Krimistammtisch: Nachklapp

Nein, mit diesem Thema konnte Charles den Tex bei den Mitgliedern des Krimistammtisches nichts falsch machen. Die Risiken des Digitalen sollte man kennen, und wenigstens theoretisch können wir alle zu Opfern werden. Bis hin zum „Identitätsverlust“? Das sei dahingestellt, aber selten hat ein Autor einen Roman geschrieben, der es ihm so einfach machte, einen Sympathievorschuss von seinen LeserInnen zu kassieren. Ist doch, wie Henny erkannt hat, „die Einfühlung in den Protagonisten schon frühzeitig so stark fortgeschritten, dass der Vorschuss reicht, um für einen Bucherfolg alles Weitere aus dem professionellen Krimiärmel zu schütteln“.

So nimmt es nicht wunder, dass sich die fünf RezensentInnen weniger am Thema als an dem, was da aus dem „professionellen Krimiärmel“ geschüttelt wurde, rieben. Am negativsten beurteilt Thomas die Handlung. Sie sei „comichaft flach“, „die große Schwäche des Romans“ liege in „den handelnden Figuren“. Mit dieser Meinung steht er nicht alleine. Für Kirsten wirkt „die Hauptfigur unglaubwürdig“ und „die Darstellung von Erleben durch Zuschreibungen, nicht durch das, was Figuren sagen oder tun“, überzeugt ebenfalls nicht. Auch für dpr sind die Personen, insonderheit die „Guten“, zu „schemenhaft“. Woran liegt das? Am Genre, das die Botschaft transportiert. Den Tex nämlich ist kein Neuerer, wie Joachim Feldmann betont, er bedient sich „literarischer Techniken, die auch schon im 19. Jahrhundert dafür gesorgt haben, dass Lesesüchtige den weltweiten Verschwörungsszenarien der Kolportageproduzenten verfielen“. Etwas das, noch einmal Joachim, „zum gewünschten Ergebnis“ führt.

Spätestens jetzt aber weht ein wenig der Wind der Uneinigkeit durch die gute Stube der Stammtischler. Denn es gehört gerade zu solchen „traditionellen Krimis“, das sich eine „Achse des Guten“ aufbaut, wie dpr es formuliert – und es nicht sehr schätzt. Genau das aber findet Kirsten „richtig klasse“, denn: „Jeder einsame Wolf ist ein lächerliches Fossil.“ Gerade dieses Kooperative, das erst Wehrhaftigkeit ermöglicht, ist für Thomas jedoch ein Schwachpunkt des Romans, da er verhindert, die „ganz zentrale Hilflosigkeit seiner Hauptperson Bellicher nachvollziehbar zu machen“. Es braucht aber diese geballte Kompentenz, denn nun wird, so Henny, „der Kampf um die Wiedergewinnung der Identität Bellichers intellektuell geführt und gewonnen“.

Im Grunde treffen sich hier zwei Ansichten über Kriminalliteratur, die stark mit möglichen Intentionen des Autors korrespondieren. Der nämlich hatte die Wahl: Entwickelt er „eine negative Utopie“ (dpr), in der tatsächlich der unzeitgemäße „einsame Wolf“ in seiner Hilflosigkeit zu beobachten ist – oder will er uns, den potentiellen Opfern, Mut zusprechen und zeigt uns in der Zusammenarbeit den Weg aus der digitalen Falle? Die negative Utopie des Identitätsverlustes entwickelt, wie Joachim gleich zu Beginn seiner Rezension weiß, Franz Kafka in „Der Prozeß“. Ganz offensichtlich war es den Tex darum nicht zu tun, sondern darum, dass „am Ende wieder halbwegs in Ordnung kommt. Bis zum nächsten Mal natürlich“, wie Joachim nicht ohne finale Ironie feststellt.

Bei diesen Alternativen gibt es kein richtig / falsch. Beides hat seine Berechtigung, der Krimistammtisch ist hier – wie wohl auch die übrige Leserschaft – geteilter Meinung.

Und zum Schluss: Am spannendsten fand ich bei diesem Krimistammtisch, wie alle Rezensentinnen eine Entscheidung treffen mussten und auch getroffen haben. Was beeinflusst ihr abschließendes Urteil mehr – das von allen für wichtig erachtete Thema oder die Qualität seiner Bearbeitung? Henny wendet sich eindeutig der Thematik zu und leuchtet sie aus. Thomas beschäftigt sich eingehend mit der eigentlichen Kriminalhandlung, analysiert Stärken und Schwachen. Kirsten beginnt bei der Thematik, wendet sich dann aber ebenfalls vermehrt dem Inhalt und den Formalitäten der Plotentwicklung zu. Joachim liest den Text folgerichtig als Exempel der „weltweiten Verschwörungsszenarien der Kolportageproduzenten“. Und weist auch darauf hin, dass es jenseits solch populärer und notwendiger Formen andere gibt, die indes „ästhetische Konsequenzen“ verlangen müßten – etwas, das sicherlich „verkaufsschädigend“ (dpr) wäre.

Und eine allerletzte Bemerkung: Es überrascht immer wieder, wie verschiedene Leser / Leserinnen auch in Details unterschiedliche Akzente setzen. Was mancheine/r nicht erwähnt, rückt bei anderen in den Mittelpunkt und umgekehrt. Aber nein: Eigentlich sollte das nicht überraschen. Es ist der Normalfall. Auch bei diesem Krimistammtisch.

5 Gedanken zu „Krimistammtisch: Nachklapp“

  1. Wie gut, dass ich keine Zeit hatte, das zu lesen, und mich deswegen gar nicht erst beteiligte. Hört sich ja alles ziemlich öde an.

    Hier sollte es hin.

  2. Ich wollte das Buch lesen, weil mich der Gedanke, ob man eine Identität auslöschen kann, bisweilen beschäftigt und mittlerweile denke ich, dass es, wenn ich die Regionalnachrichten so verfolge, sogar real möglich ist. Den Tex hat meine Erwartungen nicht erfüllen können, weil er auf einen feinen Zweierkampf keinen Wert legte. Ich fühlte mich immer an Filme erinnert, denen ich wegen der Actionszenen nur mit einem Auge folge. Eines hat mich schon interessiert. Wie genau wird er den virtuellen Angriff beschreiben? Und für einen IT- Laien, der ich nun mal bin, fand ich es überraschend gut, gut nachvollziehbar. Auch wenn mir vorstellen kann, dass die Computerleute bestimmt darüber lachen.

  3. Tja, auch dieses Stammtisch scheint kein Feuerwerk an Kommunikation auszulösen, sondern nur eine Aneinanderreihung von Statements. Schade, aber besonders viel fällt mir auch nicht zu den anderen Beiträgen ein.

    Zumindest aber soviel: Ich habe die ganze Zeit überlegt, worin mein Unbehagen mit diesem Buch begründet ist. Das, was ich geschrieben habe, hat mich selbst nicht überzeugt. Aber ich musste ja abliefern; ihr kennt das vermutlich…

    Mit zeitlichen Abstand und insbesondere einer Anmerkung von Henny, die auf heftigen (inneren) Widerspruch bei mir gestoßen ist, glaube ich mittlerweile klarer zu sehen.

    Henny schreibt: „… erleben wir in der zweiten Hälfte, wie es (das „Opfer“) mit der Wucht und Härte eines Outlaws zurückschlägt“. Nach meiner Wahrnehmung der Geschichte fehlt es völlig daran. Selbst in den Phasen, in denen der Protagonist handeln i. S. v. zwischen Handlungsmöglichkeiten wählen könnte, habe ich ihn als mehr oder weniger in Selbstmitleid zerfließend und sich primär reaktiv verhaltende Person wahrgenommen. Das Handeln hat er im Wesentlich den Anderen überlassen. Nicht einmal auf der Hand liegende Handlungsmöglichkeiten wie das Aufsuchen des Notars, der „seinen“ Vertrag beurkundet haben soll, hat er wahrgenommen.

    So ein Verhalten mag realstisch sein, aber es nervt. Wenigstens in den Büchern sollen die Leute – verdammt – ihr Leben selbst in die Hand nehmen und sich nicht weinerlich in eine Ecke verkriechen. Das kann ich selbst; um das (mit)zuerleben, brauche ich kein Buch zu lesen!!!

    Übrigens – dpr- ein weiteres Tabu für jeden Krimischreiber. We want another hero oder zumindest jemanden, der es versucht und grandios scheitert!!!

    Gruß
    thomas

  4. Ja… da müssten wir tatsächlich mal so etwas wie „Bunker“ nehmen… Dumm nur, dass man vorher nicht wissen kann, ob man sich weitgehend einig ist oder nicht. Na, mal gucken. Dennoch: Interessant fand ichs schon. Man muss sich ja nicht immer prügeln.

    bye
    dpr
    *chinesisches Tierkreiszeichen: Ziege
    **extrem harmoniebedürftig und bescheiden

  5. Ja, thomas, ich habe einleitend immer noch den Katzenbach mit einbezogen. Da kommt es deutlicher und eindrucksvoller zum Ausdruck. Dort war der Held Psychiater, hier Unternehmensberater. Das hat doch der Autor ganz gut erkannt, dass mit der Spezies nicht so viel zu machen ist.

    Grüße

    Henny

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