by the Jamaican artist Millie Small, which we both thought was great. He couldn´t believe we liked such an awful song.“ Der Mann hatte Geschmack. Er hieß George Harrison.

Und sie war die Frau an seiner Seite, seine erste Ehefrau. Viel wusste man nicht über sie. Aber cooler konnte ein Leben doch nicht sein: Sixties-Model im Swinging London, Beatle-Gattin, Clapton-Gattin, Adressatin wundervoller Liebeslieder wie „Something“, „Layla“ und „Wonderful tonight“.

Pattie Boyd schien ein echtes Rolemodel für kleine Hipsterinnen zu sein. Aber wenn man ihre Autobiographie liest, denkt man entsetzt: Finger weg. Ein Leben an der Seite verdrogter Rockstars. Immer nur eine von vielen in der Crowd. Und zu Hause hat man nichts zu melden. Geschweige denn, dass man je ein eigenes Zuhause hat.

Heute ist Boyd Photographin, ihre Bilder sind in Ausstellungen zu sehen. Das dürfte auch mit den Berühmtheiten auf den Bildern zu tun haben: George Harrison, Eric Clapton und Co. In Boyds Rockstargattin-Leben gaben sich die Legenden die Klinke in die Hand: Mick Jagger, Marianne Faithfull, Ron Wood, die Beatles, Frank Sinatra, Mike Rutherford, Ronnie Lane… Und ihr Hobby von damals – das Photographieren – gibt Boyds Leben heute Halt. Denn die Liaisons mit berühmten Männern haben sie aus der Umlaufbahn geschleudert.

Aber von Anfang an: die kleine Pattie wächst zum Teil in Kenia auf, bei ihren damals noch reichen Großeltern. Ein paar glücklichen Jahren folgen harte Zeiten, mit der frustrierten Mutter, dem grausamen Stiefvater und einem Kulturschock nach der Rückkehr ins kalte, strenge England. „All I knew was Africa – I could talk about lions, zebras, and elephants, and snakes coming into my bedroom, which didn´t go down at all well. They would say to each other, „Don´t talk to Pattie Boyd. She´s mad.“ Die Geschwister halten zusammen, doch drumherum bröckelt jede Sicherheit. Scheidungen, Umzüge, Schulwechsel.

Kein Wunder, dass Pattie bei erstbester Gelegenheit nach London flieht, um als Azubi bei Elizabeth Arden zu arbeiten. Sie rutscht ins Model-Business, und als sie ein Schulmädchen in einem Beatles-Film spielen soll, dauert es nicht lange, bis sie die Frau an der Seite eines der Hauptdarsteller ist: „George, with velvet brown eyes and dark chestnut hair, was the best-looking man I´d ever seen.“

Auf Photos von damals kennt man sie als ernst blickende, geheimnisvolle Schönheit, die so gar nicht zum spröden Harrison passt. In Boyds Buch gibt´s den Blick ins „Dahinter“. Auf zunächst sehr glückliche Jahre. Beide sind gerade mal um die 20, sehr schüchtern, und es ist anrührend zu lesen, wie Beatles-Manager Brian Epstein im Grunde ihr erstes Date lenkt. Wenn die Beatles nicht auf Tour sind, lebt Pattie Boyd tatsächlich den Traum von Millionen: sie gehört zum Allerheiligsten, zum Epizentrum der Beatlemania. Sie beschreibt, wie wichtig der weltläufige, gebildete Epstein für die rauhen Beatles-Jungs war. Aber auch, wie sehr er vereinsamte, als sie sich ins Studio zurückzogen und nicht mehr tourten.

Aus Boyds Leben an der Seite eines Weltstars wird ein goldener Käfig. Luxusreisen, eine größere Wohnung und schließlich das Eheleben im Wahnsinnsanwesen „Friar Park“ – Harrisons Märchenschloss, das Pattie Boyd für ihn auftat. Aber Harrison will auch, dass Boyd nicht mehr arbeitet. Also gibt sie ihre Modelkarriere auf. Diese ersten – damit beendeten -Schritte in die Selbständigkeit, mitten in der fiebrigen Aufbruchzeit des Königreichs: sie gehören zu den schönsten Passagen des Buches. Wenn Boyd erzählt, wie Models noch selbst fürs Make up sorgen mussten. Und wie man Models an den dicken Taschen erkennen konnte, die sich mit sich schleppten. Gefüllt mit allen möglichen Accessoires und Kleidungsstücken. Um diese kurze und wilde, freie Zeit im London der beginnenden Beat-Ära beneidet man Pattie Boyd noch.

Und zunächst findet das ausgebremste, aber lebenshungrige Model auch Wege, sich zu beschäftigen. Mit einer Freundin liest sie die Zeitung: „when we came upon an advert for transcendental-meditation classes in London. Perfect.“ Schritt Eins in Richtung Maharishi ist gemacht. Der Rest ist bekannt. George Harrison wird völlig aufgehen in indischer Mystik und Religion. Und für Pattie Boyd sind die glücklichen Tage vorbei. Harrison wird düsterer, schreibt sie. Er ist oft nicht mehr ansprechbar. Und in der riesigen Menschenblase, mit der sie nun in Friar Park leben, fühlt Boyd sich verloren. Harrisons Frauengeschichten setzen ihr zu. So gibt sie schließlich dem heftigen Werben eines Harrison-Freundes nach: dem Eric Claptons.

Jetzt wird alles noch schlimmer. Clapton hat offenbar gewaltige Drogenprobleme. Boyd beteuert zwar ihre Leidenschaft für Clapton, aber sie ist schlicht von einem Macho zum nächsten gewechselt. Auch in Claptons Haus hat sie nichts zu sagen, gegen die Übermacht seines väterlichen Managers kommt sie ohnehin nicht an. Es wird eine On-Off-Beziehung, in der sie bald zum Schluss kommt, dass sie für Clapton nur eine Trophäe ist: erbeutet und damit uninteressant. Sie würde gern schwanger, versucht es sogar mit In Vitro-Befruchtung – ohne Erfolg. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis sie aus der Beziehung zu Clapton herausfindet. Am Schluss sitzt sie auf einem Scherbenhaufen, muss sich erstmal wiederfinden und im Grunde auch wieder laufen lernen. „It was hard to go from being a rock star´s wife, with someone to take care of everything, to being an ex with nothing.“

Sie kommt wieder auf die Beine. Mit Hilfe ihrer Photos, ihrer Freunde und ihrer Offenheit. Sie reist, sie – die begeisterte Köchin -arbeitet sich in Ernährungswissenschaft ein, und sie sucht Arbeit bei renommierten Fotographen. Aber erst mit Hilfe ihres Bilder-Fundus findet sie eine neue Aufgabe. Und sie nimmt die Chance dankbar an.

„Wonderful tonight. George Harrison, Eric Clapton, and me“: unbedingt lesen! Ein fesselndes Buch, von der ersten bis zur letzten Seite. Die spinnen, die Briten. Das geht von kleinen Mädels, die dank kolonialer Auswüchse in Afrika aufwachsen. Über junge Männer, die wie in einem besonders fiesen soziologischen Experiment plötzlich als verunsicherte, steinreiche Weltstars aufwachen und irgendwas mit ihrer Zeit anfangen müssen. Bis hin zu einer legendär schönen Frau, die quasi als Schlusswort offenbart, dass diese Vogue-Covers ein Vogue-Covergirl verdammt fertig machen. Weil das Foto eben eine Illusion ist, die man im Alltag verzweifelt versucht, aufrecht zu erhalten. Sie hat´s gepackt. Und wenn Leute sie ansprechen, ob sie nicht Pattie Boyd ist, „I give them a big smile and say, „Yes! I´m Pattie Boyd!“

Pattie Boyd with Penny Junor:
"Wonderful tonight. George Harrison, Eric Clapton, and me"
(engl.) ca. 11 Euro 
(offenbar handelt es sich um die amerikanische Ausgabe - 
das britische Original heißt lustigerweise "Wonderful today")

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